Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ist die Angst vor Corona übertrieben?
Der schwierige Spagat zwischen Wachsamkeit und Besonnenheit
Berlin Leer geräumte Regale in Supermärkten, taumelnde Börsen, Menschen in Ganzkörperanzügen, geschlossene Firmen und abgesagte Großveranstaltungen: Die Auswirkungen des Coronavirus auf Deutschland und den Rest der Welt werden immer massiver. Zwei Wochen „Corona-ferien“für alle Schulen und Kindergärten fordert der Direktor des Uniklinikums Halle, Alexander Kekulé – um die weitere Ausbreitung abzuschwächen. Doch wie sinnvoll sind die Maßnahmen im Kampf gegen die Krankheit wirklich?
„Wir haben mit dieser Atemwegserkrankung keine Erfahrung“, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn. „Das verunsichert.“Die EU hat inzwischen das Corona-risiko von „moderat“auf „hoch“heraufgestuft. Und trotzdem warnt der Minister vor Überreaktionen. Hamsterkäufe von Lebensmitteln jedenfalls seien nicht notwendig. „An bestimmten Stellen in Deutschland wird der Alltag ein Stück eingeschränkt sein müssen“, sagte Spahn etwa mit Blick auf Schulschließungen. Es gelte, die Virus-ausbreitung zu verlangsamen und damit für den Einzelnen, aber auch für die gesamte Gesellschaft besser handelbar zu machen. „Man muss für jede Veranstaltung, für jeden Betrieb, für jede Firma eine eigene Risikobewertung machen“, sagte René Gottschalk, Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt Frankfurt. „Eine ganze Firma zu schließen, das halte ich doch für ein bisschen überzogen.“
Tatsächlich hat sich aber bereits eine regelrechte Kettenreaktion in Gang gesetzt. Der Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes zeigt sich alarmiert angesichts der deutlich sinkenden Spendebereitschaft. „Das liegt vor allem an der völlig übertriebenen Angst vor einer Ansteckung“, erklärt der Sprecher für Hessen und Baden-württemberg, Eberhard Weck. Doch woher kommt die Furcht? „Das Coronavirus drückt bestimmte Knöpfe bei uns Menschen, die dazu führen, dass wir das Risiko größer einschätzen, als es tatsächlich ist“, sagt Ralph Hertwig, Direktor am Max-planckinstitut für Bildungsforschung in Berlin und spezialisiert auf die Psychologie des Risikos. Dazu gehöre, dass das Coronavirus ein neuartiges Virus sei, die wissenschaftlichen Erkenntnisse noch begrenzt, es gebe keinen Impfstoff – die Gefahr erscheint damit unbeherrschbar. „Und dann sind Viren für uns auch noch unsichtbar“, sagt Hertwig. All dies habe das Potenzial, Ängste auszulösen. Alles, was nicht beobachtbar sei, verursache Unsicherheit, das zeige sich etwa auch bei Debatten über radioaktive Strahlung.
„Viel ansteckender und schädlicher als das Coronavirus selbst ist die Angst vor dem Virus“, warnt auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, und nimmt dabei die ökonomischen Folgen in den Blick. „Der bei weitem größte wirtschaftliche Schaden entsteht nicht durch die Ansteckung mit dem Coronavirus, sondern durch die Ansteckung mit der Angst.“Sicherlich sei die Absage von Großveranstaltungen wie Messen in vielen Fällen sinnvoll. Doch sowohl die Unternehmen als auch die Verbraucher und die Politik sollten nun mit Augenmaß reagieren und alles unterlassen, was das Herdenverhalten befeuert. „Die Bundesregierung muss vor allem versuchen, Stabilität zu gewährleisten“, sagt Fratzscher. Dazu gehöre auch, Unternehmen deutlich zu signalisieren, dass sie nicht nur die Dringlichkeit verstanden habe, sondern auch langfristig die Perspektiven der Unternehmen verbessern hilft. „Ein Konjunkturprogramm mit dem Fokus auf Investitionen wäre nun erforderlich, auch wenn dafür die schwarze Null aufgegeben werden muss“, sagt Marcel Fratzscher.
Herr Schweitzer, was ist gefährlicher für Börse und Wirtschaft: das Coronavirus oder eine Wiederwahl Trumps?
Ingo Schweitzer: Weder Corona noch Trump sind auf Dauer gefährlich für die Börsen.
Das müssen Sie erklären. Fangen wir mit Trump an.
Schweitzer: Wir Börsianer wünschen uns inzwischen, dass Trump wieder gewählt wird.
Sie wünschen sich eine Wiederwahl
Trumps?
Schweitzer: Ja, schließlich ist die Chance, dass ein sehr linker Demokrat gegen Trump antritt, groß. Das wäre nicht gut für die Wirtschaft. Auf Trump haben wir uns mittlerweile eingestellt.
Und warum bleiben Sie angesichts des Coronavirus entspannt, obwohl doch die Börsen in der vergangenen Woche praktisch weltweit massiv eingebrochen sind?
Schweitzer: Natürlich wird die Wirtschaft weltweit Einbußen hinnehmen. Wahrscheinlich wird es zu einer globalen Rezession kommen.
