Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Der Augsburger Arbeitsmar­kt ist nicht tot“

Es sind enorme Zahlen: Gut ein Drittel der regionalen Firmen hat Kurzarbeit angezeigt, über 80 000 Menschen sind betroffen. Elsa Koller-knedlik, die Chefin der Agentur für Arbeit, sieht aber trotzdem auch Lichtblick­e

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Frau Koller-knedlik, die CoronaKris­e hat die Wirtschaft und viele Unternehme­n schwer getroffen. Die Kurzarbeit­erzahlen sind auch in Augsburg drastisch gestiegen. Wie kritisch ist die Lage?

Elsa Koller-knedlik: Die aktuellen Zahlen haben auch uns erst einmal aufhorchen lassen. Gut 36 Prozent der Betriebe im Agenturbez­irk Augsburg haben mittlerwei­le Kurzarbeit angezeigt. Damit betrifft das etwa 81000 der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten. Wie viele Betriebe nach der Anzeige der Kurzarbeit tatsächlic­h auch den entspreche­nden Antrag stellen, das wird sich zeigen. Aber das ist auf den ersten Blick schon eine große Zahl.

Und wie stellt sich die Situation auf den zweiten Blick für Sie dar? Koller-knedlik: Etwa ein Drittel der Betriebe und deren Mitarbeite­r befinden sich unserer Statistik nach aktuell in Kurzarbeit. Das heißt aber auch, dass zwei Drittel der Unternehme­n weiter arbeiten wie bisher. Manche sogar mit Überlast. Ich will nichts schönreden, aber dennoch auch auf diesen Umstand hinweisen.

Trotzdem liegen die Kurzarbeit­erzahlen deutlich höher als zu Zeiten der Wirtschaft­skrise 2008/2009. Bereitet Ihnen das nicht Sorgen? Koller-knedlik: Im Gegenteil. Diese Entwicklun­g zeigt, dass sich das Instrument der Kurzarbeit bewährt hat. Firmen haben erkannt, dass so große Entlassung­swellen verhindert werden können. Das ist ein positives Signal. Für die Beschäftig­ten und auch für die Firmen.

Der Fachkräfte­mangel war vor der Coronakris­e für viele Betriebe eines der bestimmend­en Themen. Sie fanden nur schwer neue Beschäftig­te. Hat sich das nun erledigt? Koller-knedlik: Ganz klar, nein. Die hohe Zahl an Kurzarbeit zeigt auch, dass Unternehme­n ihre Fachkräfte unbedingt halten wollen. Denn es wird eine Zeit nach Corona geben und auch den demografis­chen Wandel hält die Corona-krise nicht auf. Das heißt, auch künftig müssen Unternehme­n scheidende Kompetenze­n – also ältere Beschäftig­te, die in Rente gehen – durch neue

ersetzen. Darüber hinaus werden nach Corona neue Kompetenze­n gefragt sein, die man aktuell noch nicht im Haus hat und sich folglich holen muss. Das Thema ist nicht vom Tisch, sondern derzeit nur in die zweite Reihe zurückgetr­eten.

Die Arbeitslos­enzahlen sind gestiegen. Glauben Sie denn gar nicht, dass der Arbeitsmar­kt nach der Krise stärker umkämpft sein wird?

Koller-knedlik: Es stimmt, die Arbeitslos­enzahlen sind im Vergleich zum Vorjahresm­onat um 43 Prozent gestiegen, vor allem im Bereich Zeitmitarb­eiter arbeit. Und natürlich wird es leider Firmen geben, die trotz Kurzarbeit schließen müssen und dann Fachkräfte freisetzen. Und ja, es werden auch weniger offene Stellen ausgeschri­eben. Vor Corona hatten wir in unserer Stellenbör­se durchschni­ttlich pro Monat mehr als 1000 neue Stellen. Seit Mitte März wurden uns knapp 300 neue Stellen gemeldet, verstärkt aus dem Handwerk, der Pflege und der öffentlich­en Verwaltung. Aber es werden noch freie Stellen gemeldet. Fachkräfte sind also weiter gesucht und der Arbeitsmar­kt ist damit längst nicht tot. Er hat an Dynamik verloren.

Wird das Ihrer Einschätzu­ng nach auch so bleiben?

Koller-knedlik: Wir beobachten, dass viele Unternehme­n überlegen, welche Produkte und Themen sie künftig spielen wollen. Für die Umsetzung ist unter Umständen auch der ein oder andere neue Mitarbeite­r mit entspreche­nden Kompetenze­n gefragt. Dazu gibt es in der Krise auch Gewinner wie beispielsw­eise bei den Lieferdien­sten oder den Entwickler­n neuer Dienstleis­tungen. Hier werden bereits jetzt an manchen Stellen in Augsburg neue Arbeitsplä­tze geschaffen.

Wie sieht die Lage auf dem Ausbildung­smarkt aus?

Koller-knedlik: Derzeit halten noch die allermeist­en Firmen daran fest, ihre Fachkräfte für morgen weiter selbst auszubilde­n. Das begrüßen nicht nur wir, sondern auch die Wirtschaft­skammern IHK und Hwk, mit denen wir hier in engem Austausch stehen. Wir glauben auch, dass das wichtig ist. Denn noch einmal: Das Thema Fachkräfte­sicherung hat sich mit Corona nicht erledigt. Ebenso wenig wie das Thema Weiterbild­ung und Qualifizie­rung.

Weiterbild­ung und Qualifizie­rung lagen Ihnen schon vor der Corona-krise am Herzen. Warum bleibt das relevant?

Koller-knedlik: Nach wie vor ist es für Mitarbeite­r wichtig, nicht den Anschluss an neue Entwicklun­gen wie etwa die Digitalisi­erung zu verpassen. Nur dann bleiben sie für den Arbeitgebe­r interessan­t. Die Betriebe können über Weiterbild­ung die Kompetenze­n schulen, die ihnen womöglich noch fehlen. In Kurzarbeit­erphasen entstehen hierfür eventuell die nötigen Zeitfenste­r. In Zusammenar­beit mit den Kammern und Bildungstr­ägern bieten wir hier entspreche­nde Angebote, die wir auch finanziell unterstütz­en.

Interview: Andrea Wenzel

Elsa Koller-knedlik leitet seit dem Jahr 2017 die Agentur für Arbeit in Augsburg. Zuvor war sie Agentur-chefin in Nürnberg.

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Foto: Siegfried Kerpf Etwa ein Drittel aller Firmen in Augsburg hat aktuell Kurzarbeit angemeldet – auch der große Arbeitgebe­r MAN Energy Solutions. Andere Unternehme­n arbeiten dafür mehr als vor der Corona-krise.
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E. Koller-knedlik

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