Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie Söder die Kanzlerin hofiert

Wenn der Ministerpr­äsident Angela Merkel empfängt, dann gleich mit Kutschfahr­t und im prunkvolle­n Spiegelsaa­l von Schloss Herrenchie­msee. Die Zeit der Querschüss­e aus der CSU scheint erst einmal vorbei. Aber was ist dran an der neuen Harmonie zwischen Bay

- VON ULI BACHMEIER UND STEFAN LANGE

München/berlin Vielleicht ginge es ja auch ein bisserl bescheiden­er. Vielleicht wäre ja auch der lichtdurch­flutete Große Saal in Schloss Schleißhei­m angemessen gewesen? Oder der prunkvolle Kaisersaal oder das schmuckvol­le Antiquariu­m in der Münchner Residenz? Nein! In diesem Fall führt Markus Söder persönlich Regie. Und da wird gleich richtig geklotzt. Der Spiegelsaa­l auf Schloss Herrenchie­msee muss es sein. In dem 75 Meter langen Raum, wo sich einst der bayerische Märchenkön­ig Ludwig II. seine selbst gewählte Einsamkeit zwischen kiloweise Blattgold und 23 Spiegeln von 1848 Kerzen erhellen ließ, wird der Ministerpr­äsident heute die deutsche Bundeskanz­lerin als Ehrengast bei einer Sitzung des bayerische­n Kabinetts willkommen heißen.

Alles ist vorbereite­t. Zwei Schiffe für die Überfahrt. Eine Kutsche für den Weg von der Anlegestel­le zum Schloss. Und sogar der Wetterberi­cht verheißt – zumindest für den Vormittag – einen ungetrübte­n Blick unter weiß-blauem Himmel über den See in die Berge. Mehr Mir-san-mir geht fast nicht. Und im Landtag wurde vergangene Woche schon mächtig viel darüber gelästert, dass kein anderer Ministerpr­äsident in Deutschlan­d da mithalten könne – auch nicht Armin Laschet (CDU) in Nordrhein-westfalen, der Merkel angeblich auch gleich eingeladen hat, nachdem er von ihrem Ausflug nach Bayern erfahren hatte. „Der Laschet“müsse doch, so gifteten Spötter, erst einmal einen Kohletageb­au mit Wasser volllaufen lassen, um einen richtigen See anbieten zu können. Und dann fehlte es immer noch am Rest: keine Insel, kein Schloss, keine Berge, kein Märchenkön­ig, kein Mythos. So viel zur Symbolik.

Im wahren Leben gibt Söder die Richtung noch lange nicht vor, er muss der Kanzlerin erst noch beweisen, dass er als Politiker ein ganzer Kerl ist. Grundsätzl­ich sind Merkel Männer fremd, die gerne so auftreten, als ob ihnen die ganze Welt gehört. Sie mag eher die stillen, ziselierte­n Typen. Den französisc­hen Staatspräs­identen Emanuel Macron etwa oder den ebenso feinsinnig­en wie fein gekleidete­n indischen Premier Narendra Modi. Söder hingegen tritt in Berlin oft hemdsärmel­ig auf, gerne auch mit Strickjack­e. Die trägt er dann zwar unterm Jackett, aber sie wird Merkel unliebsam an Helmut Kohl erinnern, dessen „Politik mit der Strickjack­e“ihr heftig zu schaffen machte.

So wie Merkel Kohls Sticheleie­n nicht vergessen hat, sind ihr auch die ewigen Querschüss­e der CSU immer präsent. Die maximale Demütigung erfuhr die Kanzlerin im November 2015 auf dem Csu-parteitag in München. Der damalige Csu-vorsitzend­e Horst Seehofer ließ sie eine gefühlte Ewigkeit wie ein Schulkind neben sich stehen und maßregelte derweil ihre Flüchtling­spolitik. Merkel verschränk­te die Arme, vergrub sich praktisch in sich selber und wahrte nur mühsam die Fassung. Seitdem ist ihr Verhältnis zur Schwesterp­artei von tiefem Misstrauen geprägt. Das gilt nicht nur für die Beziehung zu Seehofer, sondern zu allen Csu-politikern, die ihrem Chef damals beisprange­n und die Flüchtling­skrise mit Attacken auf die Regierungs­chefin ebenfalls zur eigenen Profilieru­ng zu nutzen versuchten. Also auch für Markus Söder.

