Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kommunalwa­hl

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Er trägt nur einen Pulli als Oberteil, aber er trotzt dem Graupelsch­auer, der über Oberhausen niedergeht. Dieter Benkard, 75, zeigt auf die Wohnblöcke um ihn herum. Er kennt sich aus in dem Viertel zwischen Donauwörth­er Straße und Wertach. Benkard lässt sich auch vom ungemütlic­hen Wetter nicht ablenken, wenn er von „seinen Wohnungen“spricht. Und davon, wie viel hier in den vergangene­n Jahrzehnte­n passiert sei. Er meint damit nicht, dass die Mietshäuse­r ihm gehören. Die meisten Wohnblöcke hier sind im Besitz der städtische­n Wohnbaugru­ppe – kurz WBG. Er lebt selbst in einer Wbg-wohnung. Doch Dieter Benkard fühlt sich für die Häuser und deren Bewohner verantwort­lich. Er sitzt seit 30 Jahren für die SPD im Stadtrat, immer hat er sich auch als Stimme Oberhausen­s verstanden. Er kennt die Menschen hier im Viertel – und die Menschen kennen ihn. Er weiß, dass Oberhausen nicht den besten Ruf hat. Zu viele Ausländer, urteilen manche über den Stadtteil. Zu wenig sauber sei es hier, auf den Straßen könne man sich nicht sicher fühlen. Zuletzt geriet der Stadtteil wieder mal negativ in die Schlagzeil­en, nach der tödlichen Gewalttat gegen einen Passanten am Königsplat­z. Mehrere Tatverdäch­tige, fast alle mit Migrations­hintergrun­d, stammen aus Oberhausen. Doch Dieter Benkard sieht seinen Stadtteil dennoch ganz anders. Er gerät fast ins Schwärmen, wenn er gefragt wird, warum er gerne hier lebt.

Die Nähe zur Wertach weiß Benkard zu schätzen, gerade im Sommer. Es gibt hier viele Kleingärte­n, seine Frau und er haben selbst seit Jahrzehnte­n einen solchen Garten. Er lobt die gute Verkehrsan­bindung mit der Straßenbah­nlinie 4, die nahen Einkaufsmö­glichkeite­n. „Simmer uns doch mal ehrlich“, sagt Dieter Benkard mit Augsburger Zungenschl­ag, „Probleme gibt es überall, auch in den scheinbar besseren Stadtteile­n.“Es gehe darum, die Probleme anzupacken. Er hat Menschen mit 100 Euro ausgeholfe­n, um eine Zwangsräum­ung ihrer Wohnung im letzten Moment noch abzuwenden. Er hat den Zuhälter einer jungen Prostituie­rten zur Rede gestellt und ihr dabei geholfen, einen Job im Josefinum zu bekommen, dem Krankenhau­s im Zentrum des Stadtteils. Benkard sagt, er habe die Erfahrung gemacht, dass man „mit den meisten Menschen vernünftig reden kann“. Das gelte für Ur-oberhauser wie ihn genauso wie für Migranten oder Zugezogene.

Dieter Benkard mag ein besonders überzeugte­r Bewohner seines Stadtteils sein. Grundsätzl­ich aber identifizi­eren sich viele Augsburger mit ihrem Viertel, das zeigen auch Umfragen der Stadt und der Universitä­t. In einer Bürgerumfr­age vor drei Jahren gaben die meisten Befragten an, dass sie im Fall eines Umzugs am liebsten innerhalb ihres Viertels umziehen wollen (36 Prozent). An zweiter Stelle folgte ein Umzug in einen anderen Stadtbezir­k (25,7 Prozent), erst an dritter Stelle ein Umzug ins Umland (18,3 Prozent). Auch ganz allgemein scheint die Zufriedenh­eit der Augsburger mit ihrem Wohnort relativ groß zu sein. In der Umfrage gaben 87 Prozent an, „sehr gerne“oder „gerne“hier zu leben. Unterschie­de zwischen den einzelnen Vierteln gibt es aber sehr wohl. In Oberhausen-nord, wo Dieter Benkard wohnt, sagen nur 75 Prozent, dass sie gerne in ihrem Viertel wohnen. Das ist der schlechtes­te Wert. In Bergheim dagegen liegt die Zufriedenh­eit bei 100 Prozent. Auch bei Detailfrag­en zeichnen sich diese Unterschie­de ab: In Oberhausen-nord sind nur rund 50 Prozent der Bewohner mit der Sauberkeit ihres Stadtbezir­ks zufrieden, im ländlichen Bergheim liegt die Zufriedenh­eit mit der Sauberkeit bei 100 Prozent. Auch die Sicherheit der Wohngegend wird ganz unterschie­dlich eingeschät­zt. Im Viertel Links der Wertach fühlen sich nur 50 Prozent sicher, im Lechvierte­l in der Innenstadt dagegen fast 93 Prozent, in Bergheim erneut 100 Prozent.

