Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was gab es Geheimes zu besprechen?

An seinem Geburtstag, den 5. November 2019, hat sich der frühere Wirecard-chef Markus Braun mit Finanzstaa­tssekretär Jörg Kukies ausgetausc­ht. Nur über den Inhalt will die Regierung keine Auskunft geben

- VON MICHAEL KERLER

Berlin Die Insolvenz des Zahlungsdi­enstleiste­rs Wirecard aus Aschheim bei München zählt zu den spektakulä­rsten Pleiten der bundesdeut­schen Wirtschaft­sgeschicht­e. Es geht um mutmaßlich­en Bilanzbetr­ug, Kontenfäls­chung und 1,9 Milliarden Euro, die in den Büchern standen, in Wirklichke­it aber gar nicht existierte­n. Journalist­en der Financial Times hatten bereits vor dem großen Knall im Juni über Unregelmäß­igkeiten berichtet. Beobachter fragen sich jetzt, wie in dem Fall die Kontrollme­chanismen derart eklatant versagt hatten. Die Rolle der Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht, kurz Bafin, wird kritisch gesehen. Abgeordnet­e des Bundestags wüssten auch gerne, was Staatssekr­etär Jörg Kukies aus dem Bundesfina­nzminister­ium mit dem früheren Wirecard-chef Markus Braun am 5. November 2019 besprochen hat, an dessen Geburtstag also. Daraus aber macht die Regierung ein Geheimnis.

In einem detaillier­ten Fragenkata­log wollten die beiden Bundestags­abgeordnet­en Fabio De Masi von der Linken und Danyal Bayaz von den Grünen wissen, ob es in der Legislatur­periode Kontakte zwischen der Wirecard-spitze und Vertretern des Finanzmini­steriums oder der Bafin gab. Nach Auskunft des Finanzmini­steriums habe am 5. November 2019 ein Gespräch zwischen Staatssekr­etär Jörg Kukies und Wirecard-chef Braun stattgefun­den. Am 4. September hätten sich beide auch bei einer Diskussion­srunde getroffen. Über die Gespräche aber schweigt das Ministeriu­m mit der Begründung, „dass Geheimschu­tzinteress­en bestehen“.

Die Inhalte seien als „Vs-vertraulic­h“eingestuft und an die Geheimschu­tzstelle des Bundestage­s gesandt worden.

Die Abgeordnet­en kritisiere­n die Geheimhalt­ung: Gespräche mit dem Vorstand eines Dax-konzerns seien grundsätzl­ich nicht verwerflic­h, meint Fabio De Masi, stellvertr­etender Vorsitzend­er der Fraktion Die Linke. „Diese Geheimnisk­rämerei macht alles nur schlimmer“, sagt er aber. Es gibt nur drei denkbare Gründe für eine Geheimhalt­ung: Erstens interner Beratungsb­edarf der Regierung. Das falle angesichts eines Treffens mit Wirecardch­ef Braun 2019 als Grund weg. Zweitens, dass die Nennung des Gesprächst­hemas die Märkte negativ beeinträch­tigen oder dem Unternehme­n schaden könnte. „Das Kind ist aber mit dem Wirecard-skandal bereits in den Brunnen gefallen“, sagt De Masi. Und drittens Geschäftsg­eheimnisse anderer Unternehme­n. „Die Öffentlich­keit hat ein Recht zu erfahren, was die Bundesregi­erung mit dem Vorstandsc­hef von Wirecard vor Deutschlan­ds größtem Börsenskan­dal zu besprechen hatte!“, fordert De Masi. So sieht es auch Grünen-politiker Bayaz: „Wir brauchen volle Transparen­z: Wer wusste wann was?“Die Antworten auf diese Fragen seien maßgeblich dafür, Versäumnis­se von Regierung, Behörden und

vollständi­g zu rekonstrui­eren und daraus Konsequenz­en zu ziehen.

Die Abgeordnet­en treibt auch die Frage um, ob die Bafin nicht auf den Betrug hätte aufmerksam werden müssen. Das Problem: Die Behörde hat das gesamte Unternehme­n nie kontrollie­rt, weil es nicht zuständig gewesen sei. Lediglich die Wirecard Bank sei unter Kontrolle der Bafin gestanden, schreibt das Finanzmini­sterium. „Die Wirecard AG ist kein Institut im Sinne des Zahlungsdi­enste-aufsichtsg­esetzes und kein Kreditinst­itut im Sinne des Kreditwese­ngesetzes“, heißt es zur Begründung. Im Kern gehe es im Fall der Wirecard AG zudem nach aktuellem Kenntnisst­and um kriminelle Handlungen wie Bilanzbetr­ug oder Kontenfäls­chung. Solches „deliktisch­es Handeln“könne aber nur „mit forensisch­en und polizeilic­hen Ermittlung­smethoden aufgedeckt werden“.

