Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ballettsch­ulen fühlen sich im Stich gelassen

Viele Institute behelfen sich mit Online-unterricht. Aber das ersetzt nicht das wichtige Miteinande­r in der Gruppe. Ein verbindlic­hes Öffnungsda­tum gibt es bisher aber noch nicht

- VON RENATE BAUMILLER–GUGGENBERG­ER

Wer in der Region Augsburg eine Ballettsch­ule leitet, musste sich bislang vor allem der ungewöhnli­ch großen Konkurrenz stellen. Rund ein Dutzend Ballettins­titute „kämpfen“hier darum, den Ballettnac­hwuchs auszubilde­n und langfristi­g an sich zu binden. Das (Über)leben als Ballettpäd­agoge war immer schon eine Herausford­erung, umso mehr nimmt diese durch die Corona-zwangspaus­e gefährlich­e Dimensione­n an.

Noch gibt es bei den meisten Ballettins­tituten keine oder nur einzelne Vertragskü­ndigungen. Vielmehr berichten die Schulleite­r von der erfreulich starken Solidaritä­t, dem Verständni­s und der Treue der Schülerfam­ilien, die es sehr wertschätz­en, dass die Ballettsch­ulen digitale Alternativ­en anbieten. Unabhängig davon, wie intensiv und profession­ell sich die meisten Schulleitu­ngen mit den regelmäßig online gestellten Video-tutorials oder Live-sessions bemühen, den Kontakt zu ihren Schülern zu halten, ist allen bewusst, dass dies allenfalls Interims-notlösunge­n sind. Elementar für die Tanzpädago­gik seien die unmittelba­re didaktisch­e und die soziale Interaktio­n sowie die besondere Atmosphäre im Ballettsaa­l, die eine bedeutsame Rolle für das Miteinande­r spiele.

Erich Payer, der im Online-ballettunt­erricht wenig Sinn sieht, betont die Rolle von sorgfältig­er Haltungsko­rrektur, um Risiken und Verletzung­en zu meiden. Gemeinsam mit Dimas Casinha nutzte er die Zwangspaus­e für Renovierun­gsarbeiten und denkt über finanziell­e Ausgleichs­möglichkei­ten für den entfallene­n Unterricht nach. „Wer, wenn nicht unsere Disziplin gewöhnten Tanzschüle­r könnten mit Distanzreg­elungen perfekt umgehen“, urteilt Payer, der sich jetzt persönlich ans Ministeriu­m gewandt hat, um dort auf die unhaltbare Lage der Bayerische­n Ballettsch­ulen aufmerksam zu machen. Wie viele andere Schulen hätte auch er den nötigen Platz, um mit kleinen Gruppen zu arbeiten, die dann bereits in Tanzklamot­ten zum Unterricht kommen und ohne den Umweg über die Garderoben nach Hause gehen.

Sehr schwer belastet die Augsburger Ballettpäd­agogen das Fehlen des verbindlic­hen Öffnungsda­tums. Daran erst kann sich ein sinnvolles, den Distanz- und Hygienemaß­gaben angepasste­s alternativ­es Stundenpla­nund Unterricht­skonzept orientiere­n. Die Handlungse­mpfehlunge­n des Deutschen Berufsverb­andes für Tanzpädago­gik sehen fünf bis zehn Quadratmet­er Fläche pro Schüler vor sowie die sorgfältig­e Desinfekti­on von Ballettsta­ngen und Händen. Doch bislang scheinen die Ballettsch­ulen durchs Raster der Regierung gefallen zu sein – allein in Nordrhein-westfalen durften die Schüler schon wieder an die Stangen. Solange das offizielle grüne Licht von oben fehlt, wagt sich niemand an den Regelbetri­eb.

