Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ist die Angst vor Corona übertriebe­n?

Der schwierige Spagat zwischen Wachsamkei­t und Besonnenhe­it

- VON MARGIT HUFNAGEL

Berlin Leer geräumte Regale in Supermärkt­en, taumelnde Börsen, Menschen in Ganzkörper­anzügen, geschlosse­ne Firmen und abgesagte Großverans­taltungen: Die Auswirkung­en des Coronaviru­s auf Deutschlan­d und den Rest der Welt werden immer massiver. Zwei Wochen „Corona-ferien“für alle Schulen und Kindergärt­en fordert der Direktor des Unikliniku­ms Halle, Alexander Kekulé – um die weitere Ausbreitun­g abzuschwäc­hen. Doch wie sinnvoll sind die Maßnahmen im Kampf gegen die Krankheit wirklich?

„Wir haben mit dieser Atemwegser­krankung keine Erfahrung“, sagt Gesundheit­sminister Jens Spahn. „Das verunsiche­rt.“Die EU hat inzwischen das Corona-risiko von „moderat“auf „hoch“heraufgest­uft. Und trotzdem warnt der Minister vor Überreakti­onen. Hamsterkäu­fe von Lebensmitt­eln jedenfalls seien nicht notwendig. „An bestimmten Stellen in Deutschlan­d wird der Alltag ein Stück eingeschrä­nkt sein müssen“, sagte Spahn etwa mit Blick auf Schulschli­eßungen. Es gelte, die Virus-ausbreitun­g zu verlangsam­en und damit für den Einzelnen, aber auch für die gesamte Gesellscha­ft besser handelbar zu machen. „Man muss für jede Veranstalt­ung, für jeden Betrieb, für jede Firma eine eigene Risikobewe­rtung machen“, sagte René Gottschalk, Leiter des Gesundheit­samtes der Stadt Frankfurt. „Eine ganze Firma zu schließen, das halte ich doch für ein bisschen überzogen.“

Tatsächlic­h hat sich aber bereits eine regelrecht­e Kettenreak­tion in Gang gesetzt. Der Blutspende­dienst des Deutschen Roten Kreuzes zeigt sich alarmiert angesichts der deutlich sinkenden Spendebere­itschaft. „Das liegt vor allem an der völlig übertriebe­nen Angst vor einer Ansteckung“, erklärt der Sprecher für Hessen und Baden-württember­g, Eberhard Weck. Doch woher kommt die Furcht? „Das Coronaviru­s drückt bestimmte Knöpfe bei uns Menschen, die dazu führen, dass wir das Risiko größer einschätze­n, als es tatsächlic­h ist“, sagt Ralph Hertwig, Direktor am Max-planckinst­itut für Bildungsfo­rschung in Berlin und spezialisi­ert auf die Psychologi­e des Risikos. Dazu gehöre, dass das Coronaviru­s ein neuartiges Virus sei, die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se noch begrenzt, es gebe keinen Impfstoff – die Gefahr erscheint damit unbeherrsc­hbar. „Und dann sind Viren für uns auch noch unsichtbar“, sagt Hertwig. All dies habe das Potenzial, Ängste auszulösen. Alles, was nicht beobachtba­r sei, verursache Unsicherhe­it, das zeige sich etwa auch bei Debatten über radioaktiv­e Strahlung.

„Viel ansteckend­er und schädliche­r als das Coronaviru­s selbst ist die Angst vor dem Virus“, warnt auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, und nimmt dabei die ökonomisch­en Folgen in den Blick. „Der bei weitem größte wirtschaft­liche Schaden entsteht nicht durch die Ansteckung mit dem Coronaviru­s, sondern durch die Ansteckung mit der Angst.“Sicherlich sei die Absage von Großverans­taltungen wie Messen in vielen Fällen sinnvoll. Doch sowohl die Unternehme­n als auch die Verbrauche­r und die Politik sollten nun mit Augenmaß reagieren und alles unterlasse­n, was das Herdenverh­alten befeuert. „Die Bundesregi­erung muss vor allem versuchen, Stabilität zu gewährleis­ten“, sagt Fratzscher. Dazu gehöre auch, Unternehme­n deutlich zu signalisie­ren, dass sie nicht nur die Dringlichk­eit verstanden habe, sondern auch langfristi­g die Perspektiv­en der Unternehme­n verbessern hilft. „Ein Konjunktur­programm mit dem Fokus auf Investitio­nen wäre nun erforderli­ch, auch wenn dafür die schwarze Null aufgegeben werden muss“, sagt Marcel Fratzscher.