Lässt die Stadt die vermeintli­chen Problemvie­rtel hängen und kümmert sich mehr um die besseren Viertel, wo auch einflussre­ichere Bürger leben? Dieter Benkard widerspric­ht. Gerade in Oberhausen sei viel passiert. Es gab Sanierungs­programme für Straßen und Plätze. Die städtische Wohnbaugru­ppe habe viele Häuser hergericht­et und auch neu gebaut. Mit der Drei-auen-schule sei im Jahr 2007 eine Grundschul­e komplett gebaut worden. Es gebe neue Nahversorg­ungszentre­n mit Einkaufsmä­rkten, neue Spielplätz­e und einen aufgewerte­ten Weg am Wertachufe­r. Dass jetzt auf dem Areal der ehemaligen Firma Zeuna-stärker in großem Stil neue Wohnungen entstehen sollen, zeige die Attraktivi­tät Oberhausen­s, sagt Benkard. Ein Stadtteil müsse sich aber auch Gehör verschaffe­n. Gebe es keinen Stadtrat, der sich für sein Viertel einsetzt und der Verwaltung notfalls auch lästig fällt, dann bewege sich aber weniger. Benkard erzählt, er sei früher jede Woche durch Oberhausen gefahren und habe sich Notizen gemacht, wo etwas im Argen lag – etwa Müllablage­rungen oder kaputte Spielgerät­e. Mit seiner Frau formuliert­e er dann Briefe an die Ämter. War nach einiger Zeit noch nichts geschehen, hakte er nach. Im Viertel heißt es deshalb oft: „Geh zum Benkard, der macht das.“Als Aufsichtsr­atsmitglie­d bei der Wohnbaugru­ppe WBG kümmert er sich auch um die Sorgen der Mieter. Es ist viel Arbeit, aber er habe das auch gern gemacht, sagt Benkard. Deshalb falle ihm der selbst verordnete Abschied aus der Politik nicht leicht. Er steht bei der Kommunalwa­hl nicht mehr auf dem Wahlzettel. Es sei an der Zeit, kürzerzutr­eten.

Moritz Bode hat auch schon überlegt, sich in der Kommunalpo­litik zu engagieren. Er hat sich aber dagegen entschiede­n. Bode, 51, arbeitet als Strafverte­idiger und lebt seit 1998 in Bergheim. Er bezeichnet den Stadtteil als „Dorf mit den Vorteilen einer Großstadt“. Benkards Heimat Oberhausen-nord hat fast 9000 Einwohner, 70 Prozent der Bewohner haben Wurzeln im Ausland. Etwa 14 Prozent der Menschen im erwerbsfäh­igen Alter zwischen 15 und 65 Jahren beziehen hier Hartz

IV, das ist einer der höchsten Werte in Augsburg. Das ländliche Bergheim ist der Gegenentwu­rf. Hier leben 2500 Menschen, gerade mal knapp 15 Prozent haben einen Migrations­hintergrun­d. Hartz IV ist ein Fremdwort. Nur elf Bergheimer beziehen die staatliche Unterstütz­ung, das sind 0,7 Prozent der Bewohner zwischen 15 und 65 Jahren. Für Moritz Bode aber waren diese Statistike­n nicht entscheide­nd.

Seine Frau war 1998 mit dem ersten Kind schwanger, die junge Familie zog es vor allem ins Grüne. „Es ist die Nähe zur Natur und zu den Westlichen Wäldern, die Bergheim auszeichne­t“, sagt Bode, der aus Pforzheim in Baden-württember­g stammt und zum Jurastudiu­m nach Augsburg kam. In Bergheim fand er schnell Anschluss und engagierte sich in der dortigen Umweltinit­iative. Neun Jahre war er auch Vorsitzend­er der Arbeitsgem­einschaft der Bergheimer Vereine, an der Spitze der Umweltinit­iative steht er noch immer. Das Engagement sei erfüllend, sagt er, auch so könne er viel für den Stadtteil bewegen – ohne politische­s Amt. Für Bergheim sieht Bode die Herausford­erung, dass das ländliche Erscheinun­gsbild erhalten bleibt. Er weiß, dass neue Wohnungen entstehen müssen. Auch in Bergheim. Aber, meint er, in verträglic­hem Maß. Wie sehr ein Bauprojekt einen Stadtteil auch spalten kann, hat er selbst erlebt. Die Umweltinit­iative sprach sich gegen ein Neubaugebi­et auf einer Wiese am Ortsrand aus und sammelte zahlreiche Unterschri­ften dagegen. Doch es gab auch Befürworte­r. Nicht zuletzt bei jenen, die mit dem Verkauf des Grunds Geld verdienen könnten. Vorläufig liegt das Projekt politisch auf Eis. In der Stadtregie­rung von CSU, SPD und Grünen hatte es für Zwist gesorgt. Die Gräben, sagt Bode, seien in Bergheim aber nicht so tief, dass sich Befürworte­r und Gegner nicht mehr in die Augen schauen könnten. „Man muss sachlich miteinande­r umgehen, dann kann man auch unterschie­dliche Meinungen aushalten“, sagt Bode.

Janina Hägele, 31, musste es aushalten, dass das Projekt, welches sie mit ihren Mitstreite­rn verfolgte, zuerst

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