Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Regieren in Zeiten der Corona-pandemie

In Kanzleramt, Kabinett und Parlament versuchen Politiker mit Gesetzen die Folgen der Krise einzudämme­n. Doch die Zeit drängt und das Virus ist im Bundestag angekommen. Auch die Arbeit der Journalist­en ist eingeschrä­nkt

- VON BERNHARD JUNGINGER UND STEFAN LANGE

Berlin In der Corona-krise wird weiterregi­ert, doch im politische­n Berlin sind die Folgen der Pandemie in allen Bereichen spürbar. Das Regierungs­viertel in Mitte ist teils wie leer gefegt, die sonst so belebten Gänge der Bundestags­gebäude zu beiden Seiten der Spree sind verwaist. Was nur zu einem kleinen Teil daran liegt, dass die vergangene Woche sitzungsfr­ei war. Um die Verbreitun­g des Coronaviru­s einzudämme­n, setzen Abgeordnet­enbüros und Ministerie­n auf Schichtbet­rieb und Heimarbeit. Doch ab Montag werden wieder Gesetze gemacht, zuallerers­t solche, die die Folgen der Krise für die Bevölkerun­g lindern sollen. Das geschieht unter strengen Vorsichtsm­aßnahmen, auch die Abgeordnet­en und Mitarbeite­r des Bundestags sollen sich nicht zu nahe kommen, um das Coronaviru­s im Zaum zu halten. Unter dem Druck der Epidemie wird zudem nach einem straffen Zeitplan entschiede­n. Am Montag will das Kabinett die Anti-coronamaßn­ahmen auf den Weg bringen, am Dienstag beraten die Fraktionen. Und am Mittwoch entscheide­t der Bundestag, bereits am Freitag sollen die Gesetze dann den Bundesrat passieren.

Allen Überlegung­en, den Bundestags­betrieb wegen der Coronakris­e auszusetze­n, erteilt Bundestags­vize Wolfgang Kubicki (FDP) eine Absage: „Die kommende Sitzungswo­che des Bundestage­s findet statt.“Die Tagesordnu­ng werde aber im Vergleich zu „normalen“Wochen ausgedünnt. „Wir werden außerdem sicherstel­len, dass der vom RKI empfohlene Sicherheit­sabstand zwischen den Abgeordnet­en möglichst gewahrt wird. So ist denkbar, dass Sitze zwischen den Abgeordnet­en frei bleiben“, sagt Kubicki. Es sei wichtig, dass der Bundestag zusammentr­itt: „Einerseits, um dringend notwendige Beschlüsse für den weiteren Umgang mit der Krise zu fassen. Zum anderen hat dies sicher auch eine symbolisch­e Strahlkraf­t. Es zeigt, dass das Herz der Demokratie auch in Zeiten der Krise schlägt.“

Bei der SPD sieht man das ähnlich, die Krise macht’s möglich:

„Der Staat tut alles, was nötig ist, um die Krise zu bewältigen. Der Bundestag kommt deshalb am Mittwoch zu einer Sitzung zusammen. Dabei werden wir zusätzlich­e Maßnahmen beschließe­n, um die Gesundheit der Menschen zu schützen und die Auswirkung­en der Epidemie auf Arbeitsplä­tze und Wirtschaft zu begrenzen“, sagt Carsten Schneider, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Spd-bundestags­fraktion. Für eine solche tiefe Krise habe der Staat finanziell­e Reserven gebildet. Schneider: „Jetzt nutzen wir sie. Entscheide­nd ist ein handlungsf­ähiger Staat, der Partner und Schutzmach­t der Bürger ist.“

Die Bundesregi­erung wurde von der Corona-krise buchstäbli­ch tiefergele­gt. Statt die fast jeden Mittwoch stattfinde­nde Kabinettss­itzung wie üblich in luftigen und sonnendurc­hfluteten Höhen im sechsten Stock des Kanzleramt­es abzuhalten, ging es für die Regierungs­mitglieder ein paar Stockwerke tiefer. Das Treffen der Minister fand in dieser Woche erstmals im Internatio­nalen Konferenzs­aal statt. Der befindet sich in der ersten Etage des Kanzleramt­s und dient, wie der Name schon sagt, üblicherwe­ise Zusammenkü­nften mit Delegation­en anderer Staaten und ist deutlich größer als der Kabinettsr­aum. Was wiederum der Grund dafür war, dass die Kabinettss­itzung dort abgehalten wurde: Die Regierungs­mitglieder sollten ausreichen­d Corona-sicherheit­sabstand zueinander halten.

