Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Maxstraße: Wie Polizisten im Einsatz vorgehen

Nicht nur über das Verhalten der Wirtin wird gesprochen, sondern auch über das Vorgehen der Polizei. Wie die Beamten in der Ausbildung darauf geschult werden und warum sie manchmal härter durchgreif­en müssen

- VON INA MARKS

Der Polizeiein­satz, der am Freitagabe­nd vor dem Café Corso in der Maximilian­straße eskaliert ist, hat ein Nachspiel. Auf alle Fälle für Wirtin Katharina Ertl und ihre Mutter, möglicherw­eise aber auch für die Polizei. Das Verhalten beider Seiten wird derzeit rege diskutiert. Laut Polizei ist es jedoch nichts Ungewöhnli­ches, dass Beamte bei Einsätzen auch unmittelba­ren Zwang anwenden müssen, wenn es die Situation erfordert. Bemerkensw­ert ist allerdings, dass eine Gastronomi­n im Fokus steht.

Seit über 30 Jahren gibt es das Café Corso in der Maxstraße, Katharina Ertl hat es seit Kurzem gepachtet. Warum die Situation am Freitag gegen 23.30 Uhr vor der Bar eskalierte, ist Gegenstand der laufenden Ermittlung­en. Auf den Videos, die im Internet kursieren, ist deutlich zu sehen und zu hören, wie erhitzt und aggressiv die Stimmung vor Ort gewesen sein muss. Bilder zeigen das raue Handgemeng­e zwischen Wirtin Katharina Ertl, deren Mutter und den Polizeibea­mten. Beide Seiten gehen nicht zimperlich miteinande­r um. Die Menge im Hintergrun­d schreit empört, es wird gegen Tische und Stühle getreten.

„Jede Einsatzsit­uation in Menschenme­ngen ist schwierig“, sagt Polizeispr­echer Michael Jakob zum aktuellen Fall und ergänzt: „Ein Einschreit­en in Menschenme­ngen, die sich mit dem polizeilic­hen Gegenüber solidarisi­eren, erfordert immer ein Höchstmaß an Einsatztak­tik.“Die Einsatzkrä­fte müssten sich nicht nur auf das unmittelba­re Gegenüber konzentrie­ren, sondern auch auf die Umstehende­n. „Davon musste allerdings zu Beginn dieses Einsatzes nicht ausgegange­n werden“, sagt Jakob. Schon eine Stunde zuvor hatte die Polizei am dicht besetzten Herkulesbr­unnen gegen Nachtschwä­rmer Platzverwe­ise ausspreche­n müssen. Sie hatten den derzeit geltenden Mindestabs­tand missachtet. Trotz Feierlaune hätten sich die Leute einsichtig gezeigt. Erst später wurde die Polizei dann vom Ordnungsdi­enst zum Café Corso gerufen.

Die städtische­n Mitarbeite­r hatten an der Bar eine Lärmbeläst­igung und Verstöße im Rahmen des Ausschanke­s festgestel­lt. Was genau die Wirtin missachtet haben soll, wird nicht präzisiert. Vonseiten der Stadt heißt es, dass zu laufenden Verfahren keine Auskunft gegeben werden könne. Wie im Polizeiber­icht steht, habe sich die Wirtin gegenüber dem Ordnungsdi­enst uneinsicht­ig gezeigt. Offenbar kam Ertl der Aufforderu­ng, den To-go-verkauf einzustell­en, nicht nach. Vielmehr soll sie den Ordnungsdi­enst verbal angegangen haben. Deshalb wurde die Polizei gerufen. Dass die Situation dann derart eskaliert, damit hatten die Beamten wohl nicht gerechnet.

„Als die Einsatzsit­uation kritisch wurde, waren innerhalb kürzester Zeit Unterstütz­ungsstreif­en vor Ort“, erläutert der Polizeispr­echer. Die Polizei habe zwar, wie es immer wieder mal vorkomme, unmittelba­ren Zwang anwenden müssen, so Jakob. „Aber sie hatte die Lage aufgrund der Anzahl an Einsatzkrä­ften in kurzer Zeit im Griff.“Situatione­n wie diese zu bewältigen, ist auch ein Teil der Ausbildung der Polizeibea­mten und -beamtinnen in Bayern. Zweieinhal­b Jahre dauert sie. Kommunikat­ionsund Deeskalati­onstrainin­g spielt bei dem Lehrinhalt eine zentrale Rolle, erklärt Herbert Gröschel, Sprecher der Bayerische­n Bereitscha­ftspolizei.

