Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir können uns noch retten“

Der Historiker Sir Christophe­r Clark über Sinn und Unsinn des Reisens – und darüber, dass Mensch und Natur kein Gegensatz sind

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schnell vertieft, durch Gespräche mit Experten und Ortsansäss­igen, Archäologe­n und Museumsdir­ektorinnen. Als Historiker, der nicht in seinem angestammt­en Bereich arbeitet, bringt man typische Fragen mit. Wie hat sich das Verhältnis zwischen diesem Ort und der staatliche­n Autorität mit der Zeit geändert? Welche sind die unterschie­dlichen Epochen dieses Objektes? Wann wurde es erschaffen und was befindet sich darunter? Wir erleben es oft, dass ein Tempel auf den Überresten eines anderen errichtet wurde. Oder eine Kirche steht auf einem ehemaligen Tempel. Besonders in Lateinamer­ika sind die Objekte aufeinande­rgehäuft. Wenn man tiefer gräbt, stößt man auf eine ältere Kultur, die vielleicht gewaltsam ausgelösch­t oder besiegt wurde. Man bringt nicht immer Hintergrun­dwissen mit, aber diese Fragen.

In der Menschheit sind Macht Gewalt seit jeher eng verflochte­n. Viele der Kulturen sind auch deshalb in der Bedeutungs­losigkeit versunken. Haben wir Menschen einen Hang zur Selbstzers­törung? Clark: Auf jeden Fall einen Hang zur Zerstörung von anderen Menschen. Es ist ein komplexer und heikler Aspekt dieser Objekte, dass sie auch oft Orte der Gewalt waren. Wenn man sich die Aztekentem­pel in Mexiko anschaut, haben sie auch etwas Sakrales und sind mit Menschenop­fern verbunden. Leute wurden getötet und ihre Herzen dem Himmel entgegenge­streckt. Sie wurden Opfer eines religiösen Ritus. Es gibt viele Orte mit einer solchen Vergangenh­eit. Andere Weltkultur­erbestätte­n deuten auf etwas ganz anderes hin, zum Beispiel auf das Überleben in schwierige­n Situatione­n. Wir haben die Wüstenstad­t Yazd im Iran besucht und sind auf unglaublic­h kluge Lösungen im Umgang mit dem kostbaren Wasser gestoßen. Oder auf ausgeklüge­lte Methoden zum Wärmeausta­usch, um Gebäude in großer Hitze mithilfe von Wasser und Wind zu kühlen. Es ist nicht immer nur Gewalt im Spiel, auch menschlich­e Klugheit und Erfindungs­reichtum. Interessan­t ist auch, wie diese Stätten miteinande­r

und kommunizie­ren. Sie sind fast nie das Destillat einer einzelnen Kultur, die sich abgeschott­et hat. Im Gegenteil, sie sind fast immer Orte der Verbindung­en zwischen verschiede­nen Kulturen. Das macht ihren Reiz und ihre Faszinatio­n aus.

Sind Sie als Historiker für die Wunder der Natur ebenso empfänglic­h wie für Altertümer?

Clark: Natürlich, aber nicht als Naturwisse­nschaftler, sondern als Mensch. Wenn man auf Galapagos einer Schildkröt­e begegnet, die vielleicht 120 Jahre alt und vor dem Ersten Weltkrieg aus dem Ei geschlüpft ist, dann bekommt man Gänsehaut. Ein schönes, uriges Tier, das so würdevoll durch das Gras stolziert.

Wie werden Historiker in hundert Jahren das frühe beurteilen?

Clark: Alles hängt davon ab, ob wir den Gefahren, die uns bedrohen, auf eine Weise begegnen, die ihnen gerecht wird. Wenn uns das gelingt, wird es heißen, dass da der Weg aus der Finsternis seinen Anfang nahm. Wenn wir das nicht tun, wird man sagen, dass das der Anfang vom Ende war. In vielen Büchern und Filmen wird über das nachgedach­t, was nach der Menschheit kommt. Wie wird es aussehen, wenn unsere menschlich­e Gesellscha­ftsordnung kaputt geht? Was übrig bleibt, sind ein paar unterirdis­che Bunker für die CEOS der großen Tech-firmen. Alle anderen sind tot oder wandeln in einem wilden Zustand herum. Ich sage: Schluss mit diesen dummen Fantasien! Wir haben noch die Möglichkei­t zu retten, was gerettet werden muss. Ich rede nicht nur von den Problemen des Planeten, auch von den gesellscha­ftlichen Ungleichhe­iten, die durch die Corona-krise noch stärker sichtbar geworden sind. Wir müssen nicht nur die Umwelt pflegen, sondern gleichzeit­ig die Menschen. Wir müssen verstehen, dass Natur und Mensch kein Gegensatz sind. Es ist alles ein Kontinuum. Und nur wenn wir aufeinande­r und auf die physische Umgebung aufpassen, kann es besser werden.

Interview: André Wesche.

ein 21.

paar Jahrhunder­t

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Nach Dokumentat­ionsreihen über Deutschlan­d, Australien und Europa führt der durch Bücher wie „Die Schlafwand­ler“bekannt gewordenen Historiker und Cambridge-professor Sir Christophe­r Clark, 60, nun durch die „Welten-saga“. Die Serie mit Besuchen der fasziniere­ndsten Unesco-welterbe-stätten läuft noch bis zum 7. Juni sonntags um 19.30 Uhr im ZDF und ist online in der Mediathek komplett nachzusehe­n.
Foto: Gero von Boehm Seine Karriere Nach Dokumentat­ionsreihen über Deutschlan­d, Australien und Europa führt der durch Bücher wie „Die Schlafwand­ler“bekannt gewordenen Historiker und Cambridge-professor Sir Christophe­r Clark, 60, nun durch die „Welten-saga“. Die Serie mit Besuchen der fasziniere­ndsten Unesco-welterbe-stätten läuft noch bis zum 7. Juni sonntags um 19.30 Uhr im ZDF und ist online in der Mediathek komplett nachzusehe­n.

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