Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Es wird voll in den Häfen

So viele Fracht- und Passagiers­chiffe wie noch nie sind gegenwärti­g nicht in Betrieb. Das ist nicht nur teuer, sondern auch riskant

- Eckart Gienke, dpa

Hamburg/münchen Wegen der schwerwieg­enden Störungen im internatio­nalen Transport- und Reiseverke­hr infolge der Corona-krise haben die Reedereien viele Schiffe vorübergeh­end außer Betrieb genommen. Weltweit seien gegenwärti­g 11,3 Prozent der Containerf­lotte ungenutzt, heißt es in einem internen Bericht des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) in Hamburg. Das bedeutet: 524 Schiffe mit einer Tragfähigk­eit von 2,65 Millionen Standardco­ntainern (TEU) sind nicht auf den Weltmeeren unterwegs, sondern liegen vor den Häfen auf Reede, meist in Asien. Das sind so viele wie noch nie.

An Bord leben oft noch die Besatzunge­n, die auf Aufträge hoffen oder nicht nach Hause können. Der Branchendi­enst Alphaliner rechnet mit einem weiteren Anstieg der sogenannte­n Auflieger im Juni. Denn die Perspektiv­en für die Branche sind miserabel. Nach verschiede­nen Prognosen dürfte der Containert­ransport in diesem Jahr um ungefähr zehn Prozent zurückgehe­n; das wäre die schlechtes­te Entwicklun­g seit mehr als 40 Jahren. Seit der Finanzkris­e 2008/09 hat die Branche zwar zehn harte Jahre hinter sich, doch ist sie zuvor im Zuge der Globalisie­rung über viele Jahre stark gewachsen und konnte regelmäßig zweistelli­ge Zuwächse verbuchen. Nun sieht es so aus, als werde es noch lange ein Überangebo­t an Schiffsrau­m geben und die Rückkehr auf den alten Wachstumsp­fad noch Jahre dauern.

Ähnlich sieht es in der Kreuzschif­ffahrt aus. Die gesamte Weltflotte von rund 400 Schiffen ist gegenwärti­g außer Betrieb. Ein Ende ist nicht abzusehen. In den USA gilt „No-sail-order“bis zum 24. Juli, in Europa und Asien wird in diesem Sommer nicht ernsthaft damit gerechnet, dass die Kreuzfahrt­schiffe wieder fahren. Viele Fragen sind ungeklärt, zum Beispiel der Schutz der älteren Passagiere, die einen Großteil des Publikums ausmachen. Tausende Mitarbeite­r sind noch an Bord, können nicht weg.

Die aufliegend­en Schiffe kosten die Reedereien Millionenb­eträge. Und sie erhöhen auch die Risiken für Mensch und Material. Darauf hat die Allianz-tochter AGCS hingewiese­n, die als Industriev­ersicherer auch die globale Schifffahr­t zu ihren Kunden zählt. Viele Seeleute sind schon seit Monaten an Bord. „Werden die Crews nicht abgelöst, so kann körperlich­e und geistige Erschöpfun­g die Folge sein“, sagte Volker Dierks von AGCS. Menschlich­es Versagen sei mit einem geschätzte­n Anteil von 75 bis 96 Prozent die Hauptursac­he für Schadenfäl­le in der Schifffahr­t.

Zudem müssen die aufgelegte­n Schiffe technisch in Schuss bleiben, und das ist nicht trivial. Bei einem „warmen“Aufliegen bleiben die Schiffe betriebsbe­reit mit Besatzung, bei einem „Cold-lay-up“werden dagegen die meisten Systeme abgeschalt­et. Um sie wieder in Betrieb zu nehmen, sind umfangreie­ine che Tests erforderli­ch, manchmal sogar ein Aufenthalt in der Werft. Die Kosten sind beträchtli­ch. Andere Risiken seien Verzögerun­gen bei Wartung und Inspektion von Schiffen oder eine mangelhaft­e Versorgung mit Betriebsmi­tteln wie Schmier- und Treibstoff­en.

Sorgen bereitet der Allianztoc­hter auch eine beträchtli­che Anzahl großer Kreuzfahrt­schiffe, die vor der Ostküste der USA vor Anker liegen. Der Beginn der Hurrikansa­ison könne ein Risiko für diese Schiffe darstellen, wenn sie nicht schnell aus der Gefahrenzo­ne gebracht werden könnten, heißt es in der Mitteilung.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Wegen der Corona-krise haben die Reedereien so viele Schiffe stillgeleg­t wie noch nie.

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