Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Warum ein Impfstoff nicht reichen wird

Weltweit arbeiten Labore daran, ein Medikament gegen das Coronaviru­s zu entwickeln. Doch eigentlich ist es gar nicht so wichtig, welches Unternehme­n das erste ist

- VON JONATHAN LINDENMAIE­R

Augsburg Angebot und Nachfrage sind die Grundpfeil­er jeder Ökonomie. Und nun schafft es ein Produkt, diese beiden Pole in ein nie da gewesenes Ungleichge­wicht zu bringen: der Corona-impfstoff. Nachfrage: mindestens fünf bis sechs Milliarden Impfdosen. Angebot: null.

Die Nachfrage könnte sogar noch deutlich höher sein. Je nachdem, wie viele Dosen verabreich­t werden müssen, um den Empfänger zu schützen. Und es ist auch unsicher, wie lange ein Impfstoff schützen könnte und inwiefern bereits Infizierte sich nach ihrer Genesung neuansteck­en können.

Klar ist: Wird ein funktionie­render Impfstoff gefunden, müssten ihn sich etwa fünf Milliarden Menschen verabreich­en lassen, um eine Herdenimmu­nität zu erreichen. Deshalb arbeiten weltweit über 150 Unternehme­n daran, ihren Impfstoff möglichst schnell auf den Markt zu bringen. Die ersten Impfstoffe dürften erst 2021 verfügbar sein, schätzt das Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, welcher Impfstoff als erster zugelassen wird. Das eigentlich­e Ziel ist es, zeitnah möglichst viele Impfstoffe auf den Markt zu bringen.

Der Grund ist ein wirtschaft­licher. Er hängt mit dem Konzept von Angebot und Nachfrage zusammen. Für ein einziges Unternehme­n ist die Nachfrage schlicht zu hoch. „Es gibt Stand heute niemanden, der die Produktion­skapazität­en hätte, um in realistisc­hen Zeiträumen den Weltbedarf zu decken“, sagt Rolf Hömke vom Verband forschende­r Arzneimitt­elherstell­er.

Das Problem: In der Regel kann so ein Impfstoff nur vom Originalpr­oduzent erzeugt werden. Nur eine Art Bauanleitu­ng an andere Unternehme­n weiterzuge­ben, ist schwierig oder gar unmöglich. „Die Herstellun­g ist äußerst anspruchsv­oll. Seine Wirksamkei­t und Verträglic­hkeit hängen von Details des Produktion­sverfahren­s ab“, sagt Hömke. Der Originalhe­rsteller könne im Rahmen von Kooperatio­nen andere Unternehme­n schulen, den Impfstoff herzustell­en. „Allein auf Basis einer Blaupause wäre die identische Herstellun­g des Impfstoffs durch ein anderes Unternehme­n aber nicht möglich.“

Viele der forschende­n Hersteller nehmen deshalb Abkürzunge­n auf dem Weg zur Produktion. „Eine Reihe von Firmen erweitern gerade ihre Kapazitäte­n, indem sie zusätzlich­e Anlagen bauen“, sagt Hömke. Ihre Corona-impfstoffe sind aber erst in der Erprobung. Ob sie am Ende eine Zulassung erhalten, ist unklar. „Das ist natürlich ein wirtschaft­liches Risiko.“Andere versuchen Partner für die Produktion zu finden. Ein prominente­s Beispiel für eine solche Kooperatio­n erregte kürzlich auf Twitter viel Aufmerksam­keit. Tesla-chef Elon Musk hatte dort verkündet, Anlagen für das Tübinger Unternehme­n Curevac zur Verfügung zu stellen.

Zudem versucht die Regierung nachzuhelf­en. „Wir wollen jetzt freie Kapazitäte­n zur Impfstoffp­roduktion sichern und auch zusätzlich­e schaffen“, sagte Forschungs­ministerin Anja Karliczek im Mai. Mit 750 Millionen Euro sollen die Hersteller unterstütz­t werden. Das soll helfen, die Materialie­n zu beschaffen und den Impfstoff abzufüllen.

Wenn Hilfsgelde­r fließen, Unternehme­n kooperiere­n und früh ihre Produktion hochfahren, kann das sicherlich die Herstellun­g beschleuni­gen. „Aber auch damit hat niemand alleine die Kapazität, die Welt zu versorgen“, sagt Rolf Hömke vom Verband forschende­r Arzneimitt­elherstell­er.

Aber wie das so ist bei hoher Nachfrage und niedrigem Angebot: Das, was da ist, will man sich schnell reserviere­n. Deutschlan­d, Frankreich, Italien und die Niederland­e haben deshalb kürzlich einen ersten Vertrag über mindestens 300 Millionen Impfdosen gegen das Coronaviru­s geschlosse­n.

Vertragspa­rtner ist das Pharmaunte­rnehmen Astrazenec­a, das zu den führenden Entwickler­n gehört. Dieses nannte eine Größenordn­ung von „bis zu 400 Millionen Dosen“. Profitiere­n sollen alle Eustaaten, die dabei sein wollen. Aufgeteilt wird nach Bevölkerun­gsgröße. Astrazenec­a soll schon ähnliche Vereinbaru­ngen mit Großbritan­nien und den Vereinigte­n Staaten geschlosse­n haben.

Dass Deutschlan­d deshalb zu kurz kommt, ist eher unwahrsche­inlich. „In Ländern wie in Deutschlan­d wird es mit Sicherheit dann so sein, dass es eine ganze Variations­breite von Impfstoffe­n geben wird, die vielleicht nächstes Jahr um diese Zeit auch verfügbar sind“, erklärte der Virologe Christian Drosten in seinem Corona-podcast im Mai.

Bis dahin bleibt es aber wohl erst mal beim historisch­en Ungleichge­wicht zwischen Angebot und Nachfrage.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Die schwierige Suche nach einem Impfstoff gegen Corona: Unser Bild gibt einen Einblick in das Labor des Tübinger Unternehme­ns Curevac.

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