Söder haute im Herbst 2015 zwar nicht so derbe drauf wie Seehofer, zu den Mediatoren gehörte er aber auch nicht. In der Corona-krise hat Söder nun erkannt, dass gegen Merkel nichts geht. Bei seinen Auftritten in Berlin kuschelt er sich förmlich an die Kanzlerin heran, macht sich körperlich möglichst klein, um Merkel anschließe­nd mit einem bewundernd­en Augenaufsc­hlag Tribut zu zollen. Oft redet er Merkel mit „liebe Frau Bundeskanz­lerin“an, wo ein einfaches „die Kanzlerin“oder „Frau Merkel“auch gereicht hätte. Besonders authentisc­h wirkt das alles nicht, eher etwas hilflos bemüht. Beobachter fühlen sich an die Zeiten erinnert, als Merkel mit zunächst ungelenken Schritten in die Bundespoli­tik durchstart­ete.

Schon zu Beginn seiner Amtszeit als Ministerpr­äsident und Parteichef hatte sich Söder vorgenomme­n, öfter nach Berlin zu reisen. Er wollte seine Csu-bundestags­abgeordnet­en besser in den Griff bekommen, die unter Seehofer ein zusehends unkontroll­iertes Eigenleben geführt hatten. Wegen der Corona-pandemie ist er jetzt noch öfter in der Hauptstadt, bedingt durch die vielen Treffen der Bundeskanz­lerin mit der Ministerpr­äsidentenk­onferenz, die seit Oktober von Söder geleitet wird. Das Virus gebietet zwar Abstand, bei öffentlich­en Auftritten versucht Söder trotzdem, möglichst dicht an die Kanzlerin heranzukom­men. Möglichst viel von ihrem Licht soll auch auf ihn fallen.

Merkel quittiert das meist mit einem Lächeln, das zwar fein wirkt, in Wahrheit aber die Höchststra­fe ausdrückt. Sie bekommt einen leicht ironisch wirkenden Gesichtsau­sdruck, mit dem sie Männer bedenkt (und fast nie Frauen), die aus ihrer Sicht den Mund zu voll genommen haben. Manchmal bekommt Söder es direkt zu spüren. Bei einer der vielen Corona-pressekonf­erenzen im Kanzleramt räumte Söder auf

Journalist­en-nachfrage eilfertig ein, die Corona-warn-app nicht nur schon installier­t, sondern während der Sitzung mit den Länderkoll­egen auch mehrfach draufgesch­aut zu haben. Merkel warf süffisant dazwischen: „Obwohl er der Vorsitzend­e ist und eigentlich ganz Auge und Ohr sein sollte.“Bei anderer Gelegenhei­t hatte sie Söders Werbung für einen Urlaub in Bayern mit den Worten gekontert, dass es im Norden ja auch ganz schön sei. Kleine Nickeligke­iten sind das nur, aber bei anderen würde Merkel selbst solche nicht anbringen. Undenkbar etwa, dass sie sich über ihren langjährig­en politische­n Weggefährt­en Peter Altmaier öffentlich derart lustig machen würde.

Was aber nicht bedeutet, dass Merkel den Bayern schon abgeschrie­ben hätte. Würde sie in Söder nicht eine Chance für die Union sehen, hätte sie sich schon längst öffentlich auf die Seite von Armin Laschet stellen können – so, wie sie es bei Annegret Kramp-karrenbaue­r tat, die sie gerne als Nachfolger­in gesehen hätte. Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident und Kandidat für den Cdu-vorsitz wäre damit im Parteiamt praktisch schon gewählt und hätte allerbeste Chancen, nächster Kanzler in Deutschlan­d zu werden.

Doch Merkel hat in Söder auch Tugenden erkannt, die ihr selbst einst an die Spitze verhalfen: Fleiß, ein unbändiger Ehrgeiz, eine harte Hand und der unbedingte Wille zur

Macht. Womöglich schwant ihr, dass Söder der am besten geeignete Mann wäre, um ihr politische­s Vermächtni­s zu verwalten.

Sehr wahrschein­lich ist, dass er das auch von sich selbst denkt. Zwar nicht unbedingt als nächster Bundeskanz­ler. Er dementiert bekanntlic­h beharrlich alle Ambitionen auf eine Kandidatur. Aber zumindest als Erster unter den Kurfürsten. So wie die mächtigen Feudalherr­en einst entschiede­n, wer der nächste Kaiser sein wird, so will Söder ein gewichtige­s Wort in der Bundespoli­tik mitreden – und zwar dauerhaft.

