Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Schwingen der Stimmen
Gesangskunst aus dem alten Augsburg
Überreich sind die Dokumente, Zeugnisse und Ereignisse, die den Status Augsburgs einer Weltstadt in der Renaissance belegen. Vor 500 Jahren erschien der „Liber selectarum Cantionum“, ein Meilenstein der Druck- und Musikgeschichte. Jetzt wurde das Editionswerk zum Klingen gebracht. Im Viermetzhof des Maxmuseums sang das international bedeutende Ensemble „Invocare“eine Auswahl der 24 Motetten – ein künstlerisches und spirituelles Erlebnis, ausgerichtet vom Forum für Alte Musik Augsburg.
Der hochgeschätzte Augsburger Kantor Ludwig Senfl (um 1486 bis 1542) betreute quasi als Redakteur das vom Augsburger Offizin Grimm & Wirsung gedruckte und von Maximilian I. in Auftrag gegebene Sammelwerk. Die Spitze europäischer Meister wie Josquin Desprez, Pierre de la Rue oder Heinrich Isaac ist darin vertreten. Es sind vier- bis sechsstimmige polyphone Kostbarkeiten, die im Ambiente der historischen, originalen Brunnenfiguren eine besondere Aura schufen.
Die Eckpfeiler des Programms bildeten zwei Werke des Niederländers Heinrich Isaac. Das einleitende „Optime Pastor“(„Bester Hirte“) überwältigte durch Verbindung virtuoser, weltlich praller Preisung des Herrn als Beschützer des Menschen vor Raubtieren und Kriegen mit dem gebetartigen Cantus Firmus. Er ist mit größtem Raffinement wie eine Wellenbewegung eingewoben, scheint die Motette wie ein Glockenton zum Schwingen zu bringen. Ähnlich kunstvoll war auch das finale „Virgo prudentissima“geformt.
Wie die mit Abstand gestaffelten Sänger von „Invocare“(zwei Soprane, Alt, zwei Tenöre, Bass sowie, quasi als Kopf des Ensembles, Domsingknabenleiter Stefan Steinemann im Altus) die Besetzungswechsel von der lichten Duolinie bis zum anschwellenden Vollklang vollzogen, die „Choreografie“dieser Gesangskunst verdeutlichten, war von brillanter Klarheit. „Missus est Gabriel“von Jean Mouton, der das Thema des erscheinenden Erzengels vor Marias Empfängnis aufgreift, fasziniert besonders durch die teils jähen Farbwechsel in der Besetzung der Stimmen. Ludwig Senfl verbindet in „Sancte Pater“, wie Isaac, hymnisch virtuose Polyphonie, in der auch das eigene Ich des Sängers in Erscheinung tritt, mit kunstvoll integriertem Cantus Firmus.