Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie das „City Hostel“in die Mühlen zwischen Deutschlan­d und Nordkorea geriet

Das „City Hostel Berlin“soll zwangsweis­e geschlosse­n werden. Weil es der nordkorean­ischen Botschaft gehört, verstößt der Mietvertra­g gegen Un-sanktionen. Besuch in einem Haus, das in die Mühlen der Weltpoliti­k geraten ist

- VON TANJA FERRARI

Berlin Unweit von Checkpoint Charlie reihen sich in der Berliner Glinkastra­ße die Plattenbau­ten im sozialisti­schen Baustil vergangene­r Ddr-zeiten aneinander. Rufe von Demonstran­ten schallen dort von den grauen Betonwände­n ab: „Freiheit für Nordkorean­er. Auflösung der Arbeitslag­er. Menschenre­chte für alle.“Im dritten Stock des Billighote­ls „City Hostel Berlin“öffnet eine junge Frau ihr Fenster – neugierig, was vor dem Haus passiert.

Das „City Hostel“ist derzeit Berlins zweitbekan­ntestes Hotel nach dem „Adlon“. Denn der Plattenbau mit den mächtigen dunklen Fensterrei­hen gehört dem kommunisti­schen Land Nordkorea, das auf dem gleichen Grundstück seine Botschaft in Deutschlan­d unterhält. Eigentlich dürfte in dem Gebäude schon lange niemand mehr übernachte­n. Doch darüber herrscht ein bizarrer Streit.

Nach einem der vielen Atomwaffen­tests des totalitäre­n Staats im Herbst 2016, beschäftig­t das kuriose Mietverhäl­tnis die Bundesregi­erung, verschiede­ne Gerichte und das Bezirksamt Berlin-mitte. Die Behörde untersagte den Betreibern des Hotels bereits vor zwei Jahren die Nutzung des Gebäudes in der Glinkastra­ße. Ohne Wirkung. Noch immer können Urlauber ab 14 Euro eines von insgesamt 435 Betten im „City Hostel“buchen. Obwohl der Betrieb nach Ansicht der offizielle­n Stellen gegen die Un-sanktionen verstößt, die gegen die kommunisti­sche Diktatur verhängt wurden.

Von der politisch brisanten Situation ist in der Empfangsha­lle des Hotels nichts zu spüren. Bunte Farben, Graffiti an der Wand und Grünpflanz­en im Eingangsbe­reich sollen den Gästen eine moderne Atmosphäre vermitteln. An der Rezeption werden fremde Frauen und Männer mitunter gemeinsam in Zimmer mit Stockbette­n einquartie­rt. Auf den Gängen und Zimmern herrscht Jugendherb­ergs-charme. Auf den ersten Blick wirkt alles abgenutzt, doch recht sauber und aufgeräumt.

Durch einen schmalen Flur mit abgewetzte­m Linoleumbo­den geht es zu den Zimmern im Erdgeschos­s. Ein Schild mit der Silhouette von Berlin weist neben einer gelben Tür auf die Zimmernumm­er „002“hin. Aluminiums­tockbetten und hohe Schließfäc­her füllen den kleinen Raum fast vollständi­g. Zwischen abgestellt­en Koffern und zerwühlter Bettwäsche herrscht eine triste Stimmung. Schwere, graue Vorhänge sind auf die Seite geschoben und geben den Blick auf die nordkorean­ische Botschaft frei.

Es sind rund 8000 Kilometer, die Berlin vom nordkorean­ischen Pjöngjang trennen. Zentral gelegen, zwischen der Friedrichs­traße und dem Boulevard Unter den Linden, vermietet die Demokratis­che Volksrepub­lik Korea, wie sich das kommunisti­sche Land nennt, Teile seiner Botschaft. Über Mieteinnah­men von jährlich knapp einer halben Million Euro, so vermutetet das Auswärtige Amt, bekommt das totalitäre Regime dringend benötigte Devisen – möglicherw­eise fließt das Geld auch in das internatio­nal geächtete Atomwaffen­programm.

Die immer wieder verschärft­en Sanktionen des Un-sicherheit­srats und entspreche­nde Eu-verordnung­en

sollen dies verhindern. Es wurde klar festgelegt, dass abseits der diplomatis­chen Tätigkeite­n Immobilien nicht mehr länger an Nordkorea vermietet oder von diesem Land gemietet werden dürfen. Trotzdem gibt es das Berliner „City Hostel“.

Jeden Donnerstag protestier­t Gerda Ehrlich, die bis zum Mauerfall in der DDR lebte, mit den anderen Teilnehmer­n ihrer Mahnwache gegen die Menschrech­tsverletzu­ngen in Nordkorea. Durch die Übernachtu­ngsgäste des Hostels erreicht sie ein internatio­nales Publikum. „Viele wissen gar nicht, was dort überhaupt vor sich geht“, sagt Demonstran­tin Ehrlich. Einige Touristen, die im angrenzend­en „City Hostel“untergebra­cht sind, so erhabe zählt die Rentnerin, reagierten oft positiv überrascht auf die Proteste.

Beschwerde­n der Botschaft habe es nur zu Beginn ihrer wöchentlic­hen Mahnwache gegeben, sagt Ehrlich. Polizei und Auswärtige­s Amt hatten darauf hingewiese­n, dass Demonstrat­ionen in Deutschlan­d – solange sie angemeldet sind – zur Demokratie gehörten. Wenn die Rentnerin mit ihrer Gruppe demonstrie­rt, dann sind die Schaukäste­n des Regimes verdeckt. Die darin enthaltene­n Bilder von Raketentes­ts und Konterfeis des „Obersten Führers“Kim Jong Un sind in dieser Zeit nicht zu sehen.

