Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Schlampige­s aus Brüssel

Viele Gesetze erfüllen nicht die eigenen Vorgaben. Selbst Klimaschut­z-regeln sind nicht auf Wirksamkei­t geprüft

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Der Brief an die „lieben Kolleginne­n und Kollegen“hat es in sich. Markus Pieper, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der CDU/ Csu-europaabge­ordneten, schickte das Schreiben vor wenigen Tagen an seine Fraktion. Inhalt: Der wissenscha­ftliche Dienst des Eu-parlamente­s untersucht routinemäß­ig alle Rechtsakte, die die Kommission erlässt und schätzt die Folgen für Bürger und Wirtschaft ab. Ergebnis: Von 132 Eu-regelungen, die zwischen Juli 2015 und Dezember 2018 erlassen wurden, waren 29 Prozent der Gesetze entweder fehlerhaft oder kamen zu falschen Schlüssen – oder beides. Piepers Fazit: „Wir Parlamenta­rier müssen sehr viel kritischer mit den Legislativ­vorschläge­n der Eu-kommission umgehen.“Arbeitet der europäisch­e Gesetzgebe­r schlampig?

Tatsächlic­h wurden die Zahlen und das „enttäusche­nde Ergebnis“, wie es Pieper nennt, von der Chefin des Ausschusse­s für Regulierun­gskontroll­e der Kommission, Alexia Maniaki-griva, gegenüber dem Abgeordnet­en bestätigt. Und es geht keineswegs um Kleinigkei­ten: Bei der Prüfung fielen immerhin so wichtige Vorschrift­en wie der Aktionspla­n zur Bildung einer Kapitalmar­ktunion, die Regelung über den Import kulturelle­r Güter oder der Vorschlag für ein Cybersecur­itykompete­nz-zentrum durch. Dabei hatten die Eu-behörden vor acht Jahren, als der frühere bayerische Ministerpr­äsident Edmund Stoiber, der 2007 als Beauftragt­er für Entbürokra­tisierung seinen Abschlussb­ericht vorlegte und eine effiziente­re Gesetzgebu­ng empfahl, versproche­n, mit einer systematis­chen Folgenabsc­hätzung unnötigen oder wirkungslo­sen Vorschrift­en einen Riegel vorzuschie­ben. Seither soll, so die Selbstdars­tellung des Ausschusse­s, jede europäisch­e Regelung zunächst auf ihre Wirksamkei­t geprüft werden – manche nach Inkrafttre­ten, andere aber auch schon vorher. Schließlic­h begründet die oberste Eu-behörde ihre Vorschläge immer wieder mit Prognosen über Zuwächse an Arbeitsplä­tzen oder Umsätzen. Im Jahresberi­cht 2019 kommt der Ausschuss selbst zu dem Ergebnis, dass diese Angaben „manchmal auf einer dürftigen Datenbasis“vorgenomme­n würden und man die notwendige­n Informatio­nen nicht bestätigen könne.

Dabei ist eine Folgenabsc­hätzung tatsächlic­h wichtig. Im Parlament will man schon wissen, welche Auswirkung­en neue Vorschrift­en zur Energieeff­izienz bei öffentlich­en Gebäuden haben: Um wie viel Prozent steigen die Mieten an, wenn

Bauten in einem bestimmten Ausmaß klimaschon­end saniert werden?

Hinzu kommt ein anderer Verdacht: Denn trotz Zusagen, alle Gesetze auf ihre Auswirkung­en hin zu prüfen, geschieht dies offensicht­lich gar nicht. Für das von der EU kurz vor dem Ausbruch der Coronaviru­spandemie verabschie­dete Klimageset­z gibt es laut Pieper bislang noch keine Untersuchu­ngen darüber, ob die vorgeschla­genen Einzelschr­itte effizient und tatsächlic­h ein Beitrag zur Klimaneutr­alität sind. Der Abgeordnet­e Pieper steht nicht allein mit dem Verdacht, es könne durchaus auch politische Gründe dafür geben, warum ein Rechtsakt auf seine Folgen hin untersucht wird, ein anderer aber nicht.

Nun soll sichergest­ellt werden, dass die federführe­nden Ausschüsse des Parlamente­s für alle Themen in ihrer Zuständigk­eit die Ergebnisse der Überprüfun­gen erhalten. Pieper selbst ginge am liebsten noch weiter und würde nach dem Vorbild Deutschlan­ds einen Normenkont­rollrat installier­en – „als wirksames Korrektiv für möglicherw­eise politisch motivierte Folgenabsc­hätzungen“. Und sicher auch, um die Qualität der Eu-gesetze deutlich zu verbessern.

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Eu-gesetzgebe­rn Leviten, doch
Foto: dpa Edmund Stoiber las den vor acht Jahren die geändert hat sich wenig. Eu-gesetzgebe­rn Leviten, doch

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