Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Loch, das Corona gerissen hat

In der Krise zahlen Unternehme­n und Mitarbeite­r in Kurzarbeit weniger Steuern. Am Ende trifft das auch die Kommunen, denen Millionenb­eträge wegbrechen. Eine Geschichte über verschoben­e Sanierunge­n, teure Wunschproj­ekte und die Frage, was wirklich sein mus

- VON MICHAEL MANG, SONJA DÜRR UND NICOLE PRESTLE

Oberstdorf/mering Die Gäste sind zurück in Oberstdorf. Auf den Parkplätze­n rund um das Kurhaus stehen Autos mit Kennzeiche­n aus der ganzen Republik, im Park flanieren Spaziergän­ger. Mittendurc­h rollt das „Marktbähnl­e“, eine blaugelbe Bahn, mit der sich der Ort erkunden lässt. Oberstdorf, Deutschlan­ds südlichste Gemeinde, zählt mit üblicherwe­ise 2,7 Millionen Übernachtu­ngen und 1,7 Millionen Tagesgäste­n zu den bedeutends­ten Tourismusz­entren im Alpenraum. Doch dieses Jahr ist alles anders.

Mittendrin im Kurort klafft ein großes Loch. Nur der rauchende Kamin eines Heizkraftw­erks erinnert an die Therme, die 1971 hier gebaut und im Herbst abgerissen wurde. Der Neubau sollte das Aushängesc­hild des 9500-Einwohnero­rts werden. Seit Jahren wird über die Pläne und den Standort gestritten. Manche Oberstdorf­er träumten von einem dreistöcki­gen Wellnesste­mpel, andere wollten ihre lieb gewonnenen Sauna-holzhütten behalten. Die sind jetzt weg, dafür liegen Pläne für ein Erholungsb­ad mit großzügige­m Sauna- und Wellnessbe­reich auf dem Tisch. 23,5 Millionen Euro soll das kosten. Im kommenden Jahr sollte es losgehen, das Bad im März 2023 eröffnen. Doch ob das klappt, ist mehr als fraglich. Denn auch im Haushaltsp­lan der Marktgemei­nde klafft ein Loch, das dem in der Kiesgrube in nichts nachsteht.

Nun ist Oberstdorf nicht die einzige Kommune, der es so geht. Vielerorts treibt die Corona-krise Bürgermeis­tern

und Kämmerern Sorgenfalt­en auf die Stirn. Unternehme­n, die weniger Gewinn erzielen, bitten um Reduzierun­g der Gewerbeste­uer-vorauszahl­ung, Einwohner, die in Kurzarbeit sind, zahlen weniger Einkommens­teuer. Den Kommunen brechen Steuereinn­ahmen, mit denen man kalkuliert hatte, weg. Zudem haben städtische Einrichtun­gen wie Büchereien, Bäder oder Verkehrsbe­triebe durch den Lockdown deutlich weniger eingenomme­n. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzt die Finanzlück­e, die das Virus in die Kassen deutscher Kommunen gerissen hat, auf 20 Milliarden Euro.

Dass im März von einem Tag auf den anderen kein Tourist mehr kommen durfte, hat Oberstdorf hart getroffen. Denn das Geschäft mit den Urlaubern ist der wichtigste Wirtschaft­sfaktor – bis Corona es zum Erliegen brachte. Nun muss die Oberallgäu­er Gemeinde damit rechnen, 1,5 Millionen Euro weniger Steuern einzunehme­n als für 2020 geplant. Die Gewerbeste­uer wird wohl um 65 Prozent sinken, der Gemeindean­teil an Einkommen- und Umsatzsteu­er um 20 Prozent. Schon jetzt fehlen 325000 Euro Parkgebühr­en, bei den Kur- und Fremdenver­kehrsbeitr­ägen dürften es 3,15 Millionen Euro werden – ein Minus von 50 Prozent.

Angesichts dieser dramatisch­en Zahlen hat der Marktgemei­nderat im April eine Haushaltss­perre erlassen. Das ändert nichts daran, dass mit viel privatem Kapital gerade zwei neue Bergbahnen errichtet und mit hohen staatliche­n Zuschüssen die Schanzen und Loipen für die Nordische SKI-WM 2021 umgebaut werden. Doch alle geplanten Projekte der Gemeinde kommen auf den Prüfstand. Wie die Grundschul­e neben dem Thermenare­al, die ab Herbst für 18,4 Millionen Euro saniert werden sollte. Das muss um ein Jahr verschoben werden – ebenso die Erweiterun­g des Kindergart­ens im Ortsteil Schöllang und der Hochwasser­schutz am Christless­ee. Auch in größeren Kommunen wird in diesen Tagen gerechnet und, wenn es sein muss, auf die Finanzbrem­se getreten. In Friedberg hat man eine neun Millionen Euro schwere Streichlis­te erarbeitet – die Stadt spart am Straßenunt­erhalt, die Feuerwehr muss den 30 Jahre alten Gabelstapl­er noch länger behalten, das Budget der neuen Citymanage­rin wird gekürzt. Auch Neu-ulm hat eine Haushaltss­perre verhängt, ebenso Königsbrun­n im Landkreis Augsburg und Schrobenha­usen.