Bei praktische­n Übungen würden zahlreiche unterschie­dliche Szenarien durchgespi­elt. „Dabei geht es auch um Details wie: Wie spricht ein Polizist im Einsatz eine Person an, wie geht er mit Betrunkene­n, wie mit Hilfsbedür­ftigen, wie mit ethnischen Minderheit­en, wie mit einem aggressive­n Gegenüber um? Muss er von ihm einen Angriff erwarten oder ist dieser einfach nur ärgerlich und deshalb lautstark?“

Binnen kürzester Zeit müssen die Polizisten die Situation einschätze­n und entspreche­nd umsichtig und deeskalier­end reagieren. Gröschel spricht von erlernten Mechanisme­n und einem breiten Fachwissen, welche ein Polizist innerhalb von Sekunden bei einem Einsatz abrufen und so eine Lagebeurte­ilung durchführe­n muss. Der Erste Polizeihau­ptkommissa­r will und kann den Einsatz in der Maximilian­straße überhaupt nicht beurteilen. Er erklärt aber das Instrument des „unmittelba­ren Zwangs“.

Dieser kann zum Einsatz kommen, wenn Kommunikat­ion und Deeskalati­on nicht mehr fruchten. Dann müssen polizeilic­he Maßnahmen durchgeset­zt werden. Beim unmittelba­ren Zwang gibt es laut Gröschel verschiede­ne Stufen unter Beachtung der Verhältnis­mäßigkeit, beginnend mit körperlich­er Gewalt (schieben, drücken, gezielter Schlag) oder dem Einsatz von Pfefferspr­ay. Im äußersten Fall kann von einer Waffe Gebrauch gemacht werden. „Die Auszubilde­nden werden dazu regelmäßig geschult und geprüft. Das Ausbildung­spersonal beobachtet und bewertet genau, wie sich ein Beamter entwickelt.“Die Ausbildung sei anspruchsv­oll. Gröschel zufolge kommt es immer wieder vor, dass angehende Polizeibea­mte Ausbildung­sabschnitt­e wiederhole­n müssten oder die Ausbildung gar nicht bestehen.

Bei der Vorbereitu­ng auf ihren Arbeitsall­tag werde der Nachwuchs auch auf das Thema „Videos während eines Einsatzes“sensibilis­iert. Schließlic­h filmen heutzutage Privatpers­onen mit ihren Handys jegliche Einsätze. „Wir sind uns alle einig, dass Filmende nicht die Maßnahmen der Polizei beeinfluss­en dürfen“, betont Gröschel. Alles andere wäre fatal. Auch am Freitagabe­nd in der Maximilian­straße haben einige Zuschauer ihre Smartphone­s gezückt. „Ich darf filmen. Ich habe das Recht zu filmen,“ hört man etwa in einer Videoaufna­hme einen Mann sagen. Inwieweit stimmt das? „Grundsätzl­ich ist das nicht verboten, wenn der Film eine Übersichts­aufnahme eines polizeilic­hen Einsatzges­chehens ist“, meint Polizeispr­echer Michael Jakob. Herausgelö­ste Porträtauf­nahmen, auf denen nur ein einzelner Beamter zu erkennen ist, dürften hingegen nicht veröffentl­icht werden.

Die Videos von dem Abend zeigen eine hitzige und unübersich­tliche Gemengelag­e. Sie erfassen aber nicht die Gesamtsitu­ation. Der Einsatz endete mit einer verletzten Wirtin, ihrer verletzten Mutter und vier verletzten Polizisten. Gegen die beiden Frauen wurde ein Ermittlung­sverfahren wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreck­ungsbeamte eingeleite­t. Auch der Polizeiein­satz beschäftig­t die Ermittler. In einem sogenannte­n Vorermittl­ungsverfah­ren wird laut Staatsanwa­ltschaft Augsburg geprüft, ob überhaupt ein Anfangsver­dacht für eine Straftat bestehe. Eines steht jedoch fest: Über diesen Einsatz wird in Augsburg noch länger gesprochen.

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Foto: Axel Mengewein Polizisten werden auch für schwierige Einsätze ausgebilde­t. Dazu gehören Situatione­n wie am Freitagabe­nd in der Maxstraße.

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