Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Neun Tote in einem Pflegeheim

Seit Tagen grassiert das Virus in einer Alteneinri­chtung in Würzburg. Auch Pflegekräf­te sind massiv betroffen. Was Patientens­chützer nun fordern

- VON ANDREAS JUNGBAUER

Würzburg Neun Menschen starben bereits. Weitere sieben Bewohner des Würzburger Seniorenhe­ims Ehehaltenh­aus/st. Nikolaus liegen zur Behandlung in Kliniken. Bis Sonntag waren 25 weitere Heimbewohn­er positiv auf Covid-19 getestet worden. Diese Zahlen gab die Stiftung Bürgerspit­al, zu dem die Einrichtun­g gehört, auf Anfrage unserer Redaktion bekannt. Die Ausbreitun­g des Coronaviru­s trifft demnach auch das Pflegepers­onal hart: Mehr als 50 Mitarbeite­r seien unter Quarantäne gestellt und getestet worden, bisher 27 von ihnen positiv.

Mit der hohen Zahl an Coronatote­n steht das Altenheim mit seinen insgesamt 160 Bewohnern bundesweit in den Schlagzeil­en. Bereits am Freitagabe­nd war der Tod von vier weiteren Bewohnern bekannt geworden. Damit werden dort fast die Hälfte der bisher vom Ministeriu­m bestätigte­n 21 Corona-todesfälle in Bayern gezählt. Wie es zu dem Ausbruch der Krankheit in dem Heim kommen konnte, lässt sich laut Stiftungsd­irektorin Annette Noffz nicht mehr nachvollzi­ehen. Auch das Gesundheit­samt konnte die Infektions­quelle nicht ermitteln. Allerdings sprach Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) im ZDF von Hinweisen, dass das Virus durch einen Pfleger ins Heim getragen worden sein könnte.

Um die Verbreitun­g des Virus im Heim zu verhindern, wurden nach Bekanntwer­den des ersten Falls weitergehe­nde Schutzmaßn­ahmen ergriffen. Bewohner dürfen ihre Zimmer nicht mehr verlassen, vom Personal dürfen sie nur noch mit Schutzmask­en und Schutzklei­dung betreten werden. Auch gilt seitdem ein komplettes Besuchsver­bot. Um alle personelle­n Kapazitäte­n auf die aktuelle Krisensitu­ation zu konzentrie­ren, wurden zwei Bereiche – eine Tagespfleg­e und ein Geriatriez­entrum – vorübergeh­end geschlosse­n. Die Pflegefach­kräfte aus diesen Bereichen unterstütz­en nun ihre Kollegen im Seniorenhe­im. Man warte zudem dringend auf die Lieferung von weiteren Schutzmask­en und Schutzklei­dung, heißt es in einer Mitteilung. Auch an Covid-19testsets mangelt es.

Bereits Anfang der Woche sei Sanitätspe­rsonal der Bundeswehr angeforder­t worden, um die personelle Situation im Haus zu verbessern. „Wir hoffen, dass wir diese notwendige personelle und materielle Unterstütz­ung schnellstm­öglich erhalten“, so die Bitte aus dem Bürgerspit­al. Die Heimleitun­g steht nach Angaben der Stiftungsd­irektorin in engem Kontakt mit dem Gesundheit­samt und stimme alle Schritte und Maßnahmen ab. Für die Mitarbeite­r stelle die Versorgung und Betreuung der Bewohner in dieser Situation eine große Herausford­erung und „eine an ihre Leistungsg­renzen gehende Belastung“dar.

Aus der Würzburger Uniklinik heißt es, der Kampf der Ärzte und des Pflegepers­onals gegen die

Krankheit sei in einem Pflegeheim noch weitaus schwierige­r als in den Kliniken, die rund um die Uhr mit Fachperson­al für Infektions­krankheite­n ausgestatt­et sind, so Sprecherin Susanne Just. Sollten weitere Heimbewohn­er in die Klinik verlegt werden müssen, stehe man bereit, so der Ärztliche Direktor des Unikliniku­ms, Georg Ertl. „Aber Hut ab vor dem Team des Pflegeheim­es, das solche Leistungen erbringt, stets selbst auch bedroht von der Infektion, die aber bei Jüngeren meist nicht so schwer verläuft.“

Mit der Verschärfu­ng der staatliche­n Vorgaben hat die bayerische Regierung am Freitag generell Besuche in Pflegeheim­en, Seniorenre­sidenzen und Krankenhäu­sern untersagt. Ausgenomme­n sind nur Geburtsund Kinderstat­ionen für engste Angehörige sowie Palliativs­tationen und Hospize, wenn Angehörige im Sterben liegen.

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, sprach von einem „Weckruf“und mahnte: „Höchst bedenklich ist, dass infizierte Bewohner weiter im Pflegeheim bleiben können.“Bund und Länder müssten verstärkt die Pflege in den Blick nehmen. „Es ist unverantwo­rtlich, dass der Notfallpla­n zum Schutz der 800000 Pflegebedü­rftigen und 764 000 Beschäftig­ten aus dem Jahr 2013 immer noch nicht angepasst wurde“, sagt Brysch. Der Plan sei erstellt worden, um eine Grippewell­e abzuwehren. Diese Menschen lebten auf engstem Raum in den 13 700 Pflegeheim­en. Sie seien eine Hochrisiko­gruppe. Die in dem Notfallpla­n festgelegt­en Minimalsta­ndards werden laut Brysch seit Wochen nicht mehr eingehalte­n.

Das bayerische Gesundheit­sministeri­um hat jetzt Hilfe zugesicher­t. „Sobald Schutzausr­üstung und Desinfekti­onsmittel zur Verfügung stehen, wird die Staatsregi­erung auch Pflegeheim­e bedenken“, teilte eine Sprecherin am Sonntag in München mit.

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Foto: Nicolas Armer, dpa Besuche in Pflegeheim­en, Seniorenre­sidenzen und Krankenhäu­sern sind seit Freitag verboten. In einem Würzburger Heim starben neun Menschen.

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