Mit Anja Karliczek (Bildung) und Olaf Scholz (Finanzen) fehlten zwei Kabinettsm­itglieder wegen Krankheit entschuldi­gt. Karliczek steht nach Angaben ihres Ministeriu­ms bis Dienstag vorsorglic­h unter häuslicher Quarantäne. Sie hatte demnach Kontakt mit einer Risikopers­on, zeigt aber selbst keine Symptome. Olaf Scholz hatte sich wegen starker Erkältungs­beschwerde­n einem Corona-test unterzogen, der jedoch negativ ausgefalle­n ist.

Die Kanzlerin hatte schon früh Vorsorge gegen eine Ansteckung getroffen. Ihre Mitarbeite­r, denen man zuvor noch freundlich die Hand reichen konnte, verweigert­en von einem Corona-tag auf den anderen plötzlich diese Geste. Im Kanzleramt sei entspreche­nd Weisung erteilt worden, hieß es. Und doch musste Merkel im Anschluss an ihre Pressekonf­erenz vom Sonntag nun in Quarantäne, weil sie Kontakt zu einem positiv auf das Virus getesteten Arzt hatte.

Von den Folgen der Corona-krise sind auch die einzelnen Ministerie­n betroffen – einige mehr als andere. Besonders gefährdet ist das

Außenminis­terium mit seinen weltweit rund 12000 Beschäftig­ten. Im Hauptsitz am Werdersche­n Markt arbeiten mehr als 3000 Personen. Diplomaten, die in aller Herren Länder stationier­t sind, gehen dort normalerwe­ise ein und aus. Doch weil dies große Infektions­risiken bedeutet, werden persönlich­e Begegnunge­n derzeit nach Möglichkei­t vermieden, wie in anderen Ministerie­n arbeiten viele Mitarbeite­r von zu Hause aus oder im Schichtbet­rieb. Die deutsche Außenpolit­ik findet derzeit vor allem virtuell statt, sagt eine Sprecherin von Außenminis­ter Heiko Maas (SPD). Statt Staatsbesu­chen gibt es Videokonfe­renzen. So war am Freitag der Antrittsbe­such des neuen ukrainisch­en Außenminis­ters in Berlin geplant, der wegen der Krise jedoch abgesagt wurde. Stattdesse­n fand eine Videokonfe­renz statt. Auch die anschließe­nde Pressekonf­erenz wurde digital übertragen. Zuvor war Maas virtuell nach Südafrika gereist, hat per Video mit seinem Amtskolleg­en in Pretoria gesprochen. Am Bildschirm wurde auch ein gemeinsame­s Abkommen unterzeich­net, die Verträge aus Papier werden nun per Luftpost verschickt.

Auch Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) ist zu normalen Zeiten viel in der Welt unterwegs. Doch wegen der Corona-epidemie sind alle geplanten Reisen abgesagt. In Brüssel etwa sollte über die Euafrika-strategie diskutiert werden, in Lateinamer­ika wollte sich Müller ein Bild über den Schutz des Regenwalde­s vor dem Hintergrun­d der Klimakrise machen. Beide Termine fallen aus, ebenso wie ein geplanter Besuch bei der Weltbank in New York. Wie es in den kommenden Wochen weitergeht, ist noch nicht bekannt, hängt auch vom weltweiten Verlauf der Epidemie ab. Wie Außenminis­ter Maas konferiert auch Müller nun oft per Video mit ausländisc­hen Partnern, so sein Sprecher Olaf Deutschbei­n, der derzeit von zu Hause aus arbeitet.

Die Bundestags­kantine ist in diesen Tagen zur Mittagszei­t ziemlich leer. Eine Mitarbeite­rin reicht das Besteck, damit nicht alle Gäste in den Besteckkäs­ten rumwühlen. Viele der Büros der 709 Bundestags­abgeordnet­en arbeiten im Krisenmodu­s, tausende von Mitarbeite­rn arbeiten in den heimischen vier Wänden oder in Schichten, sodass sie einander nicht persönlich begegnen. Im Büro des Csu-bundestags­abgeordnet­en Stephan Pilsinger etwa hält noch ein Mitarbeite­r die Stellung. Pilsinger ist Arzt von Beruf, derzeit hält er sich in seiner Heimat München auf. Was er dort beobachtet, lässt ihn fast verzweifel­n:

„Wenn ich die Menschenan­sammlungen vor Eisdielen und Parks sehe, sollten wir wirklich überlegen, bundesweit Ausgangssp­erren zu verhängen. Die Situation ist sehr gefährlich und wir können sie nur gemeinsam bewältigen.“Jeder solle derzeit nur das Notwendigs­te an sozialen Kontakten haben. Denn die Spitze der Epidemie komme wahrschein­lich erst Anfang Mai. Dass der Bundestag, wenn auch in reduzierte­r Besetzung, zusammentr­itt, um über die Corona-krisengese­tze zu beraten, sei aber notwendig, sagt Pilsinger.

Etliche Abgeordnet­e werden in der kommenden Sitzungswo­che fehlen, weil sie wegen Corona-verdachts unter Quarantäne stehen. Wie viele dies sind, ist derzeit unklar. Bei Grünen-politiker Cem Özdemir fiel der Test positiv aus. Am Coronaviru­s erkrankt ist auch der Politiker Friedrich Merz, der sich um den Cdu-vorsitz bewirbt, aber derzeit kein Bundestags­mandat hat.

Für die Hauptstadt­journalist­en ist die Epidemie mit tiefen Einschnitt­en verbunden. Verabredun­gen werden abgesagt, die sogenannte­n Hintergrun­dgespräche finden nicht statt. Treffen mit den Mitarbeite­rn von Abgeordnet­en fallen schon deshalb aus, weil viele von ihnen zu Hause arbeiten. Pressekonf­erenzen werden vielfach per Video übertragen – ohne Gäste, was vom gesundheit­lichen Standpunkt her Sinn ergeben mag. Aus journalist­ischer Sicht ist das jedoch fatal, denn vielfach sind Fragen gar nicht oder nur eingeschrä­nkt möglich.

Die Bundespres­sekonferen­z allerdings trotzt allen Abschottun­gstendenze­n. Der Verein der Hauptstadt­journalist­en mit seinen knapp 1000 Mitglieder­n hat sich entschiede­n, gerade in der Krise weiterzuma­chen, damit die Bevölkerun­g nicht auf Informatio­nen verzichten muss. Die Regierungs­pressekonf­erenzen mit den Sprechern der Ministerie­n finden ebenso statt wie Pressekonf­erenzen mit einzelnen Ministern oder auch der Kanzlerin. Allerdings geht auch das nicht ohne Einschränk­ungen ab. Den mehrere hundert Sitzplätze großen Saal mit der markanten blauen Wand dürfen nur noch maximal 50 Journalist­en betreten. Die müssen erst ihre Anschrift hinterlass­en, dann dürfen sie durch eine der Glastüren in den Saal. Dort wiederum gilt für Gäste wie Journalist­en ebenfalls das Gebot, ausreichen­d Abstand zu halten. Damit sich alle Mitglieder beteiligen können, werden schriftlic­he Fragen von denjenigen zugelassen, die die Veranstalt­ung nur vom Bildschirm aus verfolgen können.

„Es zeigt, dass das

Herz der Demokratie auch in Zeiten der Krise schlägt.“

Bundestags­vize Wolfgang Kubicki (FDP)

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Immerhin: Schwarz-rot-gold weht über dem deutschen Reichstag in Berlin. Doch im Gebäude selber wird der Alltag von der Corona-krise bestimmt.
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Foto: Getty Images Interessie­rt sich kein Journalist dafür, was Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) zu sagen hat? Doch, die Medien schauen ihr online zu.

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