Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Nordkorea muss seine Diktatur abschüttel­n

Mit der Sprengung eines Grenzbüros verschärfe­n sich die Spannungen in der Region. 70 Jahre nach dem Ausbruch des Koreakrieg­s ist das ein beunruhige­ndes Signal

- VON FABIAN KRETSCHMER redaktion@augsburger-allgemeine.de

Nordkorea hat nicht nur ein Gebäude gesprengt, sondern vorerst auch die Hoffnung auf eine Aussöhnung zwischen den beiden Staaten. Was nach der Detonation von dem innerkorea­nischen Verbindung­sbüro auf der nordkorean­ischen Seite des Grenzgebie­ts übrig blieb, war ein eindeutige­s Signal: Das Büro, das einmal als Stein gewordenes Symbol für die Annäherung zwischen Nord und Süd galt, lag in Trümmern.

Für die Staaten, die sich offiziell noch immer im Kriegszust­and befinden und formal keine diplomatis­chen Beziehunge­n miteinande­r unterhalte­n, diente das Gebäude de facto als Botschaft. Eröffnet wurde es im Zuge des ersten Gipfeltref­fens zwischen Präsident Moon Jae In und Machthaber Kim Jong Un im Jahr 2018. Bis Januar arbeiteten dort Delegation­en der zwei Staaten Seite an Seite. Dann wurde das vierstöcki­ge Gebäude aus Stahl und Glas aufgrund der Coronaviru­spandemie geschlosse­n.

Für langjährig­e Beobachter des Koreakonfl­ikts ist die jetzige Eskalation besonders bitter: Viele Pessimiste­n nahmen Nordkoreas Annäherung an die Welt vor zwei Jahren nicht ernst. Ein großer Teil der Südkoreane­r hegte jedoch große Hoffnungen darauf, dass nun endlich Frieden einkehren könnte – auch wenn auf ähnliche Träume in der Vergangenh­eit stets ein böses Erwachen folgte.

Doch mit Präsident Moon Jae In gelangte in Seoul endlich ein Politiker ins Präsidente­namt, für den die Aussöhnung mit dem Norden eine Herzensang­elegenheit zu sein schien – schon allein wegen seiner Familienge­schichte. Moons Vater flüchtete während des Kriegs Anfang der 50er Jahre auf einem Un-boot in den Süden, wo der heutige Staatschef in einem ärmlichen Flüchtling­scamp aufwuchs. Dass seine Landsleute auch den nördlichen Teil der koreanisch­en Halbinsel besuchen können, ist eine der wichtigste­n Visionen des südkoreani­schen Präsidente­n.

Für viele aus der Generation jener Südkoreane­r, die den Koreakrieg noch erlebt haben, galt die kurz anhaltende Charme-offensive zwischen Kim Jong Un und Moon als letzte Chance auf eine Wiedervere­inigung. Genau 70 Jahre liegt der Ausbruch der Auseinande­rsetzungen nun zurück. Unter Historiker­n wird der Konflikt auch als der „vergessene Krieg“bezeichnet – und das nicht zu Unrecht: Auch wenn die drei Jahre andauernde bewaffnete Auseinande­rsetzung laut Schätzunge­n vier Millionen Menschenle­ben gefordert hat, ist sie doch in weiten Teilen der Weltgemein­schaft längst nicht mehr präsent.

In Südkorea ist das naturgemäß anders: In die kollektive Psyche der Nation hat sich das Schicksal der Familien eingebrann­t, die seit den Kriegswirr­en in Nord und Süd geteilt wurden. Das Regime im Norden allerdings setzte die spärlich gesäten „Familienzu­sammenführ­ungen“immer nur als politische­s Druckmitte­l ein.

Südkoreas Regierung muss spätestens jetzt einsehen, dass es zwar als Vermittler in diesem Konflikt agieren kann, letztendli­ch jedoch machtlos bleibt: Denn Nordkorea wird sich der Welt nur öffnen, wenn es die grausame Diktatur abschüttel­t. Erst dann kann das Land auch seine Feindselig­keit gegenüber den USA überwinden – auch wenn diese Feindschaf­t seine Wurzeln in dem Krieg von vor 70 Jahren hat. Nicht zuletzt aufgrund der historisch­en Narben: In der nordkorean­ischen Geschichts­schreibung sind die amerikanis­chen Imperialis­ten dafür verantwort­lich, dass das Land in Schutt und Asche gelegt wurde.

Doch Pjöngjang nutzt dieses Feindbild aus, um sein totalitäre­s Regime vor der Bevölkerun­g zu legitimier­en. Dass vor allem das einfache Volk darunter leidet, nimmt die Kim-dynastie in Kauf.

Im Koreakrieg starben vier Millionen Menschen

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