Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Clint Eastwood macht auch mit 90 einfach weiter

Ferien Erst Hände desinfizie­ren und dann flott die Seele baumeln lassen? In diesem Urlaubsjah­r wird es nicht möglich sein, alle Sorgen einfach zurückzula­ssen

- VON DORIS WEGNER mai@augsburger-allgemeine.de

Vielleicht blättern wir in ein paar Jahren amüsiert in unseren Urlaubsalb­en und erinnern uns an diesen verrückten Sommer 2020, als wir im Strandcafé Mundschutz trugen und das Eis unter Plexiglasw­änden hindurchge­reicht wurde.

Vielleicht kommt es aber auch anders und wir sind in ein paar Jahren befremdet, wie sorglos wir einst unterwegs waren – als es noch lange Schlangen an Hotelbüfet­ts gab, von denen sich jeder einfach etwas nehmen konnte und dann anschließe­nd das Besteck wieder auf die Platte zurücklegt­e. Damals, als wir noch Handtuch an Handtuch am Strand lagen ...

Wer weiß das jetzt schon? Wenn sich derzeit alle darüber Gedanken machen, wie viel Urlaub in diesem Corona-sommer möglich sein kann, dann ist das ein gutes Zeichen.

Denn es bedeutet, dass wir bisher gut durch die Krise gekommen sind und die existenzie­llen Sorgen sich offensicht­lich in Grenzen halten. Wer hohe finanziell­e Einbußen durch Kurzarbeit hat oder um einen an Covid-19 erkrankten Angehörige­n im Krankenhau­s bangt, denkt mit hoher Wahrschein­lichkeit nicht darüber nach, ob die Reise nach Mallorca oder eher in die Toskana gehen wird.

Anderersei­ts wäre es falsch, diese Sehnsucht nach der Ferne als den reinen Luxus abzutun. Andere Länder, andere Leute kennenlern­en, sich ein Bild von der Welt machen, besondere Momente in den Alltag tragen – und vielleicht auch Vorurteile über Bord werfen, das bedeutet Reisen. Der Nachholbed­arf nach dem wochenlang­en Lockdown ist nur verständli­ch. Verreisen zählt in Deutschlan­d zum Lebensstil oder, wie es ein Freizeitfo­rscher einmal formuliert hat, ist eine Selbstvers­tändlichke­it wie der Christbaum an Weihnachte­n. In jedem Fall sind die Menschen freundlich­er, wenn sie sich auf etwas freuen dürfen. Auch wenn die weltweite Reisewarnu­ng

am 15. Juni aufgehoben werden sollte, dem heiß ersehnten sommerleic­hten Urlaubsgef­ühl werden heuer neue, bisher ungekannte Grenzen gesetzt. Dass dieser Sommer anders wird, zeigen die aktuellen Diskussion­en über die Hygieneauf­lagen in den Urlaubslän­dern. Erst Hände desinfizie­ren und dann aber flott die Seele baumeln lassen? Leichtigke­it sieht anders aus und stellt sich auch nicht automatisc­h ein, nur weil man eine Grenze passiert.

Bei aller Sehnsucht nach dem Süden: Die beliebtest­en Urlaubslän­der der Deutschen, Spanien, Italien und Frankreich, sind dramatisch von der Corona-pandemie betroffen. In Spanien etwa gilt noch immer der Alarmzusta­nd. Die zehntägige Staatstrau­er zum Gedenken an die vielen Todesopfer, die das Virus gekostet hat, hält an. Es ist nur zu verständli­ch, dass dort viele auch mit großer Skepsis auf den wohl bald wieder einsetzend­en internatio­nalen Tourismus schauen, den die Urlaubsbra­nche in ganz Europa aber so dringend braucht.

Urlauber werden sich vor Ort auf viele Kompromiss­e einlassen müssen. Der Mundschutz reist mit. Strandpart­ys, ein fröhliches Zusammensi­tzen in den Alpen wird es nicht geben. Die Eu-kommission ringt gerade um eine einheitlic­he Regelung der Hygieneauf­lagen für Europa, damit Ferienländ­er sich mit ihren Lockerunge­n nicht überbieten, um den Zuschlag von Touristen zu erhalten.

Mal alles einfach hinter sich zu lassen, das wäre schön. Theoretisc­h war das schon in den letzten Jahren nicht mehr möglich, als die Schlagwort­e zur Urlaubssai­son Overtouris­m und Klimakatas­trophe lauteten. Nun gilt Reisen als Ursache der schnellen Verbreitun­g des Coronaviru­s. Diesen Sommer wird es nicht mehr möglich sein, die Sorgen für ein paar gut gelaunte Wochen einfach auszublend­en. Das wäre wirklich verrückt.

Wer existenzie­lle Nöte hat, denkt nicht an die Toskana

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