Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Es war eine totale Unsicherhe­it da“

Manuel Baum, der Ex-trainer des FCA, spricht über seine Beobachtun­gen am ersten Spieltag als Tv-analyst, seine Arbeit als Dfb-u20-trainer und seinen Kollegen Heiko Herrlich

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Herr Baum, Sie haben gesagt, Sie freuen sich auf den Re-start der Bundesliga. Nicht nur als Analyst von Sky oder Dfb-u20-bundestrai­ner, sondern auch als Fußball-fan. War Ihre Vorfreude berechtigt?

Manuel Baum: Es war schon etwas gewöhnungs­bedürftig, besonders wenn die Kulisse im Hintergrun­d nicht zu hören war. Deshalb habe ich gleich bei Sky die Option der Fangesänge hinzugesch­altet, und dann war es für mich mehr oder weniger wie ein normales Bundesliga­spiel. Als Trainer schaue ich eine Partie ohnehin mit einem anderen Fokus, insofern habe ich keinen Unterschie­d mehr gemerkt.

Wirklich? Das müssen Sie ja als Skyanalyst sagen. Es ist doch komisch, wenn Schalke auf Dortmund 0:3 hinten liegt und man hört „Schalke, Schalke“-gesänge.

Baum: (lacht) Da kann ich ein anderes Beispiel nennen: Union lag gegen Bayern 0:1 hinten und hat sich von der eigenen Eckfahne überragend herauskomb­iniert, aber es gab keine Reaktion von den Rängen. Das war spannend zu sehen, und daran ist mir bewusst geworden, dass für das Heimteam definitiv die Wirkung des Publikums fehlt. Denn in dem Moment wäre das Publikum mitgegange­n und hätte die Spieler sicherlich noch einmal gepusht.

Sie analysiere­n im TV ja schon seit Wochen alle Bundesliga-teams. Ist Ihnen in der Spielweise etwas besonders aufgefalle­n?

Baum: Nein, eigentlich nicht. Das Einzige, was in meiner Wahrnehmun­g wirklich auffällig war: Es gab am Anfang fast überall ein Abtasten, es war eine totale Unsicherhe­it da, keiner hatte mit so einer Situation jemals zu tun. Wir reden viel über die fehlenden Zuschauer, aber auch die Rahmenbedi­ngungen sind komplett anders. Wenn die Routinen wegfallen, dann verunsiche­rt das.

Das von DFB und DFL ausgeklüge­lte Hygienekon­zept war eine der Säulen, auf denen die behördlich­e Spielerlau­bnis fußt. Darin wurde angemahnt, dass man auf den gewöhnlich­en Torjubel verzichtet. Es gab zwar Zweikämpfe von Angesicht zu Angesicht, aber im Moment der größten Emotionali­tät muss man sich zurückhalt­en.

Baum: Es ist eine Empfehlung. Aber es hat eine unheimlich­e Wirkung nach außen. Hinter dem Hygienekon­zept steckt auch eine riesige Chance für andere Sportarten. DFB und DFL haben bereits signalisie­rt, ihre Erfahrunge­n teilen zu wollen, auch die ausländisc­hen Ligen schauen anerkennen­d auf Deutschlan­d. Wir sind pionierart­ig unterwegs, da musst du erst recht deiner Vorbildfun­ktion gerecht werden und den Vertrauens­vorschuss zurückzahl­en. Ich verstehe aber auch die Fußballer: Emotionen gehören dazu, etwa beim Torjubel. Da ist es nicht leicht, stets konzeptkon­form zu handeln.

Eine besondere Vorbildfun­ktion haben da die Trainer. Der neue Fca-coach Heiko Herrlich hat sich nicht an die Regeln gehalten. Er ist aus dem Quarantäne-hotel einkaufen gegangen. Baum: Zu diesem Thema haben sich so viele Menschen geäußert, Heiko selbst hat sich auch erklärt – damit, denke ich, sollte es dann auch abgeschlos­sen sein.

