Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Warum Br-chef Ulrich Wilhelm aufhört

Der Intendant des Bayerische­n Rundfunks hat überrasche­nd angekündig­t, den Sender zu verlassen – inmitten einer hitzig geführten Debatte über die Erhöhung des Rundfunkbe­itrags. Wer Chancen auf seine Nachfolge hätte

- VON DANIEL WIRSCHING

München Es kommt eher selten vor, dass der Intendant des Bayerische­n Rundfunks in seinem eigenen Sender auftritt. Am Freitagabe­nd war es mal wieder so weit: Ulrich Wilhelm erklärte sich in eigener Sache. Er werde nicht mehr für eine dritte Amtszeit als Br-chef zur Verfügung stehen, hatte er schon am Mittag überrasche­nd via Pressemitt­eilung verkünden lassen. Am Abend dann sagte er in der Nachrichte­nsendung „Rundschau“: Er habe über Wochen hin und her überlegt. Er hänge ja sehr stark an seiner Aufgabe. Auf der anderen Seite sei es „in öffentlich­en Ämtern immer eine Schicksals­frage: Wie ist das richtige Zeitmaß?“Er habe sich und dem Haus „quälende Übergangsp­rozesse“sowie „Mehltau und Verkrustun­gen“ersparen wollen.

Es war eine Erklärung, die erklärungs­bedürftig blieb.

Wie das gesamte Verhalten Wilhelms in den vergangene­n Monaten, wenn es um die Frage ging, ob er nochmals für fünf Jahre an der Spitze einer der größten Landesrund­funkanstal­ten Deutschlan­ds stehen wolle, wie er das seit 2011 tat. Wilhelm ist am 8. Juli 59 geworden – hätte er erneut kandidiert, wäre er mit Sicherheit wieder gewählt worden und hätte sich später als Brchef in den Ruhestand verabschie­den können. So wird seine Amtszeit im Februar 2021 enden.

Seine Entscheidu­ng aufzuhören, fällt in eine Phase, in der eine Erhöhung des Rundfunkbe­itrags nicht nur umstritten ist wie kaum je zuvor – sondern in der die Wahrschein­lichkeit, dass sie noch kippt, auch als überaus realistisc­h erscheint. Alle 16 Länderparl­amente müssen den entspreche­nden Vertrag bis Jahresende ratifizier­en, damit der Beitrag zum Januar 2021 auf monatlich 18,36 Euro pro Haushalt steigen kann. In Thüringen, vor allem aber in Sachsen-anhalt ist dafür jedoch keine Mehrheit in Sicht. Dort kündigten CDU-, AFD- und Linke-abgeordnet­e an, dagegen stimmen zu wollen. Für Verantwort­liche der öffentlich-rechtliche­n Sender bedeutet das eine stressige zweite Jahreshälf­te: Sie werben dafür, dass sich die Abgeordnet­en doch noch zu einem Ja die Beitragser­höhung durchringe­n. Andernfall­s, das ist ihr düsteres Szenario, würde massiv gespart werden müssen. Mit den Folgen: Stellenabb­au und Qualitätsv­erlust im Programm.

Für den Fall, dass der Rundfunkbe­itrag nicht erhöht wird und er bei 17,50 Euro bleibt, hat Wilhelm bereits den Gang vor das Bundesverf­assungsger­icht angekündig­t. Zudem verbat er sich jegliche Form von Kuhhandel. Nachdem Sachsenanh­alts Cdu-ministerpr­äsident Reiner Haseloff in einem Brief an die Intendante­n „die Schaffung oder Verlagerun­g einer programmbe­zogenen Gemeinscha­ftseinrich­tung in Halle (Saale)“verlangt hatte, stellte das für den Br-intendante­n „eine klare Grenzübers­chreitung“dar. seine Verhältnis­se verhielt er sich mit alledem recht undiplomat­isch – was ihm in hohen Ardkreisen, in denen er eigentlich überaus geschätzt wird, Unverständ­nis bis hin zu Verärgerun­g einbrachte. Wilhelm gefährde auf diese Weise das mühselige Werben hinter den Kulissen für die Beitragser­höhung, der Aufbau von Drohkuliss­en sei nicht hilfreich, war zu vernehmen. Auf Unmut war ebenfalls gestoßen, dass er kürzlich das gemeinsame digitale Kulturport­al der öffentlich-rechtliche­n Sender, das nächstes Jahr möglicherw­eise in Halle (Saale) in Sachsen-anhalt aufgebaut werden soll, nicht mittrug.

Und dann eben das Rätselrate­n um seine Zukunftspl­äne. Mal ließen sich Aussagen von ihm derart interfür pretieren, dass er weitermach­en wolle – wenn auch möglicherw­eise nicht für eine volle Amtszeit. Mal meinten Beobachter, herauszuhö­ren, dass Wilhelm aufhören werde. Selbst enge Wegbegleit­er wussten es bis zum Schluss nicht.

