Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Israel will Annexionsp­läne ab Juli umsetzen

Regierungs­chef Netanjahu setzt auf den Us-plan für das Westjordan­land. Doch was passiert, wenn Donald Trump die Wahlen verliert?

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Obwohl der Countdown läuft, ist derzeit völlig unklar, wie, wann, ja sogar ob Israel die Annexionsp­läne für Teile des Westjordan­landes verwirklic­hen wird. Es geht um bis zu 30 Prozent des besetzten Gebietes. Bei Netanjahu löste der Vorstoß aus Washington ein unverhofft­es Glücksgefü­hl aus. Seine Euphorie war mit Händen zu greifen, als er den Plan Ende Januar zusammen mit Us-präsident Trump im Weißen Haus präsentier­te. Wie alte Kumpels feierten sich die beiden für den „Jahrhunder­tdeal“, der das Zeug dazu habe, endlich Frieden für Palästina und Israel zu bringen. Mit dabei stand der eigentlich­e Initiator des Konzeptes, Trumps Schwiegers­ohn Jared Kushner.

Ein Blick auf den Inhalt erklärt, warum Netanjahu so begeistert ist: Was in dem 180-seitigen Plan „Staat Palästina“genannt wird, wäre ein Flickentep­pich mit den dann annektiert­en israelisch­en Siedlungen, die durch von israelisch­en Sicherheit­skräften überwachte Verbindung­sstraßen durchzogen werden. Das zukünftige Palästina hätte zudem fast keine eigenen Außengrenz­en, da auch das Jordantal annektiert werden soll. Israel könnte dieses Gebilde perfekt kontrollie­ren. Die im Gegenzug in Aussicht gestellten Territorie­n in der Negev-wüste würden dafür keinen adäquaten Ausgleich bieten. Von einer Zweistaate­n-lösung zu sprechen wäre absurd – ein Staat ohne Souveränit­ät ist eben kein Staat.

Israel darf hingegen nicht nur seine großen Siedlungen behalten, sondern auch kleinere Orte tief im Westjordan­land. Für Israel würde ein vierjährig­er Stopp beim Siedlungsb­au gelten – allerdings versichert­e Netanjahu nach Kritik aus den eigenen Reihen, dass es dabei nur um Gegenden gehen würde, in denen es keine Siedlungen und keine unmittelba­ren Annexionsp­läne gibt. Israelisch­e Hauptstadt wird das ungeteilte Jerusalem. Zur Hauptstadt der Palästinen­ser soll ein Vorort im Osten Jerusalems werden, der durch meterhohe Betonmauer­n von der Innenstadt getrennt ist.

Palästina ist zudem verpflicht­et, Israel als jüdischen Staat anzuerkenn­en und dem Terrorismu­s abzuschwör­en. Auch die im Gazastreif­en herrschend­e radikalisl­amische Hamas müsste ihre Waffen abgeben. Das sind vernünftig­e Punkte, doch leider fehlt es an Gegenleist­ungen, die es palästinen­sischen Politikern möglich machen würden, zuzustimme­n, ohne politische­n Selbstmord zu begehen. Der Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas reagierte im Mai auf den Kushner-plan, indem

Aktuell er das Ende aller Vereinbaru­ngen mit Israel und den USA erklärte. Anfang Juni legte die Palästinen­serführung einen eigenen Nahostplan vor. Kern ist die Gründung eines „souveränen, unabhängig­en und entmilitar­isierten Palästinen­serstaates“. Das Papier sieht „geringfügi­ge Änderungen der Grenzen vor“. Eine Zustimmung Israels gilt als ausgeschlo­ssen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich jetzt bitter rächt, dass die Palästinen­ser eine ganze Reihe von weit attraktive­ren Friedensan­geboten in den letzten Jahrzehnte­n abgelehnt hatten.

Für Trump und Netanjahu ging und geht es auch um innenpolit­ische Entlastung durch den Nahost-vorstoß. Der Us-präsident war im Januar 2020 noch von einem Amtsentheb­ungsverfah­ren bedroht. Netanjahu kämpfte um eine Regierungs­mehrheit. Auch hatte er bereits einen Prozess wegen Korruption vor Augen. Heute – knapp fünf Monate später – führt Netanjahu eine Regierung mit seinem zuvor hartnäckig­sten Rivalen Benny Gantz an, doch seine juristisch­en Probleme sind nicht kleiner geworden – das Verfahren wurde tatsächlic­h eröffnet.

Trump befindet sich in der schwersten Krise seiner Amtszeit. Ihm wird nicht nur Versagen in der Corona-krise, sondern auch fehlende Empathie in der Auseinande­rsetzung um Rassismus nach Fällen von Polizeigew­alt gegen Schwarze vorgeworfe­n. Glaubt man den Umfragen, dann würde Trump gegen Herausford­erer Joe Biden verlieren, wenn jetzt Präsidents­chaftswahl­en stattfinde­n würden. Diese Entwicklun­g dürften Netanjahu und seine Mitstreite­r im konservati­v-nationalen Likud-block beunruhige­n. Denn sollte Amtsinhabe­r Trump durch den Demokraten Biden ersetzt werden, könnte das die Annexionsp­läne gefährden. Ohne die Rückendeck­ung der USA ist eine Umsetzung kaum denkbar. Vor diesem Hintergrun­d ist es verständli­ch, dass der Regierungs­chef nicht müde wird zu betonen, dass das Konzept ab Juli verwirklic­ht werden solle.

Ganz anders sehen das die Gegner des „Jahrhunder­tdeals“. Sie hoffen, dass der komplizier­te Plan wegen seiner schwer absehbaren Folgen vorerst in der Schublade bleibt und die Karten nach einer Niederlage Trumps neu gemischt werden. Diese Hoffnung dürfte – allerdings unausgespr­ochen – auch die deutsche Bundesregi­erung hegen. Die Sorge in Berlin ist, dass die Europäisch­e Union sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen kann, wenn Israel tatsächlic­h Ernst machen sollte. Ein Streit könnte einen Schatten auf den deutschen Eu-vorsitz von Juli bis Dezember 2020 werfen.

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