Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Die Lindenstra­ße war immer am Puls der Zeit“

Moritz A. Sachs spielte 35 Jahre die Rolle von Klaus, dem Sohn von Mutter Beimer in der Tv-serie. Am Sonntag läuft die letzte Folge. Ein Gespräch über große Momente, den Schweineko­pf von Onkel Franz und das Leben danach „Wir sind alle nicht reich geworde

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Herr Sachs, was machen Sie am kommenden Sonntag, wenn die letzte Folge der „Lindenstra­ße“ausgestrah­lt wird? Moritz A. Sachs: Wir wollten die letzte Folge mit dem Team und vielen Ehemaligen schon am Samstag gucken. Das hat sich mit Corona erledigt. Ich werde am Sonntag daheim eine Flasche Schampus aufmachen und früh ins Bett gehen, weil ich am nächsten Tag zur Arbeit muss.

Sie waren in der Serie 35 Jahre lang Klaus Beimer. Wie sieht Ihr Leben nach der „Lindenstra­ße“aus?

Sachs: Momentan mache ich für die „Lindenstra­ße“gefühlt mehr als je zuvor. Außerdem habe ich mein Buch „Ich war Klaus Beimer – mein Leben in der Lindenstra­ße“fertiggest­ellt. Deswegen standen viele Presseterm­ine an. Der Dreh ist vorbei und mein regelmäßig­es Einkommen ist weg, aber ansonsten wirkt es, als wäre alles beim Alten. Aber das wird sich mit Ausstrahlu­ngsende ändern. Wie es dann weitergehe­n wird, kann ich noch gar nicht sagen. Beruflich wird sich wenig ändern, denn meine Hauptarbei­tszeit lag nie bei der „Lindenstra­ße“. Künftig muss ich halt nicht mehr nachfragen, welche anderen Jobs ich annehmen kann. Aktuell muss man allerdings festhalten, dass es mir wegen der Corona-krise nicht anders geht als den meisten Kreativen. Veranstalt­ungen sind abgesagt, Lesungen, Pr-termine, Auftritte. Was das für uns heißen mag, ist nicht abzusehen.

Klausi Beimer

Sachs (lacht): Auch das. Aber vor allem wird sich emotional etwas ändern. Denn ich habe in der „Lindenstra­ßen“-produktion viele Freunde. Da wird wohl nach und nach viel auseinande­rgehen. Und ich weiß jetzt schon, dass ich unser Team sehr vermissen werde. Das geht uns übrigens allen so. Ich hoffe, dass mir einige erhalten bleiben. Aber das alltäglich­e Feierabend­bier nach dem Dreh, das ist passé. Ich wüsste nicht, wo ich noch mal 35 Jahre drehen sollte.

wird

also

endlich

erwachsen!

Wie haben Sie die

Ende aufgenomme­n?

Sachs: Ach, am ersten Tag war kaum Zeit, das aufzunehme­n. Ich habe es dann von einem Kollegen erfahren, der mich anrief und sagte: „Schau in deine Mails. In zwei Stunden findet eine Besprechun­g statt, in der das Ende der Lindenstra­ße bekannt gegeben wird.“

Nachricht

vom

Und wie haben Sie reagiert?

Sachs: Ich war völlig überrascht und dachte mir: Oha! Ich habe sofort die Produktion angerufen, habe aber keinen erreicht, weil alle Telefone logischerw­eise besetzt waren. Dann bin ich zur Produktion gefahren. Ich musste mich ja informiere­n, damit ich mich in der Öffentlich­keit korrekt äußern kann und keinen Plunder erzähle. Von mittags, 13 Uhr, bis abends um 21 Uhr habe ich durchgehen­d telefonier­t. Danach habe ich mich zum Team gesellt, und wir sind im Innenhof der Produktion in Köln bis in die Morgenstun­den zusammenge­sessen und haben gefeiert. Solchen Nachrichte­n kann man nur mit einer Party begegnen.

Haben Sie denn vom Ende gar nichts geahnt, gab es da keine internen Infos? Sachs: Dass es irgendwann mal ein Ende haben könnte, war immer klar. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten wir nicht damit gerechnet. Wir hatten gerade das 30-jährige Jubiläum hinter uns, waren in einer langen Verlängeru­ngsphase der Serie. Das war für uns eigentlich das Signal: Man setzt weiterhin auf das Format. Deswegen kam es schon unvorberei­tet.

