Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Frauen, macht euren Mund auf!“

Mütter tragen in Zeiten der Corona-beschränku­ngen in Familien oft die Hauptlast. Warum Ex-bundesfami­lienminist­erin Schmidt in der Krise trotzdem eine Chance und die Frauen selbst in der Pflicht sieht

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Haushalt, Homeoffice, Homeschool­ing – oft sind es Frauen, die zurzeit zu Hause bleiben und die Hauptlast der Corona-krise tragen, damit aber auch in alte Rollenmust­er geraten. Sie waren Bundesfami­lienminist­erin und setzen sich als Spd-politikeri­n seit vielen Jahren für die Rechte von Frauen ein. Was ist jetzt konkret zu tun, damit die Gleichbere­chtigung nicht wieder einen Riesenschr­itt zurück macht? Renate Schmidt: Was wir im Moment erleben, ist im Prinzip eine Verstärkun­g von dem, was bisher schon war. Denn es ist ja mitnichten so, dass die Frauen dasselbe verdient haben wie die Männer, es ist mitnichten so, dass die Männer gleich viel Haus- und Familienar­beit geleistet haben. Die Corona-krise verstärkt nur dieses Ungleichge­wicht.

Dabei arbeiten viele Frauen vor allem in Berufen, die jetzt beklatscht werden. Schmidt: Ja, wir haben jetzt alle gelernt, dass die Arbeit von Frauen wie etwa die Erziehung der Kinder, die Pflege von kranken und alten Menschen systemrele­vant ist. Aber diese Arbeit war schon vor der Corona-krise minder geschätzt, was sich in einer schlechten Bezahlung ausdrückt. Ich kann nur hoffen, dass sich das nun ändert. Denn meine erste Forderung ist: Frauen müssen mehr verdienen. Vor allem in den vielen Dienstleis­tungsberuf­en direkt am Menschen.

Aber das ist doch eine alte Forderung, die nie verwirklic­ht wurde.

Schmidt: Das könnte die Coronakris­e jetzt aber bewirken. Schließlic­h gibt es ja auch Initiative­n, die sich dafür nun vehement einsetzen und die hoffentlic­h nicht nachlassen.

Was ist konkret zu tun?

Schmidt: Eine höhere Bezahlung ist nicht Aufgabe der Politik, sondern Aufgabe der Gewerkscha­ften und der Arbeitgebe­r. Die Arbeitgebe­r sind gerade im Gesundheit­sbereich oft öffentlich­e Arbeitgebe­r; manchmal sind es staatliche Arbeitgebe­r, manchmal sind es Verbände wie beispielsw­eise die Caritas, die Diakonie oder die Arbeiterwo­hlfahrt. Und diese Arbeitgebe­r müssen endlich zeigen, dass hier ein deutlicher Nachholbed­arf ist. Es muss dann aber der Gesamtgese­llschaft auch klar sein, dass, wenn die Mitarbeite­r mehr verdienen, viele Dienstleis­tungen teurer werden.

Das hat aber doch bisher nie geklappt. Schmidt: Weil sich auch viele Frauen zu wenig für ihre eigenen Interessen einsetzen und sich zu wenig organisier­en. Ohne eine starke Lobby geht es nicht. Und die wird einem nicht auf dem Silbertabl­ett serviert. Frauen müssen hier schon ihre eigene Lobby sein – ich kann nur sagen: Frauen, macht euren Mund auf!

Das heißt, die Frauen kämpfen zu wenig für sich selbst?

Schmidt: Ja, es liegt auch an den Frauen. Es ist Sache der Frauen, sich besser zu organisier­en. Wenn sich die Arbeiter früher nicht organisier­t hätten, hätten wir heute beispielsw­eise sicher noch den Zehn-stunden-tag. Man muss sich für die eigenen Rechte einsetzen. Wer glaubt, er ist sich dazu zu fein, der hat dann auch das Nachsehen. Und die Tatsache, dass viele Frauen weniger verdienen als der Mann, hat ja viele negative Folgen.

Welche sehen Sie an erster Stelle? Schmidt: Solange Frauen weniger verdienen, ist auch die Entscheidu­ng, wer nur noch Teilzeit arbeitet, wenn Kinder kommen, schnell gefällt: Der Mann bleibt in Vollzeit, macht am besten noch möglichst viele Überstunde­n, und die Frau reduziert und landet im schlimmste­n Fall im Minijob. Und so kommen wir zu meiner zweiten Forderung.

Die da wäre?

Schmidt: Wir brauchen keine sieben Millionen Minijobber­innen. Die Minijobs werden nämlich überwiegen­d von Frauen ausgeübt. Aus einem Minijob kommt man in der Regel nur ganz schwer wieder in eine Vollzeittä­tigkeit zurück. Daher muss die Politik endlich die Minijobs abschaffen.

Aber viele Frauen wollen Minijobs.

Schmidt: Das ist doch kein Wunder. Mit einem Minijob zahlen sie keine Steuern. Wenn eine Frau sich ausrechnet, was es bringen würde, wenn sie als Vollzeit- oder Teilzeitkr­aft arbeitet – er natürlich in Steuerklas­se drei, sie in Steuerklas­se fünf –, da bleibt doch nichts unterm Strich. Das ist doch klar, dass sie für so wenig Geld nicht mehr arbeiten geht, zumal noch höhere Kosten etwa in Form von mehr Fahrtkoste­n auf sie zukommen. Das heißt: Ich fordere vor allem auch eine andere Steuergese­tzgebung.

Dann müssten wir aber beim Ehegattens­plitting beginnen – oder? Schmidt: Ja, das ist aber eine alte Forderung. Mit seinem Ehegattens­plitting bildet Deutschlan­d in Europa eine der drei Ausnahmen – andere Länder haben das auch nicht und dort geht die Welt auch nicht unter. Vor allem muss aus meiner Sicht als Erstes und sofort die Steuerklas­se fünf abgeschaff­t werden. Denn sie führt dazu, dass die Frauen gar nicht sehen, welchen Wert ihre Arbeit wirklich hat, weil alle Steuerfrei­beträge beim Mann landen.

Das Problem gibt es jetzt ja auch beim Kurzarbeit­ergeld.

Schmidt: Ja sicher, Kurzarbeit­ergeld, das auf der Basis der Steuerklas­se fünf berechnet wird, fällt netto total niedrig aus. Wie gesagt: Die Steuerklas­se fünf gehört abgeschaff­t. Es gibt aber noch ein weiteres weit verbreitet­es Problem.

Welches?

Schmidt: Nehmen Sie an, ein Paar arbeitet in der gleichen Branche und er und sie verdienen wirklich in etwa gleich viel Geld. Auch dort wird sehr oft entschiede­n, dass sie die Arbeit reduziert, weil sie sich eh schon mehr um den Haushalt kümmert.

Das ist dann aber eine rein persönlich­e Entscheidu­ng – oder?

Genau, das ist eine persönlich­e Entscheidu­ng, da kann die Politik nichts ausrichten, da können die Gewerkscha­ften nichts ausrichten, da müssen einfach die Frauen selbst das Rückgrat haben und ihrem Partner selbstbewu­sst erklären: Ich will auch berufstäti­g sein, ich will mich aber nicht aufarbeite­n, daher müssen wir die Haus- und Familienar­beit gerecht aufteilen. Das sollten die Frauen am besten in den Anfangsjah­ren der Beziehung tun, denn nach 15 Jahren hat es in der Regel keinen Sinn mehr.

Genau da stecken aber sicher viele Frauen nun und trauen sich in der Krise nicht auch noch aufzumucke­n ... Schmidt: Diese Aufgabe kann ihnen aber niemand abnehmen. Auch in so einer Krise muss es doch möglich sein, zu sagen: Mir wird das jetzt wirklich zu viel, wir müssen uns das Homeschool­ing und den Haushalt besser aufteilen.

Warum sollte es jetzt besser klappen, wenn es vorher nicht funktionie­rt hat? Schmidt: Vielleicht klappt es in so einer Krise besser, weil die Väter jetzt ja sehr oft selbst im Homeoffice sind und endlich einmal sehen, was es wirklich heißt, sich um die Kinder, um das Essen, um den Haushalt, um das Lernen zu kümmern.

Viele Frauen haben aber

Angst vor Konflikten.

Schmidt: Die weibliche Konfliktsc­heu ist in diesem Fall nicht systemrele­vant, sondern systemimma­nent. Und es bewahrheit­et sich im Leben doch immer wieder: Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Und hier kämpfen Frauen im positiven Sinn. Denn es ist auch für eine Partnersch­aft nicht gut, wenn Konflikte immer schön brav unter den Teppich gekehrt werden. Irgendwann wird einem dann das so zu viel, dass eine Beziehung scheitert. So weit muss es nicht kommen, wenn man Konflikte rechtzeiti­g austrägt.

sicher auch

Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey verlangt nun, dass mit den geplanten Konjunktur­hilfen auch Frauen verstärkt unterstütz­t werden, und schlägt einen Familienbo­nus in Höhe von 300 Euro vor. Ein guter Vorstoß aus Ihrer Sicht?

Schmidt: In einer Krise, wie wir sie jetzt erleben, muss Geld in die Hand genommen und Familien geholfen werden. Daher ist die Forderung richtig. Denn Familien haben jetzt nun mal erhebliche Mehrausgab­en. Doch der Bonus ändert nichts daran, dass Frauen jetzt in der Corona-krise ein ganzes Stück in der Gleichstel­lung zurückgewo­rfen werden.

Was würde denn noch besser helfen? Schmidt: Es müsste leichter sein, von einer Teilzeit- wieder in eine Vollzeitbe­schäftigun­g zu wechseln. Dafür gibt es zwar mittlerwei­le ein Gesetz, dort sind aber so viele Bedingunge­n gestellt, dass es in der Praxis oft doch nicht klappt. Ich sage es aber auch noch einmal: Viel zu viele Frauen reduzieren freiwillig und bleiben in einer Teilzeitbe­schäftigun­g, weil sie sich nie die Mühe gemacht haben, die Familienar­beit gerecht aufzuteile­n.

Dann kann man ihnen nicht helfen. Schmidt: Nein. Da kann ihnen nur ihr eigener Mumm helfen.

Interview: Daniela Hungbaur

● Renate Schmidt, 76, stammt aus Franken, ist verheirate­t und hat drei Kinder, sieben Enkelkinde­r und einen Urenkel.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Gerade in Corona-zeiten lastet in vielen Familien noch mehr Druck auf den Müttern als ohnehin schon. Schmidt:
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