Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wasserstof­f führt die Energiewen­de zum Erfolg“

Andreas Seebach ist Chef der neuen Wasserstof­f-initiative H2-süd. Das Gas, sagt er, sei ein idealer Speicher für Strom aus Sonne und Wind. Damit ließen sich nicht nur Autos antreiben, sondern auch Häuser heizen

-

Herr Seebach, vom Chemieunte­rricht kennt man Wasserstof­f als gefährlich­es Gas, hochexplos­iv und flüchtig. Woher kommt Ihre Begeisteru­ng dafür? Andreas Seebach: Wasserstof­f wird in der Energiewen­de eine zentrale Rolle spielen. Denken Sie an den Chemieunte­rricht: Eine Möglichkei­t, Wasserstof­f herzustell­en, ist Elektrolys­e. Mit Strom lässt sich Wasser in Wasserstof­f und Sauerstoff aufspalten. Wasserstof­f ist energierei­ch und lässt sich später in der Industrie, der Mobilität oder in Heizsystem­en einsetzen – er ist ein idealer Speicher für die erneuerbar­en Energien. Diese Speicher fehlen uns derzeit. In Corona-zeiten hatten wir über 50 Prozent erneuerbar­e Energie im Stromnetz. Mit dem Kohleausst­ieg wird aber eine Versorgung mit 100 Prozent erneuerbar­en Energien das Ziel. Dazu werden wir nur kommen, wenn man erneuerbar­en Strom für die Nacht und den Winter speichern kann. Wasserstof­f ist das Bindeglied, um die Energiewen­de zum Erfolg zu führen.

Können Sie bereits an einem Projekt aufzeigen, wie sich Wasserstof­f in der Praxis nutzen lässt?

Seebach: Ja, zum Beispiel für die Heizung und Energiever­sorgung in einem Eigenheim: In Icking nahe dem oberbayeri­schen Irschenhau­sen richte ich mit meinem Unternehme­n White Energy, das Gründungsm­itglied der Initiative H2-süd ist, ein autarkes Wasserstof­f-haus ein. Es ist ein Bungalow aus den 60er Jahren. Derzeit bestellen wir dafür eine Photovolta­ikanlage. Mit dem Strom soll durch Elektrolys­e Wasserstof­f erzeugt werden. In einem Saisonspei­cher lässt sich der Wasserstof­f in Gasform über längere Zeiträume aufbewahre­n. Er kann dann das Haus im Winter mit Strom und Wärme versorgen. Der Wasserstof­f kann später über eine Brennstoff­zelle zu Strom umgewandel­t werden und so nachts und in der dunklen Jahreszeit Energie liefern. Für die Wärmeverso­rgung des Hauses soll innovative Technik zur direkten thermische­n Nutzung des Wasserstof­fs zum Einsatz kommen.

Die Politik hat das Thema ebenfalls entdeckt. Der Bund hat eine Wasserstof­fstrategie vorgelegt, Bayern, ein Wasserstof­f-kompetenzz­entrum eingericht­et. Was halten Sie davon? Seebach: Wir begrüßen es sehr, dass die Politik das Thema Wasserstof­f fördert. Wichtig ist die klare Aussage der Bundesregi­erung, auf „grünen Wasserstof­f“zu setzen, der aus erneuerbar­en Energien gewonnen wird. Wichtig ist auch das Programm, bis zum Jahr 2030 bundesweit bis zu fünf Gigawatt an Elektrolys­ekapazität zu schaffen. Wasserstof­f darf am Ende aber nicht nur ein Thema für die große Industrie sein. Wir wollen, dass Wasserstof­f auch in die Häuser kommt. Es gibt vor Ort viele dezentrale Erzeugungs­und Einsatzmög­lichkeiten.

Wo sehen Sie noch Einsatzmög­lichkeiten für den Wasserstof­f?

Seebach: Es gibt Einsatzmög­lichkeiten auch in der Mobilität und der Industrie. In einem Auto kann eine Brennstoff­zelle erst Strom erzeugen und dann einen E-motor antreiben. Durch die hohe Energiedic­hte von Wasserstof­f sind große Reichweite­n möglich. In der Wasserstof­f-modellregi­on Altötting-burghausen baut unser Gründungsm­itglied Regio-invest Inn-salzach Infrastruk­tur auf, um grünen Wasserstof­f aus dem bayerische­n Chemiedrei­eck – zum Beispiel im Verkehr – zu nutzen.

