Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Scholz’ unheimlicher Riesenschub
Die Neuverschuldung steigt auf einen einsamen Rekord. Gegen die Corona-folgen nimmt der Staat fünfmal mehr Milliarden auf als in der Finanzkrise. Kann das gut gehen?
Berlin Für den größten Schuldenmacher der Republik wirkt Olaf Scholz regelrecht fröhlich und zu Scherzen aufgelegt. „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt – das ist die Aufgabe, die wir jetzt haben“, zitiert der Spd-finanzminister den alten Neue-deutsche-welle-hit, dessen Band den bezeichnenden Namen „Geiersturzflug“trägt.
„Jetzt geben wir Deutschland einen Riesenschub für unsere Zukunft“, betonte Scholz, als er die größte Neuverschuldung eines Jahres in der Geschichte der Bundesrepublik bekannt gab. „Nichtstun würde die Krise verschärfen und wäre damit viel teurer“, versicherte Scholz, der vor Jahresfrist noch die „schwarze Null“eisern verteidigte. Doch auch der jetzige Kraftakt sei nur zu stemmen, weil die Bundesrepublik in guten Zeiten Schulden abgebaut habe.
Das Kabinett brachte am Mittwoch wegen der Corona-krise bereits den zweiten Nachtragshaushalt über 62,5 Milliarden Euro auf den Weg, Ende März machte die Koalition bereits über 156 Milliarden Euro locker. Damit steigt die für das laufende Jahr geplante Neuverschuldung auf 218,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Im bisherigen 2010 nahm der Bund im Kampf gegen die damalige Finanzkrise 44 Milliarden Euro neue Kredite auf. Scholz’ Riesenschub ist damit fünfmal teurer. Mit dem Geld soll vor allem das Konjunkturpaket finanziert werden, das Konsum und Wirtschaft in den kommenden Monaten wieder ankurbeln soll – etwa über die Mehrwertsteuersenkung und den Bonus für Familien mit Kindern.
Ist die gewaltige Summe gerechtfertigt? Fdp-haushälter Otto Fricke hält die jetzt geplanten Schulden für unnötig hoch. Scholz nehme jetzt mehr Kredite auf und parke das Geld im Haushalt, damit er im Wahlkampfjahr 2021 keine neuen Schulden brauche, kritisierte er. „Das sind die Taschenspielertricks eines Finanzministers, der gerne ins Kanzleramt umziehen möchte.“
Für einen solventen Staat wie Deutschland ist es relativ einfach und billig, Kredite mit Staatsanleihen aufzunehmen. „Das Geld kommt größtenteils von institutionellen Anlegern wie Versicherungen, die Geld haben und dieses sicher anlegen wollen“, erklärt der Ökonom Daniel Stelter, Autor des Buches „Coronomics“, das sich mit den wirtschaftlichen Folgen der Corona-krise befasst. Für zehnjährige deutsche Staatsanleihen gibt es derzeit Negativzinsen. Das heißt, der Staat bekommt sogar Zinsen, wenn er sich Geld leiht. „Das liegt daran, dass viel Angst im System ist, die Finanzkrise wurde nie richtig ausgeheilt“, erklärt Stelter.
Experten halten das Schuldenmachen zum jetzigen Zeitpunkt für vertretbar. „Es gab in der Geschichte immer wieder Episoden mit hohen Schuldenbergen“, sagt die Historikerin Laura Rischbieter von der Universität Konstanz, die die Geschichte der Staatsverschuldung erforscht. „Meistens ist es den Staaten gelungen, die Schuldenberge wieder abzutragen, ohne die Zahlungsunfähigkeit zu erklären.“
Abgesehen von Negativbeispielen wie Argentinien oder Griechenland verliefen Verschuldungskrisen in den meisten Staaten milde. „Öffentliche Verschuldung macht bei exogenen Schocks wie Naturkatastrophen oder einer Pandemie Sinn“, sagt die Historikerin. „Solange die Zinsen niedriger sind als das Wirtschaftswachstum, kann ein Staat sich verschulden, ohne bankrottzugehen“, betont Rischbieter.
Die Kehrseite ist allerdings die Inflationsgefahr, erklärt Ökonom Stelter. „Wenn wir dauerhaft die Staatsausgaben durch Verschuldung finanzieren, bekommen wir eine hohe Inflation“, betont er. „Deshalb kann man einen solchen Kraftakt nur ausnahmsweise in Krisenzeiten machen.“Derzeit hält der Ökonom dieses Szenario für unwahrscheinrekordschuldenjahr lich, aber nicht ausgeschlossen. „Ich erwarte eine moderate Inflation. Aber wenn der Gelddruck durch die Notenbanken zu groß wird, könnte es mit der Inflation so laufen wie beim Ausquetschen einer Ketchupflasche: Erst kommt gar nichts raus und dann alles auf einmal.“
Auch wenn Scholz verspricht, dass der Bund die Schulden ab 2023 innerhalb von 20 Jahren wieder komplett abbauen könne, wächst bei vielen die Sorge, der Staat verschulde sich auf Kosten der heutigen Kinder. Ökonom Stelter sieht kein Problem bei der Generationengerechtigkeit. „Die Schulden gehen auf die nächste Generationen über, aber die Forderungen auch“, sagt er. Die meisten Gläubiger säßen im Inland.
Ein Nutznießer ist auch die Entwicklungspolitik. „Mit dem Nachtragshaushalt 2020 wurde auf Vorschlag des Finanzministers auch der Ausbau unseres Corona-sofortprogramms um drei Milliarden Euro für dieses und nächstes Jahr beschlossen“, sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller unserer Redaktion. „Damit wird Deutschland seiner Verantwortung in der Welt gerecht. Wir helfen, die dramatische Hungerund Wirtschaftskrise in Entwicklungsländern zu bekämpfen. Zum Beispiel unterstützen wir Millionen Kleinbauern, mit Ernteausfallversicherungen durch die Krise zu kommen.“