Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Unter Strom

Die neue elektrifiz­ierte Bahnstreck­e München–lindau steht vor der Fertigstel­lung. Ex-minister Josef Miller erinnert sich, wie schwierig es war, dass das Großprojek­t zustande kam. Für Bahnfahrer gibt es noch mehr gute Nachrichte­n

- VON JOSEF KARG UND ULI BACHMEIER

Lindau Bahnreisen­de dürfen sich freuen. Ab dem Fahrplanwe­chsel zum 13. Dezember werden sie die Strecke von München nach Lindau in knapp zwei Stunden schaffen. Hinter dieser Nachricht steht ein aufwendige­s 500-Millionen-verkehrspr­ojekt. Es dauerte Jahrzehnte, bis es umgesetzt wurde, und stand immer wieder mal auf der Kippe. Die Rede ist von der Elektrifiz­ierung der Bahnstreck­e zwischen den beiden Städten. Im Winter wird der „Regelbetri­eb“, wie das offiziell heißt, beginnen.

„Bereits im Sommer schalten wir den Strom ein und beginnen unsere Test- und Messprogra­mme. Ende des Jahres dürfen sich unsere Reisenden schließlic­h auf die Inbetriebn­ahme und damit auf den Beginn eines schnellen und sauberen Zugverkehr­s freuen“, verspricht Db-projektlei­ter Matthias Neumaier.

Noch laufen nach Angaben von Bahnsprech­er Franz Lindemair die Arbeiten an der „ABS 48“, so das interne Kürzel für die Ausbaustre­cke von München über Lindau nach Zürich. Derzeit wird am letzten Teilstück zwischen Wangen im Allgäu und Lindau noch gewerkelt.

Die Projektdat­en sind beeindruck­end: 25 Kilometer Oberleitun­g die Bahn allein im Abschnitt zwischen Hergatz und Lindau in den vergangene­n Monaten errichtet. Zunächst auf dem westlichen Streckengl­eis. Bis Anfang August sollen die Masten und die Oberleitun­gen auf der östlichen Seite gelegt sein. Insgesamt 400 Oberleitun­gsmasten stehen dieses Jahr auf dem Programm, heißt es bei der Bahn. Im Sommer beendet die DB Energie Gmbh auch die Arbeiten am Umrichterw­erk in Leutkirch und an den Unterwerke­n sowie an den sogenannte­n Autotransf­ormerstati­onen. Dort wird Strom aus dem öffentlich­en Stromnetz auf Spannung und Stromfrequ­enz der Bahn umgewandel­t und als „Bahnstrom“auf die Strecke verteilt. Allein die Kosten für die Versorgung­stechnik liegen nach Angaben der Bahn bei 23 Millionen Euro.

Ein wichtiges Detail der Strecke ist der Schutz der Anwohner. Die Bahn errichtet auch im letzten Streckenab­schnitt zwischen Hergatz und Lindau Schallschu­tzwände auf knapp zehn Kilometern Länge in neun Orten. Diese Arbeiten werden bis Ende November andauern. Je nach Abschnitt werden die in Grüntönen gehaltenen Schallschu­tzwände zwischen drei und vier Meter hoch. Im Stadtgebie­t Lindau begannen die Arbeiten für die Wände im Mai.

Die spektakulä­rste Baumaßnahm­e auf dem Abschnitt war die neue Brücke über den Fluss Obere Argen in Wangen. Die 116 Meter lange und mehrere hundert Tonnen schwere Stahlkonst­ruktion wurde in einem Stück in die Trasse eingeschob­en. Wenn alle noch anstehende­n Arbeiten wie geplant erledigt werden, soll im Herbst mit dem Probebetri­eb begonnen werden, verspricht Lindemair.

Einer, der früh – und oft hinter den Kulissen – am Zustandeko­mmen des Neubaus mitwirkte, war der frühere bayerische Landwirtsc­haftsminis­ter Josef Miller. Er sagt: „Ich freue mich, dass dann ein neues Bahnzeital­ter für das Allgäu anbricht.“Das Projekt, das den Politiker 27 Jahre lang beschäftig­te, habe ihn wie keine Maßnahme sonst in seiner Zeit als Minister Nerven gekostet, erinnert sich Miller.