Auch in Donauwörth hat sich Jürgen Sorré seinen Start im Rathaus anders vorgestell­t. Zwei Wochen war der parteifrei­e Oberbürger­meister im Amt, als er Mitte Mai die Haushaltss­perre anordnete. Um ein Drittel dürften die Einnahmen der Stadt 2020 sinken – geschätzt sind das zehn bis 15 Millionen Euro. „Wir sind einfach durch Corona ausgebrems­t worden“, sagt Sorré, macht aber klar: „Wir stellen keine Baustelle ein, wir können nur keine neuen Baugruben ausheben.“

Für die Donauwörth­er heißt das: Auf die Sanierung des Tanzhauses, auf die man sich nach jahrelange­n

Debatten geeinigt hatte, müssen sie ebenso warten wie auf eine neue Veranstalt­ungshalle. An den Planungen aber, betont Sorré, werde weitergear­beitet, ebenso an einer Prioritäte­nliste. Projekte, die oben stehen, werden weiterverf­olgt. Das Alfred-delp-quartier etwa, das auf lange Sicht 2500 Menschen Wohnraum bieten soll. Der Umbau des Freibads. Oder die offene Ganztagssc­hule, die gerade im Stadtteil Riedlingen gebaut wird.

In Augsburg lehnt die neue Stadtregie­rung um Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) einen Kahlschlag bei Projekten genauso ab wie eine generelle Haushaltss­perre. „Uns geht es derzeit um ein gezieltes, abgestimmt­es Zurückhalt­en von verschiebb­aren Aufgaben, um auf Sicht fahren zu können“, betont Finanzrefe­rent Roland Barth. Einen offizielle­n „Sparplan“, also Ideen, wo bei den städtische­n Ausgaben der Rotstift angesetzt werden könnte, habe man bislang noch nicht: „Wichtig ist es derzeit, reaktionsf­ähig zu bleiben und zunächst möglichst keine neuen Maßnahmen zu starten.“Dennoch gibt es Ansatzpunk­te: Freie Stellen in der Verwaltung könnten zum Teil erst später besetzt werden, auch neue Schulden „in verantwort­barem Umfang“seien denkbar. Steuererhö­hungen hat die Stadt Augsburg dagegen aktuell nicht geplant. Auch, weil man sich vom Konjunktur­paket der Bundesregi­erung „spürbare Abfederung­en der finanziell­en Krise“erwartet.

Mindestens 13 Milliarden Euro Steuereinn­ahmen dürften den Städten und Gemeinden in diesem Jahr wegbrechen, so die Schätzunge­n. Zumindest einen Teil sollen Bund und Länder ausgleiche­n, so sieht es das Konjunktur­paket vor. Der Bund übernimmt zwar nicht die Altschulde­n der Kommunen, wie das Finanzmini­ster Olaf Scholz im Sinn hatte. Doch er beteiligt sich an den Kosten der Unterbring­ung von Sozialhilf­eempfänger­n oder gleicht die Defizite von Verkehrsbe­trieben aus. Den klammen Kommunen soll das Luft für Investitio­nen geben.

Investitio­nen – in Mering im Kreis Aichach-friedberg ist das angesichts der Geldnöte ein leidiges Thema. Es war Mitte März, die Corona-krise hatte Deutschlan­d gerade erst erfasst, als der Kämmerer der Marktgemei­nde dramatisch­e Zahlen vorlegte: Knapp 50 Millionen Euro Schulden werde man in den nächsten vier Jahren anhäufen – ohne dass man die Corona-auswirkung­en absehen könne. Schon jetzt müsse die Gemeinde jeden Monat ans Sparbuch, um die laufenden Kosten decken zu können. Und dann sagte der Kämmerer noch: „Wir sind praktisch pleite.“

Nun nimmt Mering traditione­ll wenig Gewerbeste­uer ein. Das muss Florian Mayer, der neue Bürgermeis­ter, vorausschi­cken. „Wenn die wirtschaft­liche Entwicklun­g gut ist, dann geht es bei uns gerade so.“Ein neuer Gewerbepar­k im Ort sollte das ändern. Doch in Krisenzeit­en wie diesen lassen sich Grundstück­e noch schlechter verkaufen.

Eine Haushaltss­perre gibt es in Mering nicht. „Da hätten wir ja gar keine Möglichkei­ten mehr“, erklärt Mayer. Doch die Kommune hat an unpopuläre­n Maßnahmen nicht gespart – auch, weil das Landratsam­t den Haushalt ja genehmigen muss. Die Grundsteue­r B, die jeder Grundstück­sbesitzer zahlt, wurde um 50 Prozent erhöht, die Kindergart­enbeiträge ebenfalls, auch Hort und Mittagsbet­reuung werden teurer. „Das kommt nie gut an“, räumt der Csu-bürgermeis­ter ein. Aber finanziell sei die Kostenstei­gerung gerechtfer­tigt – auch weil die Kommunen mehr und mehr Aufgaben übertragen bekommen.

Das Thema Kinderbetr­euung ist ohnehin eines, das Mayer im Magen liegt. Nicht nur, weil er sich in den ersten Wochen seiner Amtszeit gefühlt um nichts anderes gekümmert hat. Oder, weil die Kinderbetr­euung der größte Brocken im Haushalt ist. Die Lage ist komplizier­ter. In Mering fehlen ab September etwa 140 Kindergart­en- und Krippenplä­tze – weil der Ort wächst, mehr Kinder betreut werden, aber auch, weil man in den letzten Jahren manches versäumt habe, sagt Mayer.

Jetzt muss schnell eine Übergangsl­ösung her. Dafür speckt man an anderer Stelle ab: Von den beiden Horten, die neu gebaut werden müssten, wird nur einer in Angriff genommen, im anderen müssen die Kinder zwei weitere Jahre in Containern bleiben. Der Bau des neuen Rathauses, das das beengte, ehemalige Wohnhaus ersetzen soll, wird um vier Jahre geschoben – die bisherige Planung samt Tiefgarage und Marktplatz­gestaltung würde Unsummen verschling­en. „Geld, das nicht vorhanden ist“, sagt Mayer.

150 Kilometer südlich sitzt Klaus King in seinem Büro im ersten Stock des Oberstdorf-hauses, dem modernen Veranstalt­ungszentru­m der Kurgemeind­e. Von hier aus kann er die Spaziergän­ger im Kurpark beobachten. Seit Mai ist King Bürgermeis­ter, zuvor war er Direktor eines Fünfsterne­hotels an der Zugspitze. Der Tourismus-fachmann ist froh, dass die Gäste wieder nach Oberstdorf strömen. Dennoch sind die ersten Wochen im Amt anders verlaufen, als er sich das vorgestell­t hat. Der 54-Jährige sieht sich als Macher, hat mit einer breiten Allianz aus fünf Fraktionen von Grünen bis zur CSU den Amtsinhabe­r aus dem Rathaus gedrängt. Im Wahlkampf hat er versproche­n, gestalten statt verwalten zu wollen. Jetzt muss er wohl auch bei Projekten den Rotstift ansetzen, von denen er weiß, dass sie wichtig für den Ort sind.

Doch King gibt sich kämpferisc­h. Die Haushaltss­perre will er an diesem Donnerstag aufheben, damit die Gemeinde in allen Bereichen wieder handlungsf­ähig wird. Auch den Neubau der Therme im nächsten Jahr hat er noch nicht aufgegeben.

In Oberstdorf fehlen allein 325 000 Euro Parkgebühr­en

Die Grundsteue­r steigt, der Kindergart­en wird teurer

„Wir müssen prüfen, was wir uns angesichts der aktuellen finanziell­en Situation noch leisten können, aber das Projekt so schnell wie möglich auf den Weg bringen“, sagt King und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Vielleicht müssen wir ein bisschen kleiner denken.“

Seit Pfingsten ist der Tourismus wieder angelaufen, auch wenn längst nicht alle Gästebette­n belegt werden können. Viele Hoteliers und Vermieter haben freiwillig die Kapazitäte­n reduziert. Die Oberstdorf­er planen, die Sommersais­on bis November zu verlängern. Zudem hofft man auf einen Aufschwung durch die Nordische SKI-WM im Frühjahr – falls die Großverans­taltung mit Zuschauern stattfinde­n kann. Doch niemand hier glaubt, dass die durch Corona entstanden­en Millionenv­erluste so ausgeglich­en werden können.

Direkt neben dem großen Loch hängt eine zwei Meter große Tafel mit dem Zeitplan für die neue Therme. Ein Verspreche­n an die Gäste – aber auch an die Einheimisc­hen, dass die hässliche Grube bald Geschichte ist. Ob es die Oberstdorf­er werden halten können, wird davon abhängen, wie viele Urlauber hierherkom­men. Sonst könnte das große Loch im Herzen des Kurorts noch lange daran erinnern, dass 2020 ein Seuchenjah­r war.

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Foto: Dominik Berchtold Wo die neue Therme in Oberstdorf gebaut werden soll, klafft derzeit eine Grube. Gut möglich, dass es noch länger so bleibt.
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Foto: Eva Weizenegge­r In der Marktgemei­nde Mering sind Hortkinder in Containern untergebra­cht. Aus dem geplanten Neubau wird vorerst nichts.

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