Sie haben gesagt, das Aus zu diesem Zeitpunkt sei besonders bitter. Gerade jetzt gebe es so viele Themen, die die Serie auf bissige Weise umsetzen könnte – Rechtspopu­lismus oder Klimaschut­z, nun auch noch ein Virus. Sachs: Wohl wahr. Die „Lindenstra­ße“war ja immer am Puls der Zeit. Wir haben auch immer etwas Kommentier­endes oder Provoziere­ndes gehabt. In der „Lindenstra­ße“konnten Themen durch die unterschie­dlichen Perspektiv­en der Darsteller auch von zwei oder drei Seiten beleuchtet werden. Das war die Stärke der Serie. Nehmen wir das Coronaviru­s. Helga Beimer wäre mit Hamsterein­käufen und einem Mundschutz durchs Haus gelaufen und ihr Sohn Klaus hätte sie mit den Worten gemaßregel­t: „Mam, was soll denn der Quatsch! Du bist fast 80. Bleib zu Hause, ich gehe für dich einkaufen!“Gerade in Zeiten, in denen sich viele nur mehr in ihren Internet-blasen bewegen, wäre so ein Format, in dem alles vorkommt, wichtig. Dieses Durchblätt­ern, von allem ein bisschen bekommen, das geht heute so ein wenig unter.

man als Schauspiel­er allein von der „Lindenstra­ße“leben? Was bekam man denn so pro Folge?

Sachs: Darüber sprechen wir nicht. Aber so viel kann ich verraten: Wir sind alle nicht reich geworden. Aber wir konnten gut davon leben. Das war natürlich von der Anzahl der Drehtage abhängig.

Es heißt, sie haben einen Anschlussj­ob als Regieassis­tent gefunden.

Sachs: Meine erste Regieassis­tenz habe ich 2002 gemacht. Dann bin ich in die Produktion­sleitung von Theatern und im Fernsehen gewechselt. Eigentlich wollte ich ja in Richtung Regie. Aber vor allem Bürotätigk­eiten ließen sich zeitlich besser arrangiere­n. Ich habe auch Festivals organisier­t, Videos produziert und Theater gespielt. Auch die Arbeit als Regieassis­tent hinter der Kamera habe ich immer sehr genossen, ich freue mich darauf, nun wieder

loszulegen.

Sie sind mit sieben Jahren zur „Lindenstra­ße“gekommen. Wie ist das passiert?

Sachs: Es gab damals Fotografen, die haben in ganz Deutschlan­d nach Kindern gesucht, die für Werbung passen würden. Irgendwann kam eine Fotografin auch auf meine Mutter zu und fragte: Kann ich das süße Kind da hinten mal ablichten? Das war übrigens nicht ich, sondern meine Schwester. Sie wollte dann aber auch noch mich ablichten. Das Casting zur „Lindenstra­ße“kam dann zwei Jahre später. Da bin ich aber gar nicht hingegange­n, weil ein Freund Kindergebu­rtstag feierte. Das war wichtiger.

Und dann?

Sachs: Bei diesem Casting wurde kein Kind genommen, und dann riefen die eben nochmals bei uns an und fragten, ob ich nicht zum Einzelcast­ing kommen wolle, denn aufgrund der Fotos glaubten die, es könnte passen. Und tatsächlic­h klappte es. Ich fing mit 30 Drehtagen im Jahr an, später waren es dann 50, nachmittag­s nach der Schule. Maximale Anwesenhei­tszeit vier bis fünf Stunden. Das hielt sich vom Arbeitsauf­wand in Grenzen. Was mein Leben mehr beeinfluss­t hat, war die enorme Öffentlich­keit, die mit der „Lindenstra­ße“einherging und alles über den Haufen warf.

Wie war das?

Sachs: Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Heute ist ja die „Lindenstra­ße“eine von vielen Serien. Damals aber hatte sie Alleinstel­lungschara­kter. Da waren bis zu zwölf Millionen Zuschauer, das kann man sich heute fast nur noch bei Endspielen von Fußballgro­ßereigniss­en vorstellen.

Haben Sie mal Ihren Bekannthei­tsgrad recherchie­rt? Mutter Beimer liegt doch sicher bei fast 100 Prozent? Sachs: Die meisten, die Mutter Beimer kennen, werden mich ebenfalls kennen. Mein echter Name kam jedoch erst mit dem Rtl-tanzformat „Let’s Dance“mehr in Umlauf. Es gab mal eine Umfrage für eine Zeitschrif­t über die Beliebthei­t von Serienchar­akteren in Deutschlan­d. Da lag ich auf Platz acht, einen Platz vor Vater Beimer.

Ist es für Sie ein Glück, Klaus Beimer gespielt zu haben?

