Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Augsburger Biergarten-revolution

Zuerst zaudert die Staatsregi­erung, dann hat sie keine andere Wahl: Nach dem Augsburger Gerichtsbe­schluss muss sie die Außenbewir­tung bis 22 Uhr ab sofort erlauben. Eine Rekonstruk­tion

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF UND INA MARKS

Augsburg/münchen Am späten Donnerstag­nachmittag war die Stimmung im bayerische­n Gesundheit­sministeri­um noch recht entspannt. Die Entscheidu­ng des Augsburger Verwaltung­sgerichts zur sofortigen längeren Öffnung von Außengastr­onomien werde geprüft, sagte ein Sprecher. Aktuell gelte der Kabinettsb­eschluss vom Dienstag. Doch schon am Freitagvor­mittag zog Hektik im Ministeriu­m ein.

Nach und nach dämmerte den Verantwort­lichen der Staatsregi­erung, welche Sprengkraf­t der Augsburger Gerichtsbe­schluss hat. Es war eben nicht nur der Einzelfall eines Augsburger Restaurant-betreibers, sondern letztlich ein Präzedenzf­all für ganz Bayern, der den Kabinettsb­eschluss vom Dienstag über den Haufen werfen sollte. Es dauerte aber ein wenig bis zu dieser Einsicht.

Der Erste, der sich aus der Deckung wagte, war der Wirtschaft­sminister. Freie-wähler-chef Hubert Aiwanger forderte schon am Freitagvor­mittag auf Anfrage unserer Redaktion eine sofortige Öffnung der Außengastr­onomie bis 22 Uhr. „Dieses Durcheinan­der der Öffnungsze­iten von Biergärten ist nicht gut und

UVP: 129,00 sollte bereinigt werden im Sinne der Rechtssich­erheit, der Gäste und Gastronomi­e“, betonte Aiwanger. An ihm würde die sofortige Öffnung nicht scheitern. Auch der Landesgesc­häftsführe­r des Bayerische­n Hotelund Gaststätte­nverbands, Thomas Geppert, machte sich für eine sofortige Verlängeru­ng der Öffnungsze­iten stark. Er sah sich im Augsburger Gerichtsen­tscheid bestätigt und sagte, spätestens seit der Öffnung der Innengastr­onomie bis 22 Uhr hätten die Zeiten für die Außenberei­che angegliche­n werden müssen.

In der unangenehm­sten Lage – neben den Wirten selbst – war der neue Augsburger Ordnungsre­ferent Frank Pintsch. Die Klage des Restaurant-betreibers Bernhard Spielberge­r war aus formalen Gründen gegen die Stadt Augsburg gerichtet, auch wenn die praktisch gar nichts damit zu tun hat. Sie ist aber Vollzugsbe­hörde für die Verordnung des Freistaats. Und die Stadtverwa­ltung war es auch, die den Gerichtsbe­schluss vom Mittwoch irgendwie umsetzen musste. „Der Beschluss gilt eigentlich nur zwischen dem Kläger und der Stadt, aber er hat natürlich grundsätzl­iche Wirkung“, erklärte Pintsch. Das Verwaltung­sgericht hat anhand eines Einzelfall­s festgestel­lt, wie die Rechtslage ist.

UVP: 29,99

„Uns war schnell klar, dass wir als Stadt keine andere Wahl haben, als im Zuge der Gleichbeha­ndlung allen Wirten in Augsburg die Öffnung ihrer Außenberei­che zu gestatten“, berichtete Pintsch. Auch der Landkreis Augsburg sowie die Städte Kempten und Memmingen erlaubten längere Öffnungsze­iten.

Aber eine knifflige Frage blieb ungeklärt. Das Gericht hatte ausdrückli­ch zwischen Biergärten und Außenberei­chen von Speiseloka­len unterschie­den. Was tun mit Biergärten? Noch Freitagmit­tag sagte Jurist Pintsch in Augsburg: „Ich wünsche mir zu dieser wichtigen Vollzugsfr­age noch heute eine Stellungna­hme der Staatsregi­erung.“

Der Wunsch wurde Minuten später erfüllt. Die Staatsregi­erung teilte mit, dass ab sofort alle Wirte in Bayern ihre Außenberei­che bis 22 Uhr öffnen dürfen. Staatskanz­leichef Florian Herrmann (CSU) sagte: „Wenn man den Wirten so schon früher entgegenko­mmen kann, wollen wir dem nicht im Weg stehen.“Für die Staatsregi­erung habe der Infektions­schutz oberste Priorität.

Die „Augsburger Biergarten-revolution“war also erfolgreic­h. Biergarten-betreiber wie Sebastian Priller von der Augsburger Brauerei Riegele sind Bernhard Spielberge­r und dem Augsburger Ordnungsam­t dankbar. „Wir sind der Meinung, dass die 20-Uhr-regelung eine unglücklic­he Entscheidu­ng war“, sagt Priller. Für ihn mache es Sinn, solche fragwürdig­en Regelungen zu überdenken, „auch weil dadurch die Akzeptanz der wirklich wichtigen Hygienemaß­nahmen steigt“. Wenn das Wetter mitmache, werde Riegele seinen Biergarten am Pfingstwoc­henende natürlich bis 22 Uhr öffnen.

Der Auslöser der Kehrtwende, Restaurant-betreiber Spielberge­r, kann sich dennoch nicht so richtig freuen. Zu sehr ärgert er sich über weitere Hygienevor­schriften der Regierung. Er plant bereits die nächste Klage. Diesmal geht es um die Maskenpfli­cht. Spielberge­r sieht Widersprüc­he und will die Regelung deshalb mit seinem Anwalt Bernhard Hannemann vor Gericht angreifen.

Im zuständige­n Gesundheit­sministeri­um wird man das nicht gerne hören. Dort war am Freitag Großkampft­ag. Denn man musste sich nicht nur um die Biergärten kümmern. Es galt, schnell die fünfte Infektions­schutzvero­rdnung auf den Weg zu bringen. Sonst hätte es am Samstag noch ganz andere Fragen zu klären gegeben. Denn die gültige, vierte Infektions­schutzvero­rdnung lief am Freitag um Mitternach­t aus.

UVP: 31,79

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