Weil die Hotel-betreiber inzwischen keine Miete mehr zahlen und die bloße Nutzung des Gebäudes nicht von den Sanktionen betroffen sehen, klagen sie gegen das Betriebsve­rbot des Bezirksamt­s. Bislang entschiede­n Gerichte und Behörden jedoch: Das „City Hostel“muss schließen. Nun, so heißt es, wolle das Bezirksamt Zwangsmitt­el androhen und ein Urteil des Verwaltung­sgerichts schnellstm­öglich umsetzen.

Das Gelände, auf dem sich die Botschaft, das Hostel und ein Kongressze­ntrum befinden, war Nordkorea zu Ddr-zeiten überlassen worden. Nach dem Fall der Mauer wurde die Arbeit dort nur mit ausgedünnt­em Personal weitergefü­hrt. Ungenutzte Teile des Gebäudes wurden verpachtet. Nach mehrmalige­r Aufforderu­ng durch das Auswärtige Amt hatte die nordkorean­ische Regierung das Mietverhäl­tnis mit den Hotel-betreibern im Sommer 2017 offiziell gekündigt. Doch die Mieter widersprac­hen der Kündigung. Dann war lange nichts passiert. Zwar hatte Nordkorea eine

Räumungskl­age am Berliner Landgerich­t gestellt, den fälligen Prozesskos­tenvorschu­ss aber erst Ende des vergangene­n Jahres bezahlt.

Der Berliner Spd-abgeordnet­e Tom Schreiber, der seit 2017 Nachforsch­ungen anstellt, vermutet hinter all dem ein Spiel auf Zeit. In zwei schriftlic­hen Anfragen ließ sich der Politiker aus dem Wahlbezirk Treptow-köpenick beim Berliner Senat über das ungewöhnli­che Mietverhäl­tnis informiere­n. Er sagt: „Nordkorea hat hier einen cleveren Weg gefunden, um Devisen zu erwirtscha­ften.“

Die jüngste Verhandlun­g am Verwaltung­sgericht hat Schreiber Ende Januar als Zuhörer mitverfolg­t. Im Casino des Abgeordnet­enhauses berichtet er zwischen zwei Ausschusss­itzungen von seinen Eindrücken.

Dass der Anwalt der Betreiber behaupte, es habe seit der Kündigung keine Mietzahlun­gen mehr gegeben, könne nicht nachgewies­en werden. Der Spd-politiker zeigt sich misstrauis­ch und betont, dass der Grund dafür der Umstand sei, dass bereits zuvor die Miete von den Betreibern teilweise bar beglichen worden war.

Auskunft über die Steuerschu­ld von Nordkorea hatte der Abgeordnet­e auf seine Anfrage beim Senat nicht erhalten. „Das Finanzamt sollte in dieser Sache einmal genauer hinschauen“, fordert er. Immer wieder hätten die Betreiber vor Gericht betont, dass eine Schließung des Hotels für sie den Ruin bedeute. Deren Anwalt, erklärt Schreiber, jedoch nicht nachweisen können, wie viel Geld tatsächlic­h in Umbau und Renovierun­g des Gebäudes geflossen war. „Es ist eine kuriose Geschichte, die so nicht sein darf“, sagt er. Doch weil es um viel Geld geht, steht für ihn außer Frage, dass die Betreiber vor das Oberverwal­tungsgeric­ht ziehen werden.

Inzwischen ist das Hotel längst selbst eine Touristen-attraktion. Im Nieselrege­n macht eine Reisegrupp­e mit Fahrrädern auf ihrer Route durch das Berliner Zentrum einen Halt in der Glinkastra­ße. Ein junger Berliner, der die britischen Touristen betreut, hat seine Kapuze tief in das Gesicht gezogen. „Es ist ein Skandal“, erklärt er auf Englisch die Geschichte um das verbotene Hotel und gestikulie­rt wild mit seinen Händen. Gespannt hören ihm die Engländer zu. „So etwas Absurdes“, sagt eine junge Britin und schüttelt den Kopf. „Es hört sich nicht so an, als ob der Staat wirklich etwas dagegen unternehme­n könnte“, fügt ein anderer junger Tourist hinzu.

Auf Anfragen geben die Betreiber keine Antwort. Zuletzt hatten sie 2017 Stellung genommen. Inzwischen sind sie zum normalen Arbeitsall­tag übergegang­en. Auf ihrer Webseite suchen sie neue Mitarbeite­r. Ein finnischer Rucksackto­urist, der im Hotel übernachte­t, zeigt sich schockiert, als er von dem ungewöhnli­chen Mietverhäl­tnis erfährt. Über die unmittelba­re Nähe zur nordkorean­ischen Botschaft hatte er sich bei seiner Ankunft noch gewundert. Bei all den anderen Eindrücken aber nicht weiter darüber nachgedach­t. Durch das Fenster in seinem Zimmer schaut er nachdenkli­ch auf das Gebäude, über dem die nordkorean­ische Flagge weht.

Von den Zimmern blickt man auf Nordkoreas Flagge

Die Diktatur beschafft sich dringend benötigte Devisen

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Foto: Paul Zinken, dpa Das Billighote­l „City Hostel Berlin“kämpft seit über zweieinhal­b Jahren gegen die Mietvertra­gskündigun­g und die Zwangsschl­ießung.
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Das Gebäude des „City Hostel Berlin“wurde einst von der DDR dem kommunisti­schen Nordkorea überlassen. In dem Billighote­l herrscht trister Jugendherb­ergs-charme. In den Schaukäste­n: Staatsprop­aganda.
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Fotos: Jordan Raza, Michael Kappeler, dpa, Tanja Ferrari

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