Dabei war der Memminger für Verkehrsth­emen eigentlich gar nicht verantwort­lich und verhandelt­e bisweilen ohne Wissen seines Kollegen, Verkehrsmi­nister Otto Wiesheu, mit Verantwort­lichen der unterschie­dlichen beteiligte­n Seiten, um eine Realisieru­ng voranzutre­ihat ben. „Das nahm mir Wiesheu damals ziemlich übel“, erinnert sich Miller. Der Parteifreu­nd sei allerdings nicht nachtragen­d gewesen.

Immer wieder geriet nämlich die Elektrifiz­ierung der Strecke, zu der es bereits Ende der 60er Jahre erste Pläne gab, im Lauf der Jahrzehnte in Gefahr. Meist ging es ums Geld. Am Ende war es die Schweiz, die Druck machte. Im Jahr 2009 hatten nämlich Deutschlan­d, die Schweiz und Bayern vereinbart, den Verkehr auf der Bahnstreck­e schneller zu machen. Bern schob das Projekt mit einem zinsfreien Darlehen von 50 Millionen Euro an. Das Abkommen mit der Schweiz sieht aber vor, dass ab Ende 2020 die Elektrifiz­ierung fertiggest­ellt sein muss. Miller sagt: „Es war höchste Eisenbahn, dass es zu einer Einigung kam.“

Nun steht die Strecke vor der Fertigstel­lung: Ab Dezember werden Eurocity-züge in einer Stunde und 50 Minuten statt bisher in rund zweieinhal­b Stunden von München nach Lindau fahren. Die Fahrzeit von München nach Zürich verringert sich von bisher knapp viereinhal­b auf etwa dreieinhal­b Stunden.

In diesem Zusammenha­ng gibt es noch eine gute Nachricht für Bahnreisen­de: Grund ist die Vorstellun­g des geplanten Deutschlan­d-takts im Bahnverkeh­r – ein bundesweit abgestimmt­er Fahrplan. Bei dem kommt neben dem Bahnprojek­t Ulm–augsburg auch der Elektrifiz­ierung der Strecken München– Lindau sowie Ulm–lindau im Dezember 2021 eine entscheide­nde Rolle zu. Die in wenigen Jahren letzte verblieben­e Lücke im europäisch­en Hochgeschw­indigkeits­netz zwischen Ulm und Augsburg wird zudem geschlosse­n. Der „Deutschlan­d-takt“sichere die Ice-anbindung für Bayerisch-schwaben, erklärt Bahnexpert­e Peter Stöferle von der IHK Schwaben.

Kleine Dreingaben für Bahnfahrer gab es gestern in München von Bayerns Verkehrsmi­nisterin Kerstin Schreyer (CSU) und Roland Pofalla, dem Vorstand für Infrastruk­tur bei der DB AG. Sie verkündete­n eine Aufstockun­g der Mittel des Bundes für kleinere Nahverkehr­sprojekte im Freistaat um 16 Prozent auf 436 Millionen Euro in den kommenden zehn Jahren. In Schwaben werden aus diesem speziellen Topf unter anderem die Streckener­tüchtigung der Paartalbah­n, die Elektrifiz­ierung zwischen Pfronten-steinach und der Landesgren­ze zu Tirol, Maßnahmen zur Barrierefr­eiheit in Senden und Marktoberd­orf sowie der Neubau von Bahnstatio­nen in Lindau und in Brunnen an der Paartalbah­n finanziert. Insgesamt investiere die Bahn in Bayern dieses Jahr ungefähr 1,7 Milliarden Euro.

Lärmschutz für die Anwohner

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Reisende, die von München nach Lindau fahren, werden künftig kürzer auf den Schienen unterwegs sein. Die Strecke wird ab dem kommenden Winter in einer Stunde und 50 Minuten zu schaffen sein. Bisher waren es rund zweieinhal­b Stunden.
Foto: Ulrich Wagner Reisende, die von München nach Lindau fahren, werden künftig kürzer auf den Schienen unterwegs sein. Die Strecke wird ab dem kommenden Winter in einer Stunde und 50 Minuten zu schaffen sein. Bisher waren es rund zweieinhal­b Stunden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany