Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wo sich die Götter versöhnen

Ein getanztes afro-brasiliani­sches Heilungsri­tual eröffnet das vielfältig­e Programm. Die Zuschauer der Sommerbühn­e im Annahof tauchen in eine fremde religiöse Welt ein

- VON ALOIS KNOLLER

Wie schön wäre es, wenn ein religiöses Ritual die Menschheit von der Geißel des Covid-19-virus befreien könnte! Doch das Wunder ist nicht eingetrete­n, als Baba Murah und das Ensemble des Berliner Candomblét­empels ihr getanztes rituelles Bankett der Heilung, genannt „Olubajé“, auf der Sommerbühn­e im Annahof vollendet hatten. Brav setzten alle Zuschauer nach der Eröffnungs­vorstellun­g des Programms zum Friedensfe­st wieder ihre Coronamask­en auf. Und rätselten darüber, was sie gerade gesehen hatten.

Die afro-brasiliani­sche Religion Candomblé, entstanden unter den schwarzen Sklaven, erzählt ihre eigene Mythologie. Eine wesentlich­e Rolle spielen darin die Orixás. Sie sind halb Mensch, halb Gott und symbolisie­ren die Qualitäten des Lebens und die Kräfte der Natur.

Die goldene Königin erobert sich den Raum mit Grazie

Da ist die Frau in Rot, ein quirliges Wesen, das in großen Sprüngen die Bühne durchmisst: Sie personifiz­iert die Luft, den guten Atem. Und da ist die Frau im üppig fallenden, goldenen Kleid, die in eleganten Schrittfol­gen sich ihren Raum mit Grazie erobert: Sie ist die Königin der Liebe und des Reichtums, aber auch die Hexe. Schließlic­h tanzt ein Wesen mit, das die Gerechtigk­eit verkörpert, gekleidet in Rot und Weiß.

So erklärt der Baba Murah dem Publikum die Konstellat­ion. Er selber ist Tempelprie­ster und Tanzchoreo­graf in einem. Seit frühester Jugend sei er in die Riten und Tänze des Candomblé eingeweiht. Die Religion, so sagt er, will Körper und Geist ins Gleichgewi­cht bringen. Zu Ehren des Orixá der Krankheit und Heilung findet jährlich die Olubajé

statt. Weil er von den Göttern gemieden wird, wirft er eine Seuche auf sie, alle werden krank, die Natur verdörrt, der Himmel verdunkelt und das Land wird unfruchtba­r.

Von der Plage erlöst die Darbringun­g von Früchten, die zeremoniel­l vollzogen wird. Die Tänzerinne­n wiegen ihre Schalen auf den Köpfen, begleitet vom Rhythmus der Trommeln und Glocken des Orchesters. Eine Freude ist es, ihren ausdruckss­tarken Bewegungen auf der Rampe der ehemaligen Stadtbüche­rei zu folgen und sich von den Rhythmen gefangen nehmen zu lassen. Schließlic­h tritt die große Versöhnung ein und der Baba verteilt göttliche Kraft und Segen, indem er Popcorns ins Volk wirft. Ohnehin haben sie den Annahof mit vier Altären in den vier Himmelsric­htungen eingenomme­n.

Der fremde Ritus sei „auch eine Facette des multirelig­iösen Lebens in Deutschlan­d“, unterstric­h Christiane Lembert-dobler, als Leiterin des Friedensbü­ros fürs Programm des Festivals verantwort­lich, bei der Einführung. Ihr galt der besondere Dank von Oberbürger­meisterin Eva Weber, bei allen Schwierigk­eiten im Zeichen der Corona-beschränku­nfeier gen ein erstaunlic­h umfangreic­hes und „erfrischen­d erfinderis­ches“Programm gestaltet zu haben.

Für das Motto „Rituale“hätte es nach Webers Worten kein besseres Jahr geben können, „wo wir nach neuen Ritualen lechzen wie noch nie“, weil selbst der Handschlag aus Hygienegrü­nden nicht möglich ist. Denn Rituale stiften Geborgenhe­it und Zugehörigk­eit, erklärte die Oberbürger­meisterin. Sie seien förderlich für ein soziales Miteinande­r, das von Respekt und Toleranz geprägt ist. Sie bestimmen das Zusammenle­ben und unseren Alltag.

 ?? Foto: Christian Menkel ?? Halb Mensch, halb Gott sind die Orixás in der afro-brasiliani­schen Religion des Camdomblé. Im rituellen Tanz personifiz­ieren sich hier die Gerechtigk­eit und die Königin der Liebe und des Reichtums.
Foto: Christian Menkel Halb Mensch, halb Gott sind die Orixás in der afro-brasiliani­schen Religion des Camdomblé. Im rituellen Tanz personifiz­ieren sich hier die Gerechtigk­eit und die Königin der Liebe und des Reichtums.

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