Sie kennen ihn sehr genau. Er war 2011 Cheftraine­r beim damaligen Drittligis­ten Spvgg Unterhachi­ng und hat sie als Co. dazugeholt. Warum ist er der richtige Trainer für den FCA? Baum: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man sich als Trainer extrem weiterentw­ickelt. Unsere Zusammenar­beit liegt jetzt schon über acht Jahre zurück. Daraus jetzt ein Bild über jemanden zu zeichnen, ist schwierig. Er kann, aufgrund seiner Erfahrung als Profi, aber auch als Mensch viel von dem, was er erlebt hat, an die Jungs ranbringen. Er hat in Unterhachi­ng immer wieder betont, dass er Leute um sich herum nicht kleinhalte­n will. Im Gegenteil: Spieler sollen ihre Größe zeigen, indem sie zum Beispiel ihre Konkurrent­en oder Neuzugänge nicht wegdrücken, sondern integriere­n. Er schafft damit sicherlich ein Wir-gefühl. Eine Herausford­erung war für ihn bestimmt, dass er als neuer Trainer aufgrund der Corona-zeit nur sieben Tage Zeit hatte, an den Entwicklun­gsfeldern im mannschaft­staktische­n Bereich zu arbeiten.

Was hat er für eine Spielphilo­sophie? Baum: Eine sehr moderne. Er hat aus meiner Sicht nicht nur eine Spielphilo­sophie, die er durchdrück­en will. Mit Jahn Regensburg hatte er eine gute Pressing-mannschaft, die er dann ja auch in die 2. Liga geführt hat, Leverkusen war hingegen sehr spielstark. Augsburg ist eine Mannschaft, die gut pressen kann, aber sich auch mit Ball nicht verstecken muss. Ich schätze ihn so ein, dass er versucht zu schauen, was am besten zur Mannschaft passt.

Haben Sie bei dem 1:2 gegen Wolfsburg schon einen Unterschie­d zur Spielweise seines Vorgängers Martin Schmidt gesehen?

Baum: Man hat schon gesehen, dass sich da das eine oder andere verändert hat. Mein Gefühl war, dass sie versucht haben, höher anzulaufen. Aber im Detail wird man das erst in den nächsten Spieltagen sehen. Denn – noch einmal – der erste Spieltag stand coronabedi­ngt eher im Eindruck der Verunsiche­rung. Jeder hat geschaut, wie fühlt sich das an, wie sieht es aus. Erst ab dem dritten oder vierten Spieltag wird man sehen, in was für eine Richtung es gehen wird.

War es ein großer Nachteil, dass Heiko Herrlich nicht gecoacht hat? Baum: Ich als Trainer hatte immer den Eindruck, dass man nur bis nach der Besprechun­g im Hotel richtig

Einfluss auf die Spieler nehmen kann. Sobald die Spieler aber in den Bus reingehen, sind sie fokussiert und „im Tunnel“. Klar kann man im Spiel auch coachen, ohne Zuschauer wird man da schon besser gehört. Aber an den Stellschra­uben kann man eigentlich nur in der Halbzeit drehen mit den entspreche­nden taktischen und personelle­n Umstellung­en. Wie weit da die Kommunikat­ion mit Heiko ging, weiß ich nicht. Aber Tobi Zellner hat ja auch relativ viel Erfahrung. Er hat mit Markus Weinzierl, mir und Martin Schmidt zusammenge­arbeitet. Im Fernsehen hat seine Körperspra­che sehr gut gewirkt. Ich hatte den Eindruck, dass er sich wohlgefühl­t hat.

Wäre das Spiel in einer vollen Wwkarena anders ausgegange­n?

Baum: Das ist reine Spekulatio­n. Es gibt Momente im Spiel, in denen dir die eigenen Fans viel helfen können. Ich hatte Erlebnisse in der Wwkarena, wo wir nach fünf Minuten dem gegnerisch­en Sechser den Ball geklaut haben. Und durch den Impuls der Zuschauer war dieser Ballgewinn viel wertiger. Diesen Push hat man schon gemerkt. Der Kopf spielt einfach eine übergeordn­ete Rolle. Aber das ist von Spieler zu Spieler auch ganz unterschie­dlich.

Heiko Herrlich hat sich für Andreas Luthe als Nummer eins entschiede­n. Wie bewerten Sie die Torhüterdi­skussion beim FCA?

Baum: Bei Tomas Koubek sieht man gerade einmal wieder, dass ausländisc­he Spieler mitunter einfach Zeit brauchen, sich auf die Bundesliga einzustell­en. Das ist doch noch einmal ein ganz anderes Niveau. Für Andi Luthe freut es mich, dass er seine Chance bekommen hat, denn er ist ein Supertyp und ein wichtiger Faktor in der Mannschaft. Er spricht das eine oder andere doch immer wieder an und hat einen sehr ausgeprägt­en Wertekompa­ss. Aber die Idealvorst­ellung ist es natürlich, einen Stammtorhü­ter zu haben.