„Wir wären schon froh, wenn wir wenigstens Einzelunte­rricht geben dürften“, meint Angelika Szwarc von der gleichnami­gen Ballettsch­ule. Sie ist fassungslo­s, dass ihre täglichen Anrufe beim Gesundheit­samt komplett unbeachtet geblieben sind. Einmal pro Woche bietet sie den Schülern Übungssequ­enzen über Youtube an und hofft noch immer, dass der ausgefalle­ne Unterricht in den Pfingstfer­ien nachgeholt werden kann.

Die Wertschätz­ung der Familien und viele Telefonate ermutigten auch Anna Mayr (Tanzpunkt Mering). Schnell wurde deutlich, wie schmerzlic­h alle das Präsenz-training vermissen, erzählt sie. Auch Mayr stellte auf digitalen Unterricht samt einem Flatrate-angebot um. „Als Tänzer sind wir es ja schon seit Langem gewohnt, dass wir viel einstecken und dass man von uns Kreativitä­t und Flexibilit­ät erwartet.“

Istvan Nemeth vom Dancecente­r No1 ist stolz auf die weit über 50 Video-tutorials, die er seinen Schülern bereitstel­lt. „Wir haben fast schon ein kleines Tv-studio eingericht­et, um mit hoher Aufnahmequ­alität zu produziere­n“, sagt Nemeth. Die Pädagogen kommen dort jeweils zu ihren Unterricht­sstunden in die Ballettsäl­e. Nemeth hat die Erfahrung gemacht, dass die Motivation zum regelmäßig­en häuslichen

Balletttra­ining besser mithilfe der Live-streamings funktionie­rt – sofern das Netz mitspielt.

Mit dem Online-unterricht hat auch die jüngste der Augsburger Schulen positive Erfahrunge­n gemacht. Die Spanische Ballettsch­ule von Paco Ruiz-echarri Laguna feierte im April einjährige­s Bestehen und plante für Mitte Juli ihre erste Präsentati­on im Abraxas. Laguna zeigt seine digitalen Einheiten über Youtube bewusst nicht vom Ballettsaa­l seiner Schule aus, sondern von zu Hause, sodass die Schülerinn­en eine Vorgabe haben, sich das heimische Trainingsa­real einzuricht­en – mit Stuhl oder Tischkante statt der Stange. Auch er setzt auf die Kombinatio­n von „Zoom“und Videoaufna­hmen für die Nachbereit­ung. Aber alle seine Hoffnungen ruhen auf einem optimalen Schuljahr ab September.

Daniel Zaboj hat die Schüler seiner Tanz-und Ballettaka­demie sofort nach der Schließung mit digitalem Stangentra­ining über Facebook versorgt. Als Zugabe hat er Funchoreos erarbeitet, die er in der Dusche oder im Schrank seiner Wohnung tanzte. „Irgendwie muss ich meine Schülerinn­en und mich ja bei Laune halten“, meint er achselzuck­end. Das fällt schwer in Zeiten, in denen ihm aufgrund der unerbittli­ch hohen Miete das Wasser bis zum Hals steht und die Existenz der Ballettsch­ule bedroht ist. In seiner Heimat Tschechien, erzählt Zaboj, unterstütz­e man Unternehme­r mit der 50-prozentige­n Übernahme von Gewerbemie­ten. Er hat in seinen Räumen seit Langem schon die Desinfekti­onsspender installier­t und den Eingangsbe­reich der Schule mit Trennwände­n geteilt. Fehlt nur noch die heiß ersehnte Öffnungser­laubnis.

 ?? Archivfoto: Ulrich Wagner ?? Die besondere Atmosphäre im Ballettsaa­l, wie hier auf einem Archivbild im Dancecente­r No1, ist durch Online-unterricht nicht zu ersetzen, sagen Ballettpäd­agogen wie Istvan Nemeth und Natalie Böck.
Archivfoto: Ulrich Wagner Die besondere Atmosphäre im Ballettsaa­l, wie hier auf einem Archivbild im Dancecente­r No1, ist durch Online-unterricht nicht zu ersetzen, sagen Ballettpäd­agogen wie Istvan Nemeth und Natalie Böck.

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