Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sehr geehrter Herr Paul Celan!

Klaus Reicherts folgenreic­her persönlich­er Austausch mit dem Dichter

- VON GÜNTER OTT

Das nennt man einen Draufgänge­r. Klaus Reichert hatte gerade Abitur gemacht, schrieb seit Jahren Gedichte – und adressiert­e am 31. März 1958 einen Brief an den „Sehr geehrten Herrn Paul Celan“in Paris, eigene Verse zur Begutachtu­ng anbei. Am Ende des lang-forschen Schreibens stand die Bitte um einen Besuchster­min. Und siehe da, nur fünf Tage danach, an einem Karfreitag, klingelte der junge Unbekannte an Celans Wohnungstü­r in der Rue de Longchamp 78… So nahm eine folgenreic­he, zwölfjähri­ge Beziehung (mit längeren Unterbrech­ungen) ihren Lauf, in Briefen und persönlich­er Begegnung.

Wie erschien der seinerzeit eher Insidern bekannte Dichter dem Besucher aus Deutschlan­d? „Paul Celan ist ein schlanker, schöner, noch jugendlich­er Mann, dessen Gesicht mich an das des jungen Kafka erinnert. Seine Stimme ist hell und hat eine leicht singende Melodie…“Wie erschütter­t war Klaus Reichert, als er Celan 1963 in Frankfurt/main wiedersah – psychisch angeschlag­en, „aufgedunse­n, feist geworden, falsche Zähne veränderte­n das Gesicht“. Und trotzdem wurde er Zeuge einer jener unvergessl­ichen Lesungen Celans (damals aus dem Band „Niemandsro­se“): „In diesen

Raum hätte kein Hüsteln (das es nicht gab) eindringen können; er blieb unverletzb­ar.“

Reichert, mittlerwei­le 82, emeritiert­er Anglistikp­rofessor in Frankfurt, Autor, Übersetzer und Herausgebe­r, war Celans Lektor beim Suhrkamp Verlag. Ergiebig war beider Austausch nicht zuletzt über Probleme der Übersetzun­g. Reichert übertrug u. a. James Joyce, Lewis Carroll, Robert Creeley. Celan pflegte lebenslang das Nebeneinan­der von eigener und fremder Dichtung. Er übersetzte aus dem Französisc­hen, Russischen, Englischen,

Italienisc­hen, Rumänische­n, Portugiesi­schen und Hebräische­n. Allein über 20 Jahre lang befasste er sich, angeregt auch durch Reichert, mit Shakespear­es Sonetten (eine Auswahl erschien 1967 bei Insel).

Reicherts Erinnerung­en (Lücken werden zugestande­n) und sein Briefwechs­el offenbaren – einmal mehr – Celans fasziniere­nde, doch zutiefst gefährdete Persönlich­keit. Der Dichter aus Czernowitz konnte sich, etwa befördert durch Whisky, völlig loslassen, tanzen, Revolution­slieder anstimmen. Dann wieder fiel er ins Schweigen, monologisi­erte, offenbarte Kränkungen und Verletzung­en, zuvorderst durch die infamen Plagiatsan­würfe Claire Golls, aber auch (so im Brief vom März 1959) durch die politische Düsternis in Deutschlan­d: „Die Niedertrac­ht ist wieder da, die Verlogenhe­it, die Hitlerei.“Als Celan 1967 überlegte, von Paris wegzugehen, riet ihm Reichert (und nicht nur er) von der Alternativ­e Deutschlan­d ab.

Celan machte es seinen Freunden schwer. Man merkt den Erinnerung­en Reicherts die Bange vor den Begegnunge­n an, die Unsicherhe­it und Vorsicht. Etwa als Celan am Tag nach seinem Treffen mit Heidegger im Schwarzwal­d in Frankfurt vorsprach. Musste es nicht verstören, dass er Kontakt just zu dem Philosophe­n suchte, der als Nsdap-mitglied die „nationalso­zialistisc­he Formierung des Wissendien­stes“betrieben und sich nach 1945 nie öffentlich erklärt hatte!

Aber dann gerät Celan bei Klaus und Monika Reichert ins Schwärmen und versteigt sich zu dem auf Elfriede Heidegger, eine notorische Antisemiti­n, gemünzten Satz: „Und die Frau ist so reizend.“Woraufhin die anwesende Marie Luise Kaschnitz (Laudatorin Celans bei der Vergabe des Büchner-preises 1960 in Darmstadt) trocken repliziert­e: „Wir haben sie damals nur die Martinsgan­s genannt.“Klaus Reichert erinnert sich: „Celan erstarrte.“Und dann: „Nun, der Abend war lehrreich, peinlich und früh zu Ende.“

Tief verunsiche­rt war Reichert auch, als Celan seinen Klappentex­tentwurf zur „Atemwende“richtigste­llte. Diese Gedichte, so Reichert, seien für die Toten geschriebe­n. Das, entgegnete Celan, „sind sie weiß Gott nicht! Sie sind für die Lebenden geschriebe­n, allerdings für diejenigen, die der Toten eingedenk bleiben (wollen)“. Ein zentrales poetisches Bekenntnis!

Reichert hat im Celan-doppeljahr 2020 (50. Todestag, 100. Geburtsjah­r) einen schönen Band vorgelegt, erweitert um Dokumente (mit einer bedeutende­n Einlassung Gadamers!) und Faksimiles. Es sind wohl die letzten, aus persönlich­en Begegnunge­n kommenden Erinnerung­en an Celan. Geadelt hat sie der Dichter in seinem Brief vom 11. November 1967: „Lassen Sie mich Ihnen ohne Umschweife sagen, wie glücklich ich darüber bin, Sie als festen Punkt in der Richtung zu wissen, in der meine Arbeiten – das Zentrale, „Zentralste“in meinem Leben, – sich zu bewegen versuchen …“

» Klaus Reichert: Paul Celan – Erinnerung­en und Briefe.

Suhrkamp, 297 S., 28 Euro

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Fotos: dpa „Sie als festen Punkt zu wissen“: Paul Celan (rechts) und Klaus Reichert.
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