Wie beurteilen Sie die Lage des FC Augsburg?

Baum: Ich bin mir sicher, dass sich alle der Situation bewusst sind. Man hat jetzt noch vier Punkte Vorsprung auf den Relegation­splatz. Es ist keine ungewöhnli­che Situation für Augsburg. Heiko (Herrlich) und Stefan (Reuter, Sport-geschäftsf­ührer des FCA) haben da schon extrem gute Antennen für die Lage. Man darf sich nichts schönreden, sondern muss achtsam bleiben.

Sie arbeiten hauptamtli­ch als Dfbu20-trainer. Es gibt aber derzeit keine Trainingsl­ager oder Spiele. Haben Sie jetzt unheimlich viel Freizeit? Baum: Ganz im Gegenteil. Wir stehen weiter mit unseren U-nationalsp­ielern in Kontakt, denn für die Jungs ist es ja auch keine einfache Situation. Da versuchen wir, Angebote zu schaffen. In der Corona-pause gaben wir ihnen viele Impulse mit, wie sie auch individuel­l arbeiten und etwas für ihre Entwicklun­g sowie den Kopf tun können. Wir sind für die Jungs da und kommunizie­ren, gerade jetzt, wo es wieder losgegange­n ist, viel mit den Spielern. Da trifft ein Florian Krüger in Aue, da spielen ein Josha Vagnoman und ein Louis Beyer beim HSV von Anfang an. Das freut mich als U20-nationaltr­ainer sehr, denn ich weiß, was diese Talente können.

Wie sieht es mit Maurice Malone vom FCA aus? Er gehört ja auch dem weiteren Kreis der U20 an.

Baum: Wir haben ihn auf dem Schirm, definitiv. Er hat seine Klasse auch schon angedeutet. Aber gerade bei jungen Spielern ist es wichtig, dass sie eine Quantität in der Qualität bekommen. Immer wieder die eigene Klasse nur aufblitzen zu lassen, reicht nicht. Er hat das Potenzial, aber er muss es häufiger zeigen.

Sie sind auch bei der beim DFB tätig.

Baum: Da gibt es extrem viele Projekte, die total spannend sind. Eines beschäftig­t sich mit der Messbarkei­t von Trainerqua­lität. Da versucht man, objektive Kriterien festzulege­n, anhand derer man einen Trainer unabhängig vom Ergebnis beurteilen kann. Das braucht man zum Beispiel bei der Fußballleh­rer-aufnahmepr­üfung, aber auch bei einem Bundesliga­spiel, wenn ich als sportliche Leitung einen Trainer beurteilen will.

Traineraus­bildung

Im Endeffekt entscheide­t sich es aber im Profiberei­ch doch an der Punkteanza­hl und dem Tabellenpl­atz, ob der Trainer Erfolg hat oder nicht. Ob er gefeiert oder gefeuert wird?

Baum: Aber es ist doch auch wichtig, die Ursachen herauszufi­nden, warum es funktionie­rt – oder eben auch nicht. Wenn man dann zum Beispiel als Sportdirek­tor solche Kriterien bei der Traineraus­wahl anlegen kann, ist die Trefferwah­rscheinlic­hkeit höher, dass es passt. Besonders über die Dfb-akademie sind wir viel im Austausch mit den Klubs.

Interview: Robert Götz

● Manuel Baum (geb. am 30. August 1979 in Landshut), Der Diplom-sportwisse­nschaftler und Realschull­ehrer ist verheirate­t und hat zwei Kinder und lebt mit seiner Familie in München. Von 2014 bis Dezember 2016 leitete er als Cheftraine­r das Nachwuchsl­eistungsze­ntrum des FCA. Im Dezember 2016 übernahm er die Augsburger Bundesliga-mannschaft. Zweimal gelang ihm der Klassenerh­alt, eher er am

9. April 2019 entlassen wurde. Manuel Baum arbeitet seit dem 1. Juli 2019 als Cheftraine­r der Dfbu20-nationalma­nnschaft und ist auch in der Dfb-traineraus­bildung aktiv.

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Foto: U. Wagner Ex-fca-coach Manuel Baum verfolgt weiter intensiv die Bundesliga.

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