Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kassen sollen für gute Versorgung mit Arznei sorgen

Wie die Große Koalition das Problem des Medikament­enmangels lösen will

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Während der schweren Corona-wochen im Frühjahr hat Deutschlan­d schmerzlic­h feststelle­n müssen, wie abhängig es von Asien ist, wenn es um Schutzausr­üstung und Medikament­e geht. Weder im Bereich Atemschutz­masken noch bei einigen lebenswich­tigen Arzneimitt­eln gab es eine nennenswer­te „eigene“Produktion in Europa. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn hat versproche­n, das zu ändern. Die Frage ist nur wie.

Nachdem Wirtschaft­sminister Peter Altmaier Geld für die heimische Produktion von Schutzmask­en lockermach­te, gibt es unter den Gesundheit­spolitiker­n der Großen Koalition erste Ideen, wie Engpässe bei der Versorgung mit Arzneimitt­eln aufgelöst werden können.

Für die Union hat sich Fraktionsv­ize Georg Nüßlein an den Schreibtis­ch gesetzt. Der Csu-politiker will bei den Krankenkas­sen ansetzen. Die gesetzlich­en Kassen verhandeln mit den Hersteller­n von Medikament­en über Liefervert­räge, die sogenannte­n Rabattvert­räge. Die Unternehme­n gewähren den Kassen Preisnachl­ässe, wenn sie an deren Versichert­e exklusiv ihre Tabletten, Salben und Mittel liefern können. Doch sobald bei einem Hersteller ein Werk wegen einer Störung stillsteht oder wegen einer Seuche geschlosse­n wird, ist die Versorgung in Deutschlan­d schnell in Gefahr. Verschärft wird eine solche Problemlag­e dadurch, dass bestimmte Vorprodukt­e für Medikament­e weltweit von nur wenigen Produzente­n stammen. Nüßlein will festschrei­ben, dass die Kassen erstens Liefervert­räge mit mehreren Hersteller­n schließen und zweitens mindestens einer der Produzente­n ein Werk in Europa haben muss. Der Abgeordnet­e aus Neu-ulm hält es für möglich, dass die europäisch­en Pharmafirm­en binnen drei Jahren die nach Asien abgewander­te Produktion zurückverl­agern.

Der Haken an der Sache: Die Rabattvert­räge entlasten die Versichert­en aktuell pro Jahr um rund vier Milliarden Euro. Die Unternehme­nsberatung Roland Berger schätzt, dass die Unternehme­n hierzuland­e pro Jahr 100 Millionen Euro an Zuschüssen oder höheren Einnahmen von den Kassen bräuchten, um allen die beiden Grundstoff­e von Antibiotik­a auf dem Heimatmark­t zu produziere­n. Bislang kommen 80 Prozent davon aus China. „Wir müssen die Absicherun­g über die Krankenkas­sen bezahlen. Das sind Zuschläge, die angemessen sind“, findet Nüßlein.

Die Spd-gesundheit­spolitiker­in Bärbel Bas hält diese Vorschläge für den falschen Ansatz. „Mit der letzten Arzneimitt­elreform haben wir bereits die Anforderun­gen an Rabattvert­räge weiter erhöht. Weitere Änderungen sind aus unserer Sicht nicht erforderli­ch“, sagt Bas unserer Redaktion. Ihr Argument: Die Rabattvert­räge halten die Kosten für Medikament­e in Schach. Die Pharmaindu­strie würde gerne mehr heraushole­n. Schon heute kann die oberste Arzneimitt­elbehörde anordnen, dass die Hersteller bei drohenden Engpässen mehr Medikament­e im Lager vorhalten müssen.

Bas setzt darauf, dass die Europäer während der deutschen Ratspräsid­entschaft beschließe­n, die Produktion von Grundstoff­en und gebräuchli­chen Medikament­en zurückzuho­len. Minister Spahn hält sich bedeckt, wie er das erreichen will. An diesem Donnerstag schaltet er sich mit seinen europäisch­en Amtskolleg­en per Videokonfe­renz zusammen. Weitere Hintergrün­de finden Sie in der

„Wir müssen die Absicherun­g über die Krankenkas­sen bezahlen. Das sind Zuschläge, die angemessen sind.“

Unions-fraktionsv­ize Georg Nüßlein

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