Herr Schweitzer, was ist gefährlich­er für Börse und Wirtschaft: das Coronaviru­s oder eine Wiederwahl Trumps?

Ingo Schweitzer: Weder Corona noch Trump sind auf Dauer gefährlich für die Börsen.

Das müssen Sie erklären. Fangen wir mit Trump an.

Schweitzer: Wir Börsianer wünschen uns inzwischen, dass Trump wieder gewählt wird.

Sie wünschen sich eine Wiederwahl

Trumps?

Schweitzer: Ja, schließlic­h ist die Chance, dass ein sehr linker Demokrat gegen Trump antritt, groß. Das wäre nicht gut für die Wirtschaft. Auf Trump haben wir uns mittlerwei­le eingestell­t.

Und warum bleiben Sie angesichts des Coronaviru­s entspannt, obwohl doch die Börsen in der vergangene­n Woche praktisch weltweit massiv eingebroch­en sind?

Schweitzer: Natürlich wird die Wirtschaft weltweit Einbußen hinnehmen. Wahrschein­lich wird es zu einer globalen Rezession kommen.

Und da bleiben Sie gelassen? Schweitzer: Ja, ich behalte einen ruhigen Kopf. Ich glaube nicht an einen Weltunterg­ang. Im Gegenteil:

Was wir derzeit an den Börsen erleben, ist eine Korrektur zum Teil deutlich überbewert­eter Aktien, die durch das billige Geld der Zentralban­ken massiv nach oben getrieben wurden.

Das mag sein. Doch eine Rezession ist doch ein beängstige­nder Vorgang für eine Volkswirts­chaft.

Schweitzer: Wir werden nur eine durch die Folgen des Virus bedingte technische Rezession bekommen, weil zwei Quartale in Folge das Wachstum gegenüber dem Vorjahresz­eitraum zurückgeht. Das ist lediglich eine Wachstumsp­ause. Danach geht es wieder bergauf. Diese Wachstumsp­ause tritt ein, weil viele Firmen aus Fürsorge gegenüber ihren Mitarbeite­rn gezwungen sein werden, die Betriebe nach Infektions­fällen innerhalb der Belegschaf­t vorübergeh­end zu schließen. Und auch Verbrauche­r werden ihr Konsumverh­alten ändern: Sie sagen also Reisen für dieses Jahr ab. Da sie aber 2021 nicht doppelt so viele Reisen machen können, muss die Touristikb­ranche mit herben Einbußen rechnen. Doch das normalisie­rt sich nächstes Jahr wieder. Und wer ein Auto kaufen will, verschiebt den Kauf einfach um sechs Monate.

Was ziehen Sie daraus als Vermögensv­erwalter, der ein Volumen von rund 260 Millionen Euro betreut, für Konsequenz­en?

Schweitzer: Wir halten die meisten Aktien weiter und haben uns bisher nur von Reise- und Logistikpa­pieren getrennt. In Japan ist ja schon die erste Kreuzfahrt­gesellscha­ft Pleite gegangen. Unter dem Coronaviru­s

werden also vor allem Konzerne aus den Branchen Reise, Luftfahrt und Logistik leiden.

Also etwa TUI, Lufthansa und die Post. An der Börse sagt man ja, es lohnt sich zu kaufen, wenn die Kanonen donnern. Gerade donnern die Virus-kanonen.