Und da bleiben Sie gelassen? Schweitzer: Ja, ich behalte einen ruhigen Kopf. Ich glaube nicht an einen Weltuntergang. Im Gegenteil:
Was wir derzeit an den Börsen erleben, ist eine Korrektur zum Teil deutlich überbewerteter Aktien, die durch das billige Geld der Zentralbanken massiv nach oben getrieben wurden.
Das mag sein. Doch eine Rezession ist doch ein beängstigender Vorgang für eine Volkswirtschaft.
Schweitzer: Wir werden nur eine durch die Folgen des Virus bedingte technische Rezession bekommen, weil zwei Quartale in Folge das Wachstum gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurückgeht. Das ist lediglich eine Wachstumspause. Danach geht es wieder bergauf. Diese Wachstumspause tritt ein, weil viele Firmen aus Fürsorge gegenüber ihren Mitarbeitern gezwungen sein werden, die Betriebe nach Infektionsfällen innerhalb der Belegschaft vorübergehend zu schließen. Und auch Verbraucher werden ihr Konsumverhalten ändern: Sie sagen also Reisen für dieses Jahr ab. Da sie aber 2021 nicht doppelt so viele Reisen machen können, muss die Touristikbranche mit herben Einbußen rechnen. Doch das normalisiert sich nächstes Jahr wieder. Und wer ein Auto kaufen will, verschiebt den Kauf einfach um sechs Monate.
Was ziehen Sie daraus als Vermögensverwalter, der ein Volumen von rund 260 Millionen Euro betreut, für Konsequenzen?
Schweitzer: Wir halten die meisten Aktien weiter und haben uns bisher nur von Reise- und Logistikpapieren getrennt. In Japan ist ja schon die erste Kreuzfahrtgesellschaft Pleite gegangen. Unter dem Coronavirus
werden also vor allem Konzerne aus den Branchen Reise, Luftfahrt und Logistik leiden.
Also etwa TUI, Lufthansa und die Post. An der Börse sagt man ja, es lohnt sich zu kaufen, wenn die Kanonen donnern. Gerade donnern die Virus-kanonen.
Schweitzer: Man sollte zwar nicht ins fallende Messer greifen und jetzt Reise- und Logistikaktien kaufen, aber es ist Zeit, sich bei lange überbewerteten und nun wieder zu vernünftigeren Preisen zu habenden Papieren einzudecken. Hier kann man Aktien aus den Branchen IT und Rohstoffe bevorzugen. Infrage kommen also Unternehmen mit einer großen Kapitaldecke, die nicht pleitegehen können. Viele Anleger haben ja schon wieder gekauft. Am Montag hat sich der Aktienmarkt ja wieder erholt.
Doch der Dax wird sicher erneut Rückschläge hinnehmen müssen. Wie weit kann es noch nach unten gehen? Schweitzer: Schwarzmaler glauben ja, dass der Dax, nachdem er unter 12000 Punkte gerutscht ist, sogar bis 10000 fallen könnte. Das sehe ich im Moment nicht. Es gibt auch in Corona-zeiten mehr Chancen als Risiken am Aktienmarkt.
Wie nutzen Anleger ihre Chancen optimal?
Schweitzer: Jetzt schlägt die Stunde des Börsenhandwerks. IT-, Roboter-, Logistik- und Versicherungsaktien sind interessant.
Wie bohrt man die Dübel in die Aktienwand?
Schweitzer: Gerade Aktiensparpläne über Fonds bewähren sich in solchen Phasen besonders. Bei den Einzelanlagen sollte man am besten in drei Schritten vorgehen: Man teilt einen Betrag, den man übrig hat und anlegen will, in drei Tranchen. Dann kauft man Aktien, die man lange schon haben wollte, welche aber vor Corona überbewertet waren. Nun setzt sich der Anleger mit den beiden weiteren Dritteln seines Geldes zwei Limits für die Aktien. Ein Beispiel: Hat man Aktien in der ersten Tranche für 130 Euro gekauft, beschließt man bei 120 und dann bei 110 Euro noch zwei Mal nachzukaufen. So verringert der Börsianer das Risiko und vermeidet mit zu viel Geld, in ein fallendes Messer zu greifen.
Raten Sie auch dazu, sich mit Gold als der ultimativen Krisenwährung einzudecken?
Schweitzer: Ich sehe weiteres Potenzial für Gold. Dass der Goldpreis vergangene Woche etwas nachgegeben hat, liegt darin, dass Anleger sich von Beständen getrennt haben, um so erlittene Verluste etwa durch Aktienanlagen auszugleichen. Für mich gibt es in Nullzinszeiten einen Dreiklang für die Geldanlage fürs Alter: Aktien als Sachwert, eine eigene, selbst genutzte Immobilie und auch Gold.
„Wir halten die meisten Aktien weiter.“
Wäre es jetzt nicht goldrichtig, ja überfällig, dass die Bundesregierung die Konjunktur ankurbelt? Schweitzer: Die Politik ist jetzt vor den Notenbanken am Zug. Mit erleichterten Möglichkeiten, Kurzarbeit einzuführen oder Überbrückungskrediten, die Firmen etwa erst in fünf Jahren zurückzahlen müssen, kann die Politik viel tun. Ich halte auch Konjunkturprogramme für überfällig. Wir müssen die Schuldenbremse lockern. Deutschland spart sich zu Tode. Das Geld muss etwa in den Ausbau digitaler Infrastruktur fließen.
Interview: Stefan Stahl