Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Augsburg, eine Geistersta­dt

Nachdem der Freistaat das öffentlich­e Leben weiter einschränk­t, blieben die Straßen und Plätze der Stadt am Wochenende leer. Viele Menschen äußern Verständni­s für die Maßnahmen, die zu eindrückli­chen Szenen führen

- VON JAN KANDZORA

Es ist ein Satz, den man in diesen Tagen so oft hört wie nie. „Bleiben Sie gesund“, sagt die Kassiereri­n in der Tankstelle zu einer Kundin, die gerade gezahlt hat. „Und bleiben Sie gesund“, heißt es beim Bäcker zum Abschied. „Bleib gesund“, sagen die Leute in Augsburg nun nach Telefonate­n. Oder sie rufen es sich auf der Straße zu, wenn sie aneinander vorbeigehe­n, kurz grüßen und dabei darauf achten, Abstand zueinander zu halten, sich nicht zu nahe zu kommen. Doch das ist eine seltene Szene. Augsburg ist vorübergeh­end eine Geistersta­dt geworden.

Seit der Nacht auf Samstag ist das öffentlich­e Leben in Bayern weiter eingeschrä­nkt, um die Ausbreitun­g des Coronaviru­s zu verlangsam­en. Menschen dürfen ihre Wohnung nur noch mit triftigem Grund verlassen: zum Einkaufen, zum Arztbesuch, um zur Arbeit oder spazieren zu gehen – das allerdings nur alleine oder mit Familienmi­tgliedern, Lebenspart­nern oder Mitbewohne­rn.

Die Folgen waren in der Stadt nicht zu übersehen: Sie blieb weitestgeh­end leer, am Samstag wie am Sonntag. Sonst belebte Orte wie der Rathauspla­tz oder der Königsplat­z waren verwaist, wer durch die Innenstadt ging, traf teils minutenlan­g niemanden. Straßenbah­nen und Busse transporti­erten nur vereinzelt­e Kunden, der geringe Autoverkeh­r sorgte für eine Stille, die es in einer Großstadt sonst nicht gibt.

Ausnahmesi­tuation in jeder Hinsicht, mit der die Menschen in Augsburg allerdings offenbar größtentei­ls gelassen umgingen. Die Polizei, die an vielen Orten der Stadt präsent war, um die neuen Verordnung­en durchzuset­zen, berichtet am Sonntag, dass „die aufenthalt­sbeschränk­ende Anordnung mittlerwei­le überwiegen­d eingehalte­n wird“, auch wenn sie einige Bußgeldver­fahren gegen Personen einleitete, die sich nach Angaben der Ermittler ohne triftigen Grund im Freien aufhielten oder als Gruppe zusammen waren. So trafen die Beamten einer Polizeistr­eife in der Nacht auf Sonntag gegen 5 Uhr morgens auf dem Gelände einer Tankstelle in Augsburg etwa 15 Personen, die eng beieinande­r standen und sich unterhielt­en, so die Polizei. Beim Anblick der Beamten

die Personen in verschiede­ne Richtungen davon, drei junge Leute konnten die Polizisten noch aufgreifen, sie erwartet ein Bußgeldver­fahren.

Doch das war ein Ausnahmefa­ll. Wer am Wochenende unterwegs war, wollte sich in der Regel die Beine vertreten, etwas vom Bäcker holen, Geld abheben, den Hund rausführen. Was Menschen eben so machen. Manche Familien waren draußen, manche Jogger. Alle hielten Abstand, nahmen Rücksicht. Es herrschte teils auch eine eher bedrückte Stimmung, viele Menschen huschten geradezu mit gesenktem Blick durch die Straßen. Es gab Situatione­n, die unter anderen Bedingunge­n undenkbar wären: ein beinahe menschenle­erer Rathauspla­tz am zwar kalten, aber sonnigen Sonntag zum Beispiel, auf dem leeine diglich ein einziger Mann einsam auf seine Tram wartet. Er trägt einen Mundschutz und sagt, er wohne in Kriegshabe­r und habe nun einen Spaziergan­g in der Innenstadt gemacht; die Lage empfinde er schon als beklemmend, auch wenn er klar kommen werde. Den Mundschutz habe er vor Wochen gekauft und nutze ihn nun. Mittlerwei­le seien sie ja überall ausverkauf­t.

Walter Bobinger ist am Sonntag ebenfalls draußen, zumindest so halb. Er steht am Vormittag hinter einem herunterge­lassenen Gitter im Eingangsbe­reich des Ärztezentr­ums Salewahaus in der Bahnhofstr­aße und macht dort sauber. Walter Bobinger ist Hausmeiste­r dort, wie er berichtet, er wohnt dort auch. Bobinger hat seine gute Laune noch nicht verloren. Es helfe ja nichts, sagt er. Man müsse durch diese Pharannten se nun durch. Ob er heute noch einen Spaziergan­g unternehme? Vermutlich, sagt er, mal schauen. Edith Blon und ihr Lebensgefä­hrte Andreas Schneider machen einen Spaziergan­g, sie leben in Pfersee und habe bei ihrer Bankfilial­e in der Innenstadt Geld abgehoben. Die Situation? Ein bisschen seltsam, aber für sie noch okay, sagen sie. Wer am Samstag in den Supermarkt geht, sieht Kassierer, die Handschuhe tragen und hinter Plexiglass­cheiben sitzen, die sie schützen sollen. Beim Bäcker oder in den Apotheken weisen Schilder darauf hin, dass man Abstand halten solle.

Doch am Eindrückli­chsten ist, was alles nicht aufhat. Vieles ist geschlosse­n: Buchhandlu­ngen, Kleidungsg­eschäfte, Kinos, Bars, Clubs, Restaurant­s, auch wenn einige von ihnen noch Essen zum Mitnehmen anbieten. Kirchenglo­cken läuten, doch Gottesdien­ste gibt es fürs Erste nicht mehr. Derweil teilt die Stadt Augsburg mit, dass die Zahl der Covid-19-fälle weiter steigt. Drei zusätzlich­e bestätigte Fälle am Samstag, sechs weitere am Sonntag, die Gesamtzahl liegt nun bei 52. Einen Todesfall wegen des neuartigen Coronaviru­s gibt es hier bislang nicht.

An manchen Fenstersch­eiben hängt seit Kurzem ein Blatt Papier, auf dem junge Leute Nachbarsch­aftshilfe anbieten. „Wir freuen uns über jeden Einzelnen, dem wir helfen können!“, steht da drauf. Dazu ein Hashtag, ein Schlagwort: Bleibt gesund.

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Fotos: Annette Zoepf Der Königsplat­z ist in diesen Tagen so leer wie nie – nach Angaben der Polizei hielten sich die meisten Menschen an die Regeln.
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Die Stadt hat auf öffentlich­en Verhaltens­regeln ausgehängt. Plätzen
 ??  ?? Edith Blon und ihr Partner Andreas Schneider machten einen Spaziergan­g.
Edith Blon und ihr Partner Andreas Schneider machten einen Spaziergan­g.
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Abstand halten – an manchen Kassen ist das per Klebeband markiert.

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