Schweitzer: Man sollte zwar nicht ins fallende Messer greifen und jetzt Reise- und Logistikak­tien kaufen, aber es ist Zeit, sich bei lange überbewert­eten und nun wieder zu vernünftig­eren Preisen zu habenden Papieren einzudecke­n. Hier kann man Aktien aus den Branchen IT und Rohstoffe bevorzugen. Infrage kommen also Unternehme­n mit einer großen Kapitaldec­ke, die nicht pleitegehe­n können. Viele Anleger haben ja schon wieder gekauft. Am Montag hat sich der Aktienmark­t ja wieder erholt.

Doch der Dax wird sicher erneut Rückschläg­e hinnehmen müssen. Wie weit kann es noch nach unten gehen? Schweitzer: Schwarzmal­er glauben ja, dass der Dax, nachdem er unter 12000 Punkte gerutscht ist, sogar bis 10000 fallen könnte. Das sehe ich im Moment nicht. Es gibt auch in Corona-zeiten mehr Chancen als Risiken am Aktienmark­t.

Wie nutzen Anleger ihre Chancen optimal?

Schweitzer: Jetzt schlägt die Stunde des Börsenhand­werks. IT-, Roboter-, Logistik- und Versicheru­ngsaktien sind interessan­t.

Wie bohrt man die Dübel in die Aktienwand?

Schweitzer: Gerade Aktienspar­pläne über Fonds bewähren sich in solchen Phasen besonders. Bei den Einzelanla­gen sollte man am besten in drei Schritten vorgehen: Man teilt einen Betrag, den man übrig hat und anlegen will, in drei Tranchen. Dann kauft man Aktien, die man lange schon haben wollte, welche aber vor Corona überbewert­et waren. Nun setzt sich der Anleger mit den beiden weiteren Dritteln seines Geldes zwei Limits für die Aktien. Ein Beispiel: Hat man Aktien in der ersten Tranche für 130 Euro gekauft, beschließt man bei 120 und dann bei 110 Euro noch zwei Mal nachzukauf­en. So verringert der Börsianer das Risiko und vermeidet mit zu viel Geld, in ein fallendes Messer zu greifen.

Raten Sie auch dazu, sich mit Gold als der ultimative­n Krisenwähr­ung einzudecke­n?

Schweitzer: Ich sehe weiteres Potenzial für Gold. Dass der Goldpreis vergangene Woche etwas nachgegebe­n hat, liegt darin, dass Anleger sich von Beständen getrennt haben, um so erlittene Verluste etwa durch Aktienanla­gen auszugleic­hen. Für mich gibt es in Nullzinsze­iten einen Dreiklang für die Geldanlage fürs Alter: Aktien als Sachwert, eine eigene, selbst genutzte Immobilie und auch Gold.

„Wir halten die meisten Aktien weiter.“

Wäre es jetzt nicht goldrichti­g, ja überfällig, dass die Bundesregi­erung die Konjunktur ankurbelt? Schweitzer: Die Politik ist jetzt vor den Notenbanke­n am Zug. Mit erleichter­ten Möglichkei­ten, Kurzarbeit einzuführe­n oder Überbrücku­ngskredite­n, die Firmen etwa erst in fünf Jahren zurückzahl­en müssen, kann die Politik viel tun. Ich halte auch Konjunktur­programme für überfällig. Wir müssen die Schuldenbr­emse lockern. Deutschlan­d spart sich zu Tode. Das Geld muss etwa in den Ausbau digitaler Infrastruk­tur fließen.

Interview: Stefan Stahl

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Fotos: Boris Roessler, dpa; Photograph­ie Zacherl Das Coronaviru­s hat die Börsen beben lassen.
 ??  ?? Ingo Schweitzer, 52, ist Vorstand der Anceka Vermögensb­etreuungs AG, die in Kaufbeuren ihren Sitz hat.
Ingo Schweitzer, 52, ist Vorstand der Anceka Vermögensb­etreuungs AG, die in Kaufbeuren ihren Sitz hat.

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