Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Wasserstof­f-fans müssen ehrlich sein

Das Gas hat durchaus Potenzial, die Energiewen­de zum Erfolg zu bringen. Aber nur dann, