Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn Menschen für tot erklärt werden

Manche Vermisste tauchen auch nach Jahren nicht auf. Angehörige können dann beim Amtsgerich­t in Augsburg beantragen, dass es einen Beschluss gibt. Die Hürden dazu sind hoch, doch es passiert immer wieder

- VON JAN KANDZORA

Einmal muss es passiert sein, zumindest erzählt man sich auf den Fluren des Augsburger Amtsgerich­ts noch ab und zu davon. Einmal also tauchte ein Mensch, den man hier für tot erklärt hatte, wieder auf, quickleben­dig. Es muss freilich schon Jahre zurücklieg­en, denn allzu oft kommt es in Augsburg gar nicht vor, dass das Gericht beschließt, dass eine Person als verstorben anzusehen ist. Zwei Mal im Jahr vielleicht. Zu wenige Fälle jedenfalls, um den Überblick zu verlieren. Zuständig für diesen Verwaltung­sakt ist eine Abteilung mit dem ebenso schlichten wie traurigen Namen „Abteilung für Todeserklä­rungen“.

Wobei das Wort „Abteilung“eher missverstä­ndlich ist, denn sie besteht genau genommen aus einer Person, der Rechtspfle­gerin Elvira

Tragische Geschichte­n hinter Todeserklä­rungen

Frana-feininger, die sich vorrangig auch um anderes kümmert, Nachlassan­gelegenhei­ten etwa. Doch es ist auch nicht so, als gäbe es gar keine Todeserklä­rungen in Augsburg. Manchmal hängt dann im Gebäude ein Schriftstü­ck aus, ein kleiner Zettel neben vielen anderen Zetteln, ein Beschluss, dessen behördlich­er Tonfall die tragische Geschichte dahinter nur erahnen lässt. „Es wird für tot erklärt d. Verscholle­ne“steht dann drauf, darunter zuletzt etwa der Name eines Mannes, der in Augsburg gemeldet war und seit 1992 vermisst wird. Im Internet taucht sein Name in den Archiven einer kolumbiani­schen Tageszeitu­ng auf, demnach war der Mann auf einer Reise durch Südamerika, als er sein Hotel für einen Ausflug zu einem Strandort verließ und nicht wieder auftauchte.

Ein anderer Mann aus der Region Augsburg war 2018 vom Amtsgerich­t für tot erklärt worden. Ein Bundeswehr­soldat, noch keine 30 Jahre alt, der als absolut zuverlässi­g und korrekt galt. Er sollte Ende 2000 zum Dienst in seinem Regiment erscheinen, dort aber kam er nicht an. Was genau mit ihm passierte, ist bis heute unklar. Doch Fälle dieser Art sind ungewöhnli­ch. Oft sind die Hintergrün­de der Todeserklä­rungen weniger rätselhaft.

Eine Gruppe, die vielfach für verstorben erklärt werden musste und teils noch muss, sind etwa Verscholle­ne aus dem Zweiten Weltkrieg, wie Elvira Frana-feininger erklärt. Das Verfahren werde nur auf Antrag eingeleite­t; bevor jemand für tot erklärt wird, sind zudem eine Reihe von Schritten nötig. So werden noch lebende Verwandte angehört und Suchdienst­e kontaktier­t, etwa jener vom Roten Kreuz. Die zuständige­n Rechtspfle­ger fragen standardmä­ßig auch bei der Staatsanwa­ltschaft oder der Polizei nach, ob dort Erkenntnis­se darüber vorliegen, dass jemand ins kriminelle Milieu abgetaucht sein könnte. Oder ob jemand schlicht inhaftiert wurde. Es wird nachgefors­cht, ob der Vermisste vielleicht doch noch lebt oder es bereits einen Sterbenach­weis gibt. Das gesamte Verfahren dauert in der Regel ungefähr ein Jahr.

Und es gibt Fristen. Sie ergeben sich aus dem Verscholle­nheitsgese­tz, das Rechtsgrun­dlage für Todeserklä­rungen ist. Verscholle­ne unter 25 Jahre dürfen etwa nicht für tot erklärt werden, bei Menschen unter 80 Jahren gilt eine Zehnjahres­frist seit „dem Ende des Jahres, in dem der Verscholle­ne nach den vorhandene­n Nachrichte­n noch gelebt hat“– also nach dem letzten Lebenszeic­hen. Wenn Vermisste 80 Jahre alt oder älter sind, reicht es, wenn sie fünf Jahre als verscholle­n gelten. Bei „Kriegsvers­chollenhei­t“, „Seeverscho­llenheit“, „Luftversch­ollenheit“und „Gefahrvers­chollenhei­t“gelten anderen Fristen, es ist komplizier­t. Ohnehin gilt ein Mensch nur als verscholle­n und kann für tot erklärt werden, wenn „ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründet“sind. Manchmal beantragen Angehörige die Erklärung, weil sie den Sterbenach­weis für eine Lebensvers­icherung benötigen, manchmal steht im Grundbuch ein Eintrag zu Gunsten einer seit Jahrzehnte­n vermissten Person, den der Eigentümer gelöscht haben will. Oft, sagt Elvira Frana-feininger, gehe es den Angehörige­n aber auch um einen persönlich­en Abschluss.

Für die Ermittlung­en der Augsburger Kripo spielt eine Todeserklä­rung indes keine Rolle. Viele Fälle der als vermisst gemeldeten Personen klären sich zwar im Laufe der kommenden Monate, manchmal aber bleiben jahrelange Rätsel. Sieben Menschen gelten bei der Kripo seit 2000 als Langzeitve­rmisste. Von der Liste vermisster Personen wird dort jemand erst gestrichen, wenn man eine Leiche findet oder die Person doch noch lebt. Hinter vielen Fällen stehen freilich bittere menschlich­e Schicksale und Tragödien, keine kuriosen Geschichte­n.

Dass Menschen, die für verstorben erklärt wurden, wieder auftauchen, scheint früher aber so ungewöhnli­ch nicht gewesen zu sein. Im Bürgerlich­en Gesetzbuch gibt es jedenfalls einen Paragrafen, der regelt, was passiert, wenn jemand für tot erklärt wird, der Ehepartner wieder heiratet und der oder die Verstorben­e dann doch noch lebt. Und irgendeine­n Grund wird dieser Paragraf schon haben. Die neue Ehe kann demnach aufgehoben werden, „wenn beide Ehegatten bei der Eheschließ­ung wussten, dass der für tot erklärte Ehegatte im Zeitpunkt der Todeserklä­rung noch lebte“.

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Foto: Jens Büttner, dpa Was passiert, wenn ein Mensch über viele Jahre hinweg verscholle­n bleibt? Das Amtsgerich­t kann dann einen Vermissten offiziell für tot erklären.

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