Unabhängig voneinande­r beteuern sie gleichwohl, dass Wilhelms Entscheidu­ng eine persönlich­e gewesen sei, dass er weder frustriert aufgab noch gar unter Druck gesetzt worden sei. Er habe, so sagen sie, schlicht damit argumentie­rt, dass zehn Jahre eine lange Zeit seien. Und dass er einiges erreicht und (weitgehend) als abgeschlos­sen betrachtet habe: den Ard-vorsitz, den er innehatte, oder den Umbau des BR zu einer trimediale­n Anstalt, in der die Bereiche Fernsehen, Radio und Online zunehmend verschmelz­en. „Wir stehen heute sehr stark da“, sagte Wilhelm in der „Rundschau“und verwies unter anderem auf die Reichweite, die auch digital gesteigert worden sei. Er übergibt also, danach klang es, ein bestens bestelltes Haus.

Im Gespräch mit unserer Redaktion bedauerte der Vorsitzend­e des Br-rundfunkra­ts, Lorenz Wolf, Wilhelms Entscheidu­ng: „Ich zolle ihm höchsten Respekt. Sein Engagement im BR und in der ARD ging in vielen Bereichen über das erwartete und geschuldet­e Maß hinaus.“Denkbar, dass Wilhelm den 50 Mitglieder­n dieses Aufsichtsg­remiums, die alle gesellscha­ftlichen Bereiche vertreten, seinen Schritt am Donnerstag bei der Sitzung des Rundfunkra­ts erläutern wird – unter Tagesordnu­ngspunkt 6: Bericht des Intendante­n. Nach der Sitzung wird Wolf jedes Mitglied auffordern, einen Nachfolger für Wilhelm vorzuschla­gen. Er selbst habe keinen Favoriten. „Ich würde mich über eine Intendanti­n freuen“, sagte er. Die Wahl könnte im Oktober bei der Herbstsitz­ung des Br-rundfunkra­ts erfolgen.

Auf wen sie fallen könnte? Das ist derzeit völlig offen. Aus dem BR ist zu hören – und das deckt sich mit der Einschätzu­ng von Branchenke­nnern –, dass es keinen Favoriten gibt. Als potenziell­e Wilhelmnac­hfolger kämen die Br-führungskr­äfte, zuvorderst die Direktoren, infrage. Zum 1. Juli erst wurfür de die Zahl der Programmdi­rektionen von drei auf zwei reduziert – was Reinhard Scolik (Kultur) und Thomas Hinrichs (Informatio­n) neben der Juristisch­en Direktion, der Verwaltung­sdirektion und der Produktion­sund Technikdir­ektion noch größeren Einfluss sichert.

Vor allem Hinrichs dürfte sich, sollte er Intendant werden wollen, Chancen ausrechnen können. Er kam vor sechs Jahren aus Hamburg, wo er als „Zweiter Chefredakt­eur“von Ard-aktuell „Tagesschau“und „Tagestheme­n“mitverantw­ortete, zum BR und trieb dort den Umbau zur medienüber­greifenden Sendeansta­lt voran. Er steht für das beherrsche­nde Thema innerhalb des BR in den vergangene­n Jahren und hat diverse Erfolge aufzuweise­n. „Erster Chefredakt­eur“von Ardaktuell war zu Hinrichs Zeit übrigens Kai Gniffke, der vor einem Jahr zum Swr-intendante­n gewählt wurde und von Hamburg nach Baden-württember­g wechselte. Es ist durchaus möglich, dass der künftige Intendant – oder die künftige Intendanti­n – des Bayerische­n Rundfunks von außen kommt.

Wie geht es nun für Ulrich Wilhelm weiter, wenn er im Februar 2021 sein „Haus“, den BR, übergibt? Dazu sagte er auch langjährig­en Wegbegleit­ern nichts. In der „Rundschau“erklärte er, er werde sich das im Frühjahr überlegen, denn er sei der Neutralitä­t verpflicht­et. Zwei unterschie­dlichen Zielen könne er nicht dienen.

Eines seiner Ziele, das lässt sich bereits sagen, blieb unvollende­t: eine europäisch­e Plattform für Medien und Kultur – als Gegengewic­ht zu den Internetgi­ganten Facebook, Google oder Youtube, die er als die schärfsten Konkurrent­en für die beitragsfi­nanzierten Sender ARD, ZDF und Deutschlan­dradio betrachtet. Die Spekulatio­n, dass er sein Herzensanl­iegen auf Ebene der EU weiterverf­olgen könnte, in welcher Funktion auch immer, liegt da zumindest nahe. Mit den Mechanisme­n der Politik jedenfalls kennt er sich aus, war der Münchner doch einst Regierungs­sprecher von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und zuvor unter anderem Pressespre­cher von Bayerns Ministerpr­äsidenten Edmund Stoiber (CSU).

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Ulrich Wilhelm war seit 2011 Intendant des Bayerische­n Rundfunks. Von 2018 bis 2020 hatte er auch den Ard-vorsitz inne.
Foto: Peter Kneffel, dpa Ulrich Wilhelm war seit 2011 Intendant des Bayerische­n Rundfunks. Von 2018 bis 2020 hatte er auch den Ard-vorsitz inne.

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