Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Reisen als Chance für die Menschen
Sozialverantwortlicher Urlaub ist im Trend. Der „TO Do!“-award zeichnet jedes Jahr vorbildliche Projekte aus
In Australien wüten Buschfeuer, in China verbreitet sich der Coronavirus, in der Arktis schmelzen die Gletscher. Und ein 16-jähriges Mädchen aus Schweden hat mit ihrem Schulstreik die Umweltproblematik zurück in die Schlagzeilen gebracht. Reisen mit gutem Gewissen – ist das in überhaupt noch möglich? Aber was wäre, wenn es keine Touristen mehr gäbe? Wenn niemand mehr reisen würde? Alle Jahre wieder zeigt der TO DO! Award, dass Reisen unter Umständen sogar lebenswichtig sein kann – für die Menschen vor Ort.
„Seit Jahren wächst die Zahl der Einreichungen zum TO DO! Award kontinuierlich“, freut sich Claudia Mitteneder, die Geschäftsführerin des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung, unter dessen Ägide der Preis bereits seit 25 Jahren verliehen wird. „Mit 37 Projekten aus 21 Ländern und vier Kontinenten können wir 2020 einen neuen
Rekord verzeichnen.“Auch die 2020 ausgezeichneten Projekte helfen dabei, ökonomische, ökologische und soziale Perspektiven für die einheimische Bevölkerung zu schaffen und deren Lebensbedingungen zu verbessern. Damit tragen sie auch wesentlich dazu bei, die Landflucht in größere Städte einzudämmen. Bei der Ausschreibung des 25. TO DO! Award haben sich zwei Tourismusprojekte aus dem Iran und Kambodscha durchgesetzt. Die Preise werden im Rahmen der Internationalen Tourismusbörse Berlin überreicht.
Das sind die diesjährigen Sieger:
● Iran: Esfahk Historic Village – auferstanden aus Ruinen
1978 hatte in der iranischen Provinz Süd-khorasan ein verheerendes Erdbeben viele traditionelle Lehmbau-dörfer zerstört; unter anderem das Wüstendorf Esfahk. Dabei waren viele Menschen ums Leben gekommen. In Eigenregie bauten die Überlebenden das Dorf behutsam wieder auf. Alle Generationen verständigten sich darauf, inmitten der Ruinen des zerstörten Dorfes und ohne fremde Investoren ein touristisch nutzbares und kulturhistorisch bedeutsames Zentrum zu schaffen. Inzwischen wurden sieben Restaurants und Pensionen im alten Lehmbaustil erdbebensicher aufgebaut bzw. renoviert. Die Moschee, das ehemalige Hamam, ein Kaffeehaus und ein Geschäft für lokales Kunsthandwerk ergänzen das Angebot. In den touristischen Einrichtungen haben die Dörfler einen Arbeitsplatz gefunden und können auf jährlich rund 3500 Übernachtungsgäste aus dem In- und Ausland verweisen.
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Info: www.caoi.ir/en/projects/item/ 1038-esfahak-historic-village.html
● Kambodscha: Banteay Chhmar Community Based Tourism
Die Tempelanlage von Banteay Chhmar ist Herzstück und Namensgeber der Banteay Chhmar Community Based Tourism Initiative im Nordwesten Kambodschas. Die im 12. Jahrhundert errichtete Tempelanlage gilt als einer der wichtigsten Kulturschätze des Landes. Hier vermitteln die Bewohner der vier umliegenden Gemeinden Einblick in den Dorfalltag. Die Gäste können die Bauern beispielsweise auf dem traditionellen Ochsenkarren zur Reisernte begleiten oder zuschauen, wie lokale Speisen zubereitet werden. Übernachten können sie in Homestay-unterkünften. Seit 2006 steuert ein demokratisch gewähltes Komitee alle touristischen Aktivitäten. Mehr als 90 Familien profitieren von den Arbeitsplätzen im Tourismus. Über einen Dorfentwicklungs-fonds werden Maßnahmen finanziert, die allen zugutekommen. ⓘ
Info www.visitbanteaychhmar.org/ about/
● Der „TO DO! Award Human Rights in Tourism“geht an die Nichtregierungsorganisation „Fundación Renacer/ecpat Colombia“. Mit der Kampagne „La Muralla soy yo!“– „Der Schutzwall bin ich!“hat die kolumbianische NGO in den vergangenen 25 Jahren verschiedenste Akteure im Kampf gegen sexuelle Gewalt und Ausbeutung von Heranwachsenden zusammengebracht.
„La Muralla“, ein von den Spaniern erbauter Schutzwall in Cartagena, umschließt heute die Altstadt der Karibikmetropole. Als Welterbestätte zieht sie alljährlich hunderttausende Touristen an. Auch sie waren eine lange Zeit unterschätzte Gefahr für Kinder und Jugendliche, wie die Nichtregierungsorganisation „Fundación Renacer/ecpat Colombia“schon 1996 feststellte. 2008 wurde das Projekt „La Muralla soy yo“ins Leben gerufen und seither ist „La Muralla“Symbol für eine Strategie, mit der alle Akteure der Stadt, auch Tourismusverbände, Hotels, Strandverkäufer, Taxifahrer, Polizei und Staatsanwaltschaft – das schützen, was ihnen am wichtigsten ist: die Mädchen und Jungen der Stadt. Sie alle sagen voll Stolz: „La Muralla soy yo!“– „Der Schutzwall bin ich!“