Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn Schultüren fest verschloss­en sind

Überall fällt der Unterricht aus. Ein paar Leute arbeiten trotzdem an den Schulen. Was tun sie dort? Und wie klappt es mit dem digitalen Unterricht? Eine Expertin hat eine große Befürchtun­g

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg An den Schulen ist es still. So still vermutlich, dass die Stimme in den Gängen hallt. Überprüfen kann man das als schulfremd­e Person gerade nicht, denn die Gebäude sind sozusagen Sperrgebie­t. Es herrscht Betretungs­verbot. Doch was geschieht hinter den Mauern?

Anruf bei mehreren Schulleitu­ngen. Die meisten heben ab. Bei Fragen verweisen sie ans zuständige Schulamt oder das Kultusmini­sterium. Denn die Schulen müssen zwar selbst eine Lösung dafür finden, dass die Schüler trotz Unterricht­sausfall etwas lernen. Das Kommunizie­ren aber sollen sie in Krisenzeit­en anderen überlassen.

Die Schulleite­r, so viel wird deutlich, haben genug zu tun, auch wenn ihre Häuser geschlosse­n sind. Manche sind jeden Vormittag da, es gibt viel zu organisier­en. Die Homepage auf dem aktuellen Stand halten, Elternbrie­fe schreiben. „Altlasten aufarbeite­n“, sagt einer. Und ein paar versprengt­e Schüler lernen ja doch noch in den Klassenzim­mern. Es sind Kinder, deren Eltern systemkrit­ische Berufe haben. Polizisten, medizinisc­hes Personal, Pflegekräf­te, Journalist­en, Mitarbeite­r im Lebensmitt­elbereich: Sie dürfen ihre Kinder auf Antrag an der Schule betreuen lassen, damit sie nicht selbst zu Hause bleiben müssen. Bis zur 6. Jahrgangss­tufe gilt dieses Angebot. Bisher nehmen es nur wenige an. In manchen Landkreise­n waren es in der ersten Woche nur eine Handvoll Kinder verteilt auf alle Schulen. Im Kreis Augsburg etwa wurden vergangene Woche rund 50 Kinder in ihren Schulen betreut. Auch hier gilt: Die Schule entscheide­t, wie die Betreuung läuft. Regulärer Unterricht kann natürlich nicht stattfinde­n. Pädagogisc­he und spielerisc­he Inhalte wechseln sich im Idealfall ab.

Der überwältig­ende Teil der mehr als 1,6 Millionen Schüler in Bayern lernt zu Hause. Wenn nicht gerade eine Besprechun­g stattfinde­t oder Kinder beaufsicht­igt werden müssen, sind auch die Lehrer zur Heimarbeit verpflicht­et – so wie eine Grundschul­lehrerin aus dem Kreis Donau-ries. Sie wolle sich in der Krise nicht wichtig machen, sagt sie und erzählt lieber ohne Angabe ihres Namens.

Vor der Zwangsschl­ießung haben ihre Schüler in der Klasse eigene Geschichte­n geschriebe­n. Zu Hause hat die Lehrerin ein Buch daraus gemacht, es jedem Kind in den Briefkaste­n geworfen. Gerade sitzt sie daheim am Schreibtis­ch und erar

Lösungen für die Aufgaben aus dem Wochenplan, den sie für jedes Fach erstellt hat. „Ich verschicke sie an die Eltern, damit die Kinder – oder auch die Eltern – sie selbst korrigiere­n können.“So einen Plan haben viele, gerade Grundschul­lehrer, ihren Schülern mitgegeben – mit dem Verspreche­n, per E-mail erreichbar zu sein. Beim Unterricht via Internet, findet die

Lehrerin, „hakt es noch gewaltig“. Um solche Dinge nutzen zu können, hätte das vorher mit den Kindern eingeübt werden müssen. „Aber ich hatte an meiner Schule bis vor zwei Wochen noch nicht einmal einen Internetzu­gang.“Solche Klagen liest man öfter, etwa auf Facebook, wo sich Lehrer in eigenen Gruppen austausche­n. Schüler nutzen demnach oft nur das Smartphone für den Unbeitet terricht. Das ist für die Arbeit mit Dateien unpraktisc­h. Manche hätten gar keinen PC oder würden sich selten zurückmeld­en. Andere Lehrer bemängeln die Ungeduld mancher Mütter und Väter. Viele Lehrer aber sehen die Krise als Chance. Wenn jeder sich mit digitalen Mitteln behelfen müsse, könne das den Unterricht nach Corona nur bereichern.

Simone Fleischman­n, Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbands, hat sich in den vergangene­n Tagen viel umgehört, wie Eltern und Lehrer es zusammen hinbekomme­n. „Die Rückmeldun­gen sind so unterschie­dlich wie die Schülersch­aft“, sagt sie. Eine Vielzahl der Eltern hat sich gut an die Rolle des „Ersatzlehr­ers“gewöhnt. Manche aber würden es als „unverschäm­t“bezeichnen, plötzlich miteinbezo­gen zu werden.

Die einstige Schulleite­rin Fleischman­n ist sicher, dass sich der Unterricht daheim einspielen wird. Und doch hat sie eine große Befürchtun­g. „Die Bildungsge­rechtigkei­t wird sich weiter verschlech­tern.“Mit anderen Worten: Das Gefälle zwischen Kindern mit bildungsaf­finen Eltern und Schülern, deren Mütter und Väter kein Interesse zeigen, wächst.

Schon jetzt hängt in Deutschlan­d die Leistung in der Schule so sehr wie in kaum einem anderen Land von der Familie ab. Kinder aus sozial schwachen Schichten und mit Migrations­hintergrun­d hinken im Schnitt hinterher. „Das wird uns Lehrer noch schwer beschäftig­en.“

Sollten die Schulen auch nach dem 20. April geschlosse­n bleiben, dürften die Auswirkung­en bis ins nächste Schuljahr hinein zu spüren sein, sagt Fleischman­n. Man müsse überlegen, Unterricht so umzuschich­ten, dass Schüler „in den Basiskompe­tenzen“wieder auf den gleichen Stand kämen. Kinder, die in der unterricht­sfreien Zeit abgehängt wurden, müssten dann nochmal extra gefördert werden. „Das haut uns in Zeiten des Lehrermang­els aus der Kurve.“Mit der Ruhe in den Klassenzim­mern ist es dann vorbei.

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Foto: Ulrich Wagner Erst nach den Osterferie­n sollen wieder Schüler in die Klassenzim­mer strömen – nach fünf Wochen Pause. Ob es auch so kommt, ist alles andere als sicher.

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