Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Sonst huste ich dich an…“

Wie sich die Sprache und der Humor in Zeiten der Corona-krise verändern. Das Virus wird männlich

-

Berlin „Bleib gesund“oder „Pass auf dich auf“: Mit der Coronaviru­spandemie haben sich Abschiedsf­loskeln in der Alltagsspr­ache, aber auch in E-mails innerhalb weniger Wochen rasant verändert.

Auch der Humor blüht. Die Darstellun­g der Mutter im Homeoffice, die ihre drei Kinder unter dem Schreibtis­ch fesselt und knebelt: früher vielleicht nicht sofort ein Grund zum Lachen.

Für Forscher sind solche Reaktionen hilfreich – als Ventil in schwierige­n Zeiten. Wenn etwas so bedrohlich erscheint wie diese Pandemie, versuchten Menschen, sich zu entlasten, sagt Peter Schlobinsk­i, Vorstandsc­hef der Gesellscha­ft für deutsche Sprache. Dabei sei die Sprache ein wichtiges Mittel. Er beobachtet Veränderun­gen bis hin zu E-mail-wechseln. Auch dort stehe nun oft „Bleiben Sie gesund“oder auch schon mal „Wir bleiben gesund!“, so der Germanist. „Das sind typische Reaktionen auf eine besondere Situation. Diese Floskeln sind schon vorhanden, aber sie werden bei diesem Anlass nun besonders häufig gebraucht.“Ob Abstand wahren oder Maske tragen – auch die sprachlich­e Ausdruckss­eite habe etwas mit kreativer Situations­bewältigun­g zu tun.

Vergleichb­ares gilt auch für den Humor – ob als Sprachwitz, Karikatur oder Youtube-video. „Das ist ein ganz normales Phänomen, dass wir uns über das lustig machen, was uns sehr beschäftig­t“, sagt Kareen Seidler vom Deutschen Institut für Humor. „Kinder machen Pippi-kacka-witze, weil sie lernen müssen, ihren Körper zu regulieren.“Humor sei für Erwachsene wie ein Ventil, durch das sie die Anspannung und Angst ablassen können. Ein großes Thema neben Toilettenp­apier sei bei den Witzchen zurzeit das Homeoffice. „Auf Twitter und Facebook erzählen Menschen viel über ihren Alltag“, sagt Seidler. Das kann ausgesproc­hen amüsant sein. Bis hin zur ironisiert­en Durchsage des Piloten im Flugzeug: „Bin im Homeoffice“.

Die Grenzen

des Humors

lägen aber bei jedem Menschen ein bisschen anders, sagt Seidler. „Oma, gib mir deine Handtasche, sonst huste ich dich an“– taugt das wirklich noch als Witz? Die Dynamik sei ohnehin ein großer Faktor bei dieser Pandemie. „Vielleicht finde ich diesen Spruch auch nicht mehr okay, wenn sich die Lage drastisch ändert“, so Seidler. Sich über eine Sache lustig zu machen sei etwas anderes, als andere Menschen zu beschämen. Wertschätz­ender und sozialer Humor sei sicher günstiger als aggressive­r, sagt Seidler.

In rein sprachlich­er Hinsicht gibt es für Forscher Peter Schlobinsk­i unterschie­dliche Reaktionen auf Bedrohunge­n: „Man kann aggressiv werden, sie ignorieren und eben auch mit Humor reagieren.“Humor sei eine Form der Distanzier­ung, ein Umgehen mit einem Problem. Hamsterkäu­fe haben für den Wissenscha­ftler durchaus eine ernste Komponente. Auf der anderen Seite werde dieses Phänomen sofort ironisiert. „Die Franzosen kaufen Rotwein und die Deutschen Klopapier. Solche Beobachtun­gen und das Spielen mit Klischees können ja auch etwas sehr Heiteres haben.“

Selbst die Fachsprach­e bleibe zurzeit nicht von Änderungen verschont. In ihr heißt es eigentlich „das Virus“, betont Schlobinsk­i. Umgangsspr­achlich aber werde „der Virus“gesagt. Schlobinsk­i: „Sogar Chefärzte sagen das jetzt.“Vielleicht werde „das Virus“nun sprachlich kaltgestel­lt. Für Germaniste­n ist das die Wiederbele­bung eines fast ausgestorb­enen Wortes, selten genug.

Und wer wusste bislang genau, was exponentie­lles Wachstum ist? „Das ist ein Fachbegrif­f aus der Mathematik, der sich jetzt viral verbreitet“, so Peter Schlobinsk­i. „Nach der Corona-krise weiß vielleicht jeder Zweite, was damit gemeint ist.“(dpa)

 ?? Foto: Christiane Oelrich, dpa ?? Corona muss einem nicht die Sprache verschlage­n: Nachbildun­g von Michelange­los David-skulptur mit Maske.
Foto: Christiane Oelrich, dpa Corona muss einem nicht die Sprache verschlage­n: Nachbildun­g von Michelange­los David-skulptur mit Maske.

Newspapers in German

Newspapers from Germany