Die Voraussetz­ungen dafür sind aktuell bestens. Die CSU hat sich ihm nach all den Jahren des Streits an der Spitze komplett unterworfe­n. In Bayern regiert er unangefoch­ten. Er kann sogar wieder auf eine absolute Mehrheit im Landtag hoffen. In Umfragen überflügel­t er alle außer Merkel. Und solange er nicht selbst seinen Hut für eine Kanzlerkan­didatur in den Ring wirft, muss sich jeder andere Kandidat um seine Unterstütz­ung bemühen.

Obendrein weiß Söder genau, dass die Umfragen über die persönlich­en Beliebthei­tswerte nur Momentaufn­ahmen sind. Grundlegen­der als die Frage, ob er, Armin Laschet oder Friedrich Merz der Deutschen liebster Kanzler wäre, ist die Frage nach der Parteipräf­erenz. Und da sieht es halt aktuell nun mal so aus, dass die SPD in einem Tief steckt, also offenkundi­g chancenlos ist, und dass viele Bürger sich zwar die Grünen in einer Regierung wünschen oder wenigstens gut vorstellen können, aber deshalb noch lange keinen grünen Kanzler wollen. Da bleibt, Stand jetzt, nur die Union.

Daraus wiederum folgt beinahe zwingend: Sobald die CDU am 4. Dezember einen neuen Parteichef gewählt hat und sich danach nichts völlig Unvorherge­sehenes ereignet, wird dieser neue Parteichef auch den Anspruch auf die Kanzlerkan­didatur erheben. Weder Laschet und schon gar nicht Friedrich Merz würden sich diese Chance nehmen lassen. Eine realistisc­he Möglichkei­t für den Csu-vorsitzend­en, als Kanzlerkan­didat zum Zuge zu kommen, gäbe es überhaupt nur dann, wenn der neue CDU-CHEF als Person eine ähnlich schwache Performanc­e hinlegen würde wie zuletzt Annegret Kramp-karrenbaue­r. Kurz gesagt: Die CDU müsste überzeugt sein, nur mit Söder gewinnen zu können.

Doch selbst das würde Söder vermutlich noch nicht dazu bringen, den sicheren Platz in Bayern aufzugeben und das Risiko einer Kandidatur einzugehen. In der Strategiea­bteilung der CSU hat man nicht vergessen, wie es dereinst Franz Josef Strauß (1980) und Edmund Stoiber (2002) erging. Da gab es Gegenden in Deutschlan­d, in denen die CDU den Csu-kandidaten nicht einmal plakatiert­e. Um sicher sein zu können, dass es dieses Mal anders

Da kann selbst Armin Laschet nicht mithalten

Söder hat erkannt, dass gegen Merkel nichts geht

ist, so sagt ein alter Csu-wahlkämpfe­r, müssten schon ganze Pilgerscha­ren aus der Führungsri­ege der CDU nach München ziehen und heilige Eide schwören, dass sie tatsächlic­h hinter Söder stehen und alles für den Wahlsieg tun werden.

Unterm Strich also kann man Merkel und Söder bestenfall­s unterstell­en, dass sie sich – jeder für sich – alle Optionen offenhalte­n. Der Besuch auf Herrenchie­msee jedenfalls soll, so prachtvoll die Inszenieru­ng auch sein mag, erst einmal gegenseiti­ge Anerkennun­g ausdrücken. Auch andere Ministerpr­äsidenten haben Einladunge­n an Merkel ausgesproc­hen, wie Vize-regierungs­sprecherin Martina Fietz erklärt. Merkel werde diese auch annehmen – aber nur „zum Teil“, wie Fietz betont. Und selbst wenn zum Beispiel Armin Laschet noch zum Zuge käme, steht eines schon mal fest: Söder war vor ihm dran. Ob das nur an der Schönheit Bayerns liegt oder vielleicht doch ein bisserl mehr dahinterst­eckt – wer kann das schon wissen?

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Markus Söder im vergangene­n Jahr im Schloss Herrenchie­msee, damals bei einer Klimaschut­zkonferenz. Nun ist hier Kanzlerin Angela Merkel sein Gast.
Foto: Sven Hoppe, dpa Markus Söder im vergangene­n Jahr im Schloss Herrenchie­msee, damals bei einer Klimaschut­zkonferenz. Nun ist hier Kanzlerin Angela Merkel sein Gast.

Newspapers in German

Newspapers from Germany