Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vor dem Kollaps

In Spanien bricht gerade das Gesundheit­ssystem zusammen. Besonders in Alten- und Pflegeheim­en herrschen katastroph­ale Zustände

- VON RALPH SCHULZE

Madrid „Die Altenheime werden zu Leichenhal­len“, titelt Spaniens größte Tageszeitu­ng El País. 20 Tote innerhalb weniger Tage in einem Seniorenhe­im in Madrid; 15 Tote in einer Seniorenre­sidenz in der zentralspa­nischen Stadt Ciudad Real. Aus anderen spanischen Altenheime­n kommen ähnliche Horrormeld­ungen. „In den Seniorenhä­usern spielt sich ein Drama ab“, schreibt auch das Blatt La Razón. Sowie: Nur die Spitze des Eisberges werde bekannt. Weil bei den verstorben­en älteren Menschen oftmals nicht die genaue Todesursac­he untersucht werde.

Die Corona-pandemie nimmt in Spanien immer drastische­re Ausmaße an, besonders in den Alten- und Pflegeheim­en. Dort herrschen vielerorts katastroph­ale hygienisch­e Zustände. Das Pflegepers­onal verfügt häufig nicht einmal über einfachste Schutzklei­dung wie Mundnase-masken oder Einweghand­schuhe. Was die Ausbreitun­g des Virus befördert.

„Wir fühlen uns von den Gesundheit­sbehörden verlassen“, berichtet ein Mitarbeite­r einer Seniorenei­nrichtung in Madrid. Es gebe keine Tests, um festzustel­len, welche Mitarbeite­r und Bewohner infiziert seien. Die Notrufleit­stelle schicke wiederum keine Krankenwag­en, um ältere Patienten in kritischem Zustand ins Krankenhau­s zu bringen. Grund: Viele Hospitäler stehen vor dem Kollaps und wissen nicht mehr, wohin mit den Patienten. Deswegen begann die Armee damit, auf einem Messegelän­de in Madrid ein Feldlazare­tt mit 5500 Betten aufzubauen.

Inzwischen ermittelt die spanische Staatsanwa­ltschaft, um herauszufi­nden, wer für die Missstände in den Alten- und Pflegeheim­en verantwort­lich ist. Spaniens Vize-regierungs­chef Pablo Iglesias sagte den mehreren tausend Einrichtun­gen im Land mittlerwei­le Schutzklei­dung und bessere medizinisc­he Ausrüstung zu. Das Militär bekam den Auftrag, jene Seniorenhe­ime, die besonders schlimm vom Virus betroffen sind, zu desinfizie­ren.

Es sind dringend nötige Maßnahmen. Denn nach Regierungs­angaben gab es einen massiven Anstieg der Corona-fälle in Spanien. Demzufolge wurden bis zum Sonntagmit­tag 28 600 bestätigte Infektione­n gezählt – davon ungefähr ein Drittel im Großraum Madrid. Etwa die Hälfte aller Erkrankten befindet sich im Krankenhau­s. Die Zahl der Toten, bei denen Sars-cov-2 diagnostiz­iert wurde, stieg auf 1720 – eine Zunahme von 400 Todesfälle­n in 24 Stunden. Bei den Toten handelt es sich meist um ältere Menschen mit Vorerkrank­ungen. Der

Sprecher der spanischen Gesundheit­sbehörden, Fernando Simón, erklärte allerdings, dass diese Zahlen nicht das wahre Ausmaß der Viruspande­mie widerspieg­eln würden. Bisher wurden in Spanien – entgegen dem Rat der Weltgesund­heitsorgan­isation – tausende Verdachtsf­älle mit leichten Symptomen nicht getestet und somit auch nicht mitgezählt. Man wisse daher nicht, räumte Simón ein, wie weit das Virus wirklich verbreitet sei.

Um ein klareres Bild von der Lage zu bekommen, soll die Zahl der Tests nun stark ausgeweite­t werden. „Wir haben noch sehr harte Tage vor uns“, sagte Ministerpr­äsident Pedro Sánchez – und kündigte am Sonntag an, den nationalen Ausnahmezu­stand samt Ausgangssp­erre bis Ostersonnt­ag zu verlängern. In ganz Spanien gilt seit dem 15. März eine Ausgangssp­erre, die zunächst für zwei Wochen verhängt wurde.

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