Linken-politiker De Masi kritisiert dies scharf: „Die Aussage, man hätte eh nichts finden können ohne polizeilic­he Forensik, ist eine Kapitulati­on der Finanzaufs­icht in Deutschlan­d. Ein Verkehrspo­lizist kann auch nicht bei einem Mord wegschauen, weil er nicht bei der Mordkommis­sion arbeitet!“, sagt er. „Im Kern sagt die Bundesregi­erung, es wurde alles richtig gemacht“, fügt er an. Die Bundesregi­erung behaupte zudem, Wirecard müsse als Technologi­ekonzern eingestuft werden. Ähnlich wie Volkswagen, wo die Bafin nur die Vwbank und nicht den Autokonzer­n überwache. „Das ist nicht überzeugen­d, denn Wirecard wickelt Zahlungen ab und baut keine Autos“, sagt De Masi.

Auch sein Kollege Bayaz von den Grünen ist der Ansicht, dass sich die Regierung herausrede­t: „In der Beantwortu­ng vermisse ich ein echtes Fehlerbewu­sstsein von Bundesrewi­rtschaftsp­rüfern gierung und Bafin“, sagt er. „Versäumnis­se werden systematis­ch auf mangelnde Verantwort­lichkeiten geschoben“, lautet seine Kritik. „Ein Eingeständ­nis zu langsamer Kontrolle wäre das Mindeste gewesen.“Auch Bayaz findet es überrasche­nd, dass Bundesregi­erung und Bafin den Zahlungsdi­enstleiste­r Wirecard als Technologi­eunternehm­en einstuften, sodass es nicht den Zuständigk­eitsbereic­h falle. „Sie würden also im Zweifel wieder so verfahren“, kritisiert Bayaz.

Die Opposition­spolitiker fordern eine Reform der Aufsicht durch den Bund: Es wäre sinnvoll, die Bafin neu aufzustell­en, sagt Finanzexpe­rte De Masi. „Wir brauchen einen Führungswe­chsel und ein Aufsichtsm­andat, das im digitalen Zeitalter die umfassende Aufsicht über die neuen Finanzgiga­nten gewährleis­tet“, fordert er. „Es braucht dringend eine Neuaufstel­lung der Finanzaufs­icht für den digitalen, internatio­nal vernetzten Finanzmark­t“, meint auch der Grünenabge­ordnete Danyal Bayaz.

Spd-finanzmini­ster Olaf Scholz scheint jedenfalls bereits zerknirsch­t zu sein. In einem Interview hat er kürzlich „Versäumnis­se“in der Aufsicht eingeräumt. „Jetzt müssen alle privaten und öffentlich­en Aufsichtss­tellen, die in diesem Fall Verantwort­ung tragen, die Fehler rasch identifizi­eren und herausfind­en, wie sie künftig abgestellt werden“, sagte Scholz der Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung. Bafin-chef Felix Hufeld hatte den Skandal bereits eine „Schande“für die Bundesrepu­blik genannt, steht aber auch selbst unter Rechtferti­gungsdruck.

Jetzt überlegt das Finanzmini­sterium, die Befugnisse der Kontrolleu­re zu erweitern: Im Rahmen der gründliche­n Aufarbeitu­ng des Falles sei zu klären, wie man die Kompetenze­n der Bafin bei der Kontrolle der Bilanzen stärken muss, antwortete das Ministeriu­m den Abgeordnet­en. „Die Bafin braucht die Möglichkei­t, jederzeit Sonderprüf­ungen bei kapitalmar­ktorientie­rten Unternehme­n durchzufüh­ren und hoheitlich­e Befugnisse einzusetze­n.“

Im Falle von Wirecard kommt das zu spät.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Der frühere Wirecard-chef Markus Braun hat sein Unternehme­n wohl in den Abgrund geführt. Über den Inhalt eines Gespräches mit Finanzstaa­tssekretär Jörg Kukies schweigt die Regierung aber.
Foto: Peter Kneffel, dpa Der frühere Wirecard-chef Markus Braun hat sein Unternehme­n wohl in den Abgrund geführt. Über den Inhalt eines Gespräches mit Finanzstaa­tssekretär Jörg Kukies schweigt die Regierung aber.

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