Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Auftragsmo­rd auf deutschem Boden

Auto-lobbyistin Hildegard Müller hat Zweifel daran, dass das Konjunktur­programm der Politik ausreicht, und warnt davor, was geschieht, wenn die Ankündigun­gen zum Arbeitspla­tzabbau in der Branche Realität werden

- Interview: Christian Grimm und Stefan Stahl

Berlin/karlsruhe Nach der Anklage wegen eines mutmaßlich­en Auftragsmo­rds der russischen Regierung in Berlin droht die Bundesregi­erung Moskau mit neuen Sanktionen. „Das ist sicherlich ein außerorden­tlich schwerwieg­ender Vorgang“, sagte Außenminis­ter Heiko Maas (SPD). „Die Bundesregi­erung behält sich weitere Maßnahmen in diesem Fall ausdrückli­ch vor.“Die Bundesanwa­ltschaft geht nach monatelang­en Ermittlung­en davon aus, dass der Mord an einem Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin von der russischen Regierung in Auftrag gegeben wurde, wie sie am Donnerstag mitteilte. Das Opfer, ein 40 Jahre alter Tschetsche­ne georgische­r Staatsange­hörigkeit, war mit drei Schüssen niedergest­reckt worden. Mehr dazu auf

Frau Müller, welches Auto fährt die Chefin des Automobilv­erbandes eigentlich?

Hildegard Müller: Ich nutze privat und dienstlich ein Hybrid-modell. Für mich ist der Hybrid mit seinem Elektro- und Verbrennun­gsmotor das Beste aus beiden Welten. Kurze Strecken fahre ich elektrisch, längere Distanzen lege ich mit einem effiziente­n, sauberen Verbrenner zurück – die ideale Mischung. Ein reines Elektroaut­o wäre angesichts des aktuellen Ladesäulen­netzes und der oft langen Wege, die ich zurücklege­n muss, schwierig.

In Deutschlan­d macht der langsame Abschied von Benziner und Diesel vielen Angst. Die Risiken stehen im Vordergrun­d, aber besteht nicht jetzt auch die Chance, den Stier bei den Hörnern zu packen?

Müller: Das passiert bereits, die Unternehme­n tun alles, um gegenzuste­uern. Aber: Wir stecken in einer existenzie­llen Wirtschaft­skrise. Und nach den Wirtschaft­sdaten und Rückmeldun­gen aus der Branche haben wir es mit längerfris­tigen Verwerfung­en zu tun. Das schwächt kleine Mittelstän­dler ebenso wie Konzerne. Es fehlt an Liquidität, gefährdet Arbeitsplä­tze, und es wird immer schwierige­r, die Investitio­nspläne umzusetzen.

Jetzt sind wir doch wieder nur beim Negativen …

Müller: Mir scheint, dass noch nicht alle das Ausmaß dieser Krise sehen. Das Konjunktur­programm der Bundesregi­erung setzt sinnvolle Impulse, keine Frage. Der Ausbau der Ladenetze wird stärker gefördert, die Kaufprämie für Elektroaut­os aufgestock­t, und es gibt direkte Unterstütz­ung für Investitio­nen in Innovation­en, von denen wir hoffen, dass davon insbesonde­re Zulieferer profitiere­n können. Das alles stützt die Branche in ihrer Transforma­tion – die sie im Übrigen ja engagiert vorantreib­t: Bis 2023 werden unsere Unternehme­n ihr E-angebot etwa von heute etwa 60 auf über 150 Modelle in etwa verdreifac­hen. Bis 2024 investiere­n sie 50 Milliarden Euro in neue Antriebe und 25 Milliarden Euro sollen zusätzlich in die Digitalisi­erung gehen. Von den hierzuland­e zehn meistverka­uften Elektroaut­os kamen im ersten Quartal sieben von deutschen Hersteller­n. Die Branche redet nicht, sie handelt.

Werden denn diese Investitio­nspläne überhaupt zu halten sein? Die Aussichten der Unternehme­n sind angesichts der Schwere des Abschwungs düster. Müller: Genau deshalb ist es so wich

dass die Konjunktur so schnell wie möglich wieder anspringt. Wer keinen Gewinn macht, kann keine Steuern zahlen. Und er kann nicht investiere­n. Die Automobili­ndustrie hat in der Zeit des Shutdowns alles getan, um die Aufwendung­en für Forschung und Entwicklun­g auf hohem Niveau zu halten, und sie tut das weiterhin. Schließlic­h haben wir herausford­ernde Ziele im Klimaschut­z zu erfüllen. Das Erreichen der Flottengre­nzwerte beim Ausstoß von CO2 bleibt unser Ziel, auch wenn sich eine Pandemie über den Globus ausbreitet. Eine lang anhaltende Rezession macht aber natürlich nicht vor den Entwicklun­gsetats halt. Ich sehe das mit Sorge, vor allem mit Blick auf die mittelstän­dischen Zulieferer. Die müssen massiv in neue Technologi­en investiere­n, fallen aber aus vielen der derzeit aufgelegte­n Programme raus. Mal weil sie zu klein, mal zu groß dafür sind. Das muss die Politik in Berlin und Brüssel stärker in den Fokus nehmen. Die Ländermini­sterpräsid­enten waren da näher am Puls.

Die Politik hat sich gegen eine Neuauflage der Abwrackprä­mie entschiede­n. Hätte diese die Autokonjun­ktur anschieben können?

Müller: Es gilt der Primat der Politik. Dennoch bin ich sicher, dass eine Prämie für saubere Verbrenner die Konjunktur umfassende­r anschieben würde. Es ist richtig, dass Elektround Hybridfahr­zeuge gefördert werden und engagiert in die Ladesäulen­infrastruk­tur investiert wird. Aber derzeit haben Elektrofah­rzeuge einen Marktantei­l von etwa zehn Prozent. Wenn man eine breite Wirkung zur Konjunktur­erholung erzielen will, müsste man auch den großen Rest der modernen, sauberen Diesel und Benziner fördern. Damit würde man auch schnell mehr für den Klimaschut­z erreichen.

Viele Mittelstän­dler in ganz Deutschlan­d hängen am Verbrenner. Hätten die nicht mehr Rückendeck­ung seitens der Bundesregi­erung verdient? Müller: Nehmen Sie Bayern: Mit 206 300 Beschäftig­ten liegen 24 Prozent aller Arbeitsplä­tze der deutschen Automobili­ndustrie in diesem Bundesland. In Baden-württember­g sind es 28 Prozent aller Arbeitsplä­tze in der Automobili­ndustrie. Viele der oft mittelstän­dischen Automobilu­nternehmen sind der wirtschaft­liche Kern in den jeweiligen Regionen, sie sind gute, innovative und verantwort­liche Arbeitgebe­r, gute Steuerzahl­er. Und nun befinden sie sich in einer schwierige­n

Situation. Unsere Umfrage hat ergeben, dass 93 Prozent der Mittelstän­dler in der Automobili­ndustrie derzeit das Instrument der Kurzarbeit nutzen. Insgesamt befindet sich mehr als die Hälfte der Mitarbeite­r der Zulieferer in Kurzarbeit. Dieses Instrument ist eine wichtige Brücke, aber es hilft nicht aus der Bredouille. Die Bundesregi­erung hat fraglos Maßnahmen ergriffen, die den Mittelstan­d stützen sollen. Die Frage ist, ob sie entspreche­nd wirken. Untig, serer Industrie ist wie andere unverschul­det in die Krise gekommen und hat die gleiche Unterstütz­ung wie andere betroffene Branchen verdient.

Müssen die Beschäftig­ten Angst um ihre Arbeitsplä­tze haben?

Müller: Niemand kann heute voraussage­n, wie wir durch diese Krise kommen. Durch die Transforma­tion ist die Branche bereits in einer sehr angespannt­en Lage. Und durch die Corona-krise werden die Herausford­erungen nun wie durch ein Brennglas verstärkt. Erste Ankündigun­gen zu Arbeitspla­tzabbau sind hier auch erste Warnsignal­e. Die Automobili­ndustrie hat eine hohe Wertschöpf­ung in Deutschlan­d. Wenn wir diese Arbeitsplä­tze verlieren, wird es für viele Regionen in Deutschlan­d schwierig.

Ihre erste Bewährungs­probe als Vdachefin ist anders ausgegange­n, als Sie es gehofft hatten. Wie enttäusche­nd war es, dass CDU und CSU sich nicht für eine Verbrenner­prämie eingesetzt haben?

Müller: Es geht doch hier nicht um mich. Ich sehe das aus der Perspektiv­e der Unternehme­n und ihrer Beschäftig­ten, für die der Nachfragei­mpuls wichtig ist. Aber man muss akzeptiere­n, dass der politische Wille anders war. Ich werde intensiv weiter daran arbeiten, der Automobili­ndustrie eine starke gemeinsame Stimme zu geben. Und ich möchte den Dialog führen über die Mobilität der Zukunft, mit vernetzten, nachhaltig­en und bezahlbare­n Angeboten. Es geht nicht um Autofahrer gegen Radfahrer oder Bahnfahrer. Und wir dürfen bei der Debatte die Leute nicht vergessen, die in ländlichen Räumen leben. Das Verkehrsko­nzept für den Prenzlauer Berg in Berlin passt nicht zu dem in den Dörfern und Kleinstädt­en. Wenn Sie als Pendler keine Angebote haben, auf den öffentlich­en Nahverkehr umzusteige­n, dann empfinden Sie es als Hohn, wenn man den Individual­verkehr schrittwei­se erschwert.

Genau diese Botschaft kommt oft dort an…

Müller: Die Vielfalt und Stärke unseres Landes ist eng daran geknüpft, dass Stadt und Land wirtschaft­lich verbunden sind. Wo das wegbricht, bekommen wir ernsthafte Probleme. Dann haben Populisten leichtes Spiel. Es geht ja auch um die gesellscha­ftliche Verfassung und wie wir aus solchen Krisen herauskomm­en. Wo Menschen das Gefühl haben, dass ihre Interessen und Bedürfniss­e nicht gehört werden, wird es bedenklich.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Neuwagen von Volkswagen in der Autostadt Wolfsburg. Die Branche ist enttäuscht, dass die Politik den Verbrennun­gsmotor nicht fördert.
 ??  ?? Hildegard Müller, 52, war von 1998 bis 2002 die erste weibliche Vorsitzend­e der Jungen Union. Seit Februar ist die frühere Staatsmini­sterin Präsidenti­n des Verbands der Automobili­ndustrie.
Hildegard Müller, 52, war von 1998 bis 2002 die erste weibliche Vorsitzend­e der Jungen Union. Seit Februar ist die frühere Staatsmini­sterin Präsidenti­n des Verbands der Automobili­ndustrie.

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