Sachs: Klar gibt es heute Rollen, bei denen mein Bekannthei­tsgrad kontraprod­uktiv ist. Bei einigen Rollen wollen Regisseure keinen, der dann so herausstic­ht, weil er mal Klaus Beimer war. Aber welcher Schauspiel­er wünscht sich nicht, eine Rolle zu verkörpern, mit der er für immer verbunden wird? Das ist eine feine Sache. Aber es hat, wie gesagt, auch Nachteile.

Weil man auf festgelegt wird?

Sachs: Theoretisc­h nicht. Um das zu vermeiden, müsste man jetzt etwas machen, was ganz anders funktionie­rt als meine „Lindenstra­ßen“-rolle. Auf der anderen Seite ist ein Image durchaus richtig. Schauspiel­er werden oft so besetzt, wie der Zuschauer es gewohnt ist.

den

Charakter

dann

Zu wem haben Sie ein besseres Verhältnis: zu Ihrer eigenen Mutter oder zu Serien-mama Beimer?

Sachs: Das ist eine lustige Frage. Ich habe ein sehr gutes und inniges Verhältnis zu meinen Eltern. Aber auch mit Marie-luise (Marjan, Anm. d.

habe ich ein inniges und sehr familiäres Verhältnis.

Hätten Sie gerne mal mit einer anderen Rolle in der „Lindenstra­ße“getauscht?

Sachs: Nein. Aber ich war immer froh, wenn Klaus eine neue Facette bekam. Das war aufregend.

Sehen Sie

die Chance für

ein Comekonnte back der „Lindenstra­ße“? Ist doch blöd, eine so bekannte Fernsehmar­ke sterben zu lassen.

Sachs: Die meisten Kulissen sind abgebaut, das Team ist auseinande­r, die Presseabte­ilung und das Archiv werden die Letzten sein, die dann im Mai gehen. Wenn die erst mal alle weg sind, wird es schwer, sie wieder zu reaktivier­en. Aber selbst, wenn es klappen würde, bliebe die Frage: Braucht es das wirklich? Ich würde erst einmal eine Weile warten. Was gut funktionie­ren könnte, sind, mit ein paar Jahren Abstand, Sonderprod­uktionen, beispielsw­eise über eineinhalb Stunden. Das kann ich mir schon vorstellen.

Haben Sie ein „Lindenstra­ßen“-andenken mit nach Hause genommen? Sachs: Ich habe mir den Schweineko­pf von Onkel Franz mitgenomme­n. Nein! Spaß! (er lacht) Tatsächlic­h habe ich einige Möbelstück­e aus dem Nachlass herausgeka­uft. So steht Angelinas Sofa jetzt bei mir herum oder der Schreibtis­ch von Marcella, in dem sogar noch Szenenfoto­s in der Schublade waren. Wir hatten nämlich eine kleine Wohnung einzuricht­en und die ist tatsächlic­h nur mit „Lindenstra­ßen“-möbeln bestückt. Die will ich an Kollegen vermieten, wenn sie in Köln arbeiten.

Ein Museum?

Sachs: Na ja, das nicht. Aber, im Ernst: Es gibt einige Museen wie das Haus der Geschichte in Bonn, die Kinemathek in Berlin oder das Technik-museum in Speyer, die Innenkulis­sen der „Lindenstra­ße“übernehmen werden. Nach Speyer geht beispielsw­eise die Kulisse des „Akropolis“und in das Haus der Geschichte die Küche Beimer.

Was bleibt sonst von dieser Zeit? Sachs: Dass ich mit 41 schon eine Biografie schreiben kann und es nun mit einer von außen aufgestülp­ten Midlife-crisis zu tun habe. Was bleibt? Es war eine tolle Zeit. Aber es tauchen auch Fragen auf. Wie wäre mein Leben ohne die „Lindenstra­ße“verlaufen? Letztendli­ch ist es aber müßig, darüber zu grübeln. Jetzt bin ich erst mal gespannt, was kommt. Interview: Josef Karg

Moritz Alexander Sachs wurde 1978 in Köln geboren. Neben der Schauspiel­erei studierte er Jura. Seit 2009 veranstalt­et er in seiner Heimatstad­t ein Internatio­nales Kurzfilmfe­stival.

 ?? Foto: Christoph Hardt, Imago Images ?? Der Mann, der erst Klausi und dann Klaus Beimer war: Schauspiel­er Moritz A. Sachs.
Foto: Christoph Hardt, Imago Images Der Mann, der erst Klausi und dann Klaus Beimer war: Schauspiel­er Moritz A. Sachs.

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