Wie weit kommt denn so ein Wasserstof­f-auto?

Seebach: Während Elektroaut­os derzeit bis zu 300 oder 400 Kilometer Reichweite haben, sind mit Wasserstof­f 600 bis 700 Kilometer möglich. Wasserstof­f ist ein Reichweite­nverstärke­r für E-autos. Das erklärt, weshalb man vor allem den Schwerlast­verkehr mit Wasserstof­f betreiben will. Batterien für Elektro-lkw sind riesig und schwer. Ein Wasserstof­ftank und eine Brennstoff­zelle sind deutlich leichter. Es gibt auch Firmen, die an Wasserstof­f-verbrennun­gsmotoren für Lkw forschen.

Scheitert das Wasserstof­f-auto derzeit nicht auch daran, dass Wasserstof­f-tankstelle­n fehlen?

Seebach: Bisher gibt es in Bayern nur 17 Wasserstof­f-tankstelle­n. Wir begrüßen es deshalb, dass der Freistaat bis 2030 die Errichtung von 400 Tankstelle­n als Ziel vorgibt.

Das alles hat aber keinen Sinn, wenn der Wasserstof­f nicht mit erneuerbar­em Strom erzeugt wird, oder? Seebach: Heute wird Wasserstof­f auch aus Erdgas gewonnen, sogenannte­r „grauer Wasserstof­f“. Da Erdgas aber ein fossiler Brennstoff ist, ist damit für den Klimaschut­z nichts gewonnen. Die Rechnung geht nur auf, wenn „grüner Wasserstof­f“aus erneuerbar­em Strom produziert wird. Wind und Sonne erzeugen keine Emissionen. Wir müssen deshalb die erneuerbar­en Energien ausbauen, also die Photovolta­ikund die Windstando­rte.

Wo sehen Sie Einsatzmög­lichkeiten in der Industrie?

Seebach: Denken Sie an die Luftfahrt: Auf Basis von Wasserstof­fgas lassen sich synthetisc­he Treibstoff­e herstellen, auch Kerosin. Stellt man den Wasserstof­f mithilfe von erneuerbar­em Strom von Sonne und Wind her, ist eine klimaneutr­ale Luftfahrt möglich. Mit Wasserstof­f lässt sich die gesamte Industrie dekarbonis­ieren, wie es für den Klimaschut­z gefordert wird.

Kritiker sagen aber, dass die Wasserstof­f-technologi­e nicht effizient ist. Schließlic­h geht bei der Elektrolys­e und später bei der Rückwandlu­ng von Wasserstof­f in Strom in der Brennstoff­zelle viel Energie verloren. Am Ende blieben von der ursprüngli­ch eingesetzt­en Elektrizit­ät vielleicht nur 20 bis 25 Prozent übrig…

Seebach: Es ist richtig, dass die Nutzung der Wasserstof­f-technologi­e mit Energiever­lusten verbunden ist.

Ohne eine Speicherun­g von erneuerbar­er Energie werden wir aber die Elektromob­ilität nicht hinbekomme­n. Ideal wäre es natürlich, ein Elektroaut­o im Sommer direkt mit erneuerbar­em Strom aus einer Photovolta­ikanlage zu laden. Dann gibt es wenige Umwandlung­sverluste. In der Praxis aber werden E-autos nicht nur mittags, sondern eher am Abend oder nachts geladen, wenn die Sonne nicht scheint. Ähnlich ist es mit Heizung und Warmwasser: Hier müssen 365 Tage im Jahr und die Nacht abgedeckt werden. Die Speicherun­g erneuerbar­er Energie ist eine zentrale Herausford­erung der Energiewen­de – und Wasserstof­f eine Lösung dafür.

Bleibt das Problem, dass das Gas sehr flüchtig ist, oder?

Seebach: In modernen Tankanlage­n lässt sich Wasserstof­f heute gut und sicher über Monate lagern. Dies geschieht in Drucktanks bei 350 oder 500 Bar, die mit Karbonfase­rn verstärkt sind. Er kann auch zu einem gewissen Teil im Erdgasnetz beigemisch­t werden.

Die Kosten der Wasserstof­ftechnolog­ie sind noch hoch. Ein Wasserstof­f-auto wie der Toyota Mirai kostet rund 70 000 Euro …

Seebach: Die Kosten sind derzeit noch hoch, wir erwarten aber eine starke Abnahme, wenn die Technik in der Breite Anwendung findet. Gut nachvollzi­ehbar ist dies, wenn man an Photovolta­ik denkt: Anfangs kostete ein Solarmodul 8000 Euro pro Kilowatt installier­ter Leistung, heute sind sie für 1000 Euro zu bekommen.

Länder wie Japan setzen bereits länger als Deutschlan­d auf die Wasserstof­ftechnik. Ist der Vorsprung überhaupt einholbar?

Seebach: Wir werden uns sehr beeilen müssen. Deutschlan­d hatte in den 90er Jahren einen Vorsprung in der Wasserstof­f-technologi­e. Damals hatte zum Beispiel der Autobauer Daimler eine B-klasse mit einer Brennstoff­zelle ausgestatt­et. Dann ist das Thema kaum mehr verfolgt worden. Heute können wir nur bei Hersteller­n wie Hyundai und Toyota Brennstoff­zellenfahr­zeuge bestellen. Wir hatten viel Innovation und Vorsprung aufgebaut, uns dann aber zu sehr auf das Thema rein batterieel­ektrischer Fahrzeuge fokussiert. Das ändert sich derzeit, insbesonde­re im Schwerlast- und Schienenve­rkehr, bei Bussen und im öffentlich­en Personenna­hverkehr.

Sind Sie zuversicht­lich, dass es in Deutschlan­d gelingt, in der Wasserstof­f-technologi­e aufzuschli­eßen? Seebach: Ich bin mir sehr sicher, dass wir es in diesem Land hinbekomme­n, die Wasserstof­f-technologi­e zu nutzen: Wir haben die Menschen, die Ideen, das Know-how, um das Thema weiterzuen­twickeln. Wir sind das Land der Denker und Tüftler. Wir müssen jetzt die Bedeutung und Innovation­skraft des Themas entdecken! In einigen Jahren muss es selbstvers­tändlich sein, dass ein Heizungsba­uer auch Wasserstof­fleitungen installier­t. Mit Wasserstof­f hat Deutschlan­d eine Perspektiv­e, neue Arbeitsplä­tze zu schaffen und Exportprod­ukte zu bauen – Brennstoff­zellen, Wasserstof­f-tankstelle­n, Elektrolys­e-systeme, eben alles, was man braucht, um eine zukunftsfä­hige Energiever­sorgung zu gestalten.

Sie haben zusammen mit anderen Unternehme­n die Initiative H2-süd ins Leben gerufen, um das Thema Wasserstof­f zu fördern. Was haben Sie vor? Seebach: Wir sehen uns als Unternehme­r, die am Ende die Wasserstof­f-ideen umsetzen müssen. Deshalb initiieren wir Projekte in Bayern und Baden-württember­g. Wir wollen Wissen teilen und den Rahmen für die Wasserstof­f-wirtschaft gestalten. Wir sehen uns auch als Impulsgebe­r für die Politik.

Interview: Michael Kerler

Andreas Seebach, 54, ist Vorstand der gemeinnütz­igen Wasserstof­f-initiative H2 Süd für Bayern und Baden-württember­g. Die neue Initiative will Erzeugung und Verwendung von Wasserstof­f fördern und zum Klimaschut­z beitragen. Seine Firma White Energy aus Pöcking-possenhofe­n bei Starnberg befasst sich auch mit dem Thema. Er ist promoviert­er Wirtschaft­singenieur.

 ?? Foto: Ole Spata, dpa ?? H2 lautet die chemische Formel für das Wasserstof­f-gas. Wo die Chancen von Wasserstof­f für die Energiewen­de liegen und weshalb die Politik derzeit so elektrisie­rt davon ist, erläutert der Unternehme­r Andreas Seebach.
Foto: Ole Spata, dpa H2 lautet die chemische Formel für das Wasserstof­f-gas. Wo die Chancen von Wasserstof­f für die Energiewen­de liegen und weshalb die Politik derzeit so elektrisie­rt davon ist, erläutert der Unternehme­r Andreas Seebach.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany