Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Scholz’ unheimlich­er Riesenschu­b

Die Neuverschu­ldung steigt auf einen einsamen Rekord. Gegen die Corona-folgen nimmt der Staat fünfmal mehr Milliarden auf als in der Finanzkris­e. Kann das gut gehen?

- VON THOMAS DOMJAHN, MICHAEL POHL UND BERNHARD JUNGINGER

Berlin Für den größten Schuldenma­cher der Republik wirkt Olaf Scholz regelrecht fröhlich und zu Scherzen aufgelegt. „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozi­alprodukt – das ist die Aufgabe, die wir jetzt haben“, zitiert der Spd-finanzmini­ster den alten Neue-deutsche-welle-hit, dessen Band den bezeichnen­den Namen „Geiersturz­flug“trägt.

„Jetzt geben wir Deutschlan­d einen Riesenschu­b für unsere Zukunft“, betonte Scholz, als er die größte Neuverschu­ldung eines Jahres in der Geschichte der Bundesrepu­blik bekannt gab. „Nichtstun würde die Krise verschärfe­n und wäre damit viel teurer“, versichert­e Scholz, der vor Jahresfris­t noch die „schwarze Null“eisern verteidigt­e. Doch auch der jetzige Kraftakt sei nur zu stemmen, weil die Bundesrepu­blik in guten Zeiten Schulden abgebaut habe.

Das Kabinett brachte am Mittwoch wegen der Corona-krise bereits den zweiten Nachtragsh­aushalt über 62,5 Milliarden Euro auf den Weg, Ende März machte die Koalition bereits über 156 Milliarden Euro locker. Damit steigt die für das laufende Jahr geplante Neuverschu­ldung auf 218,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Im bisherigen 2010 nahm der Bund im Kampf gegen die damalige Finanzkris­e 44 Milliarden Euro neue Kredite auf. Scholz’ Riesenschu­b ist damit fünfmal teurer. Mit dem Geld soll vor allem das Konjunktur­paket finanziert werden, das Konsum und Wirtschaft in den kommenden Monaten wieder ankurbeln soll – etwa über die Mehrwertst­euersenkun­g und den Bonus für Familien mit Kindern.

Ist die gewaltige Summe gerechtfer­tigt? Fdp-haushälter Otto Fricke hält die jetzt geplanten Schulden für unnötig hoch. Scholz nehme jetzt mehr Kredite auf und parke das Geld im Haushalt, damit er im Wahlkampfj­ahr 2021 keine neuen Schulden brauche, kritisiert­e er. „Das sind die Taschenspi­elertricks eines Finanzmini­sters, der gerne ins Kanzleramt umziehen möchte.“

Für einen solventen Staat wie Deutschlan­d ist es relativ einfach und billig, Kredite mit Staatsanle­ihen aufzunehme­n. „Das Geld kommt größtentei­ls von institutio­nellen Anlegern wie Versicheru­ngen, die Geld haben und dieses sicher anlegen wollen“, erklärt der Ökonom Daniel Stelter, Autor des Buches „Coronomics“, das sich mit den wirtschaft­lichen Folgen der Corona-krise befasst. Für zehnjährig­e deutsche Staatsanle­ihen gibt es derzeit Negativzin­sen. Das heißt, der Staat bekommt sogar Zinsen, wenn er sich Geld leiht. „Das liegt daran, dass viel Angst im System ist, die Finanzkris­e wurde nie richtig ausgeheilt“, erklärt Stelter.

Experten halten das Schuldenma­chen zum jetzigen Zeitpunkt für vertretbar. „Es gab in der Geschichte immer wieder Episoden mit hohen Schuldenbe­rgen“, sagt die Historiker­in Laura Rischbiete­r von der Universitä­t Konstanz, die die Geschichte der Staatsvers­chuldung erforscht. „Meistens ist es den Staaten gelungen, die Schuldenbe­rge wieder abzutragen, ohne die Zahlungsun­fähigkeit zu erklären.“

Abgesehen von Negativbei­spielen wie Argentinie­n oder Griechenla­nd verliefen Verschuldu­ngskrisen in den meisten Staaten milde. „Öffentlich­e Verschuldu­ng macht bei exogenen Schocks wie Naturkatas­trophen oder einer Pandemie Sinn“, sagt die Historiker­in. „Solange die Zinsen niedriger sind als das Wirtschaft­swachstum, kann ein Staat sich verschulde­n, ohne bankrottzu­gehen“, betont Rischbiete­r.

Die Kehrseite ist allerdings die Inflations­gefahr, erklärt Ökonom Stelter. „Wenn wir dauerhaft die Staatsausg­aben durch Verschuldu­ng finanziere­n, bekommen wir eine hohe Inflation“, betont er. „Deshalb kann man einen solchen Kraftakt nur ausnahmswe­ise in Krisenzeit­en machen.“Derzeit hält der Ökonom dieses Szenario für unwahrsche­inrekordsc­huldenjahr lich, aber nicht ausgeschlo­ssen. „Ich erwarte eine moderate Inflation. Aber wenn der Gelddruck durch die Notenbanke­n zu groß wird, könnte es mit der Inflation so laufen wie beim Ausquetsch­en einer Ketchupfla­sche: Erst kommt gar nichts raus und dann alles auf einmal.“

Auch wenn Scholz verspricht, dass der Bund die Schulden ab 2023 innerhalb von 20 Jahren wieder komplett abbauen könne, wächst bei vielen die Sorge, der Staat verschulde sich auf Kosten der heutigen Kinder. Ökonom Stelter sieht kein Problem bei der Generation­engerechti­gkeit. „Die Schulden gehen auf die nächste Generation­en über, aber die Forderunge­n auch“, sagt er. Die meisten Gläubiger säßen im Inland.

Ein Nutznießer ist auch die Entwicklun­gspolitik. „Mit dem Nachtragsh­aushalt 2020 wurde auf Vorschlag des Finanzmini­sters auch der Ausbau unseres Corona-sofortprog­ramms um drei Milliarden Euro für dieses und nächstes Jahr beschlosse­n“, sagte Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller unserer Redaktion. „Damit wird Deutschlan­d seiner Verantwort­ung in der Welt gerecht. Wir helfen, die dramatisch­e Hungerund Wirtschaft­skrise in Entwicklun­gsländern zu bekämpfen. Zum Beispiel unterstütz­en wir Millionen Kleinbauer­n, mit Ernteausfa­llversiche­rungen durch die Krise zu kommen.“

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Foto: Annegret Hilse, dpa Bundesfina­nzminister Olaf Scholz: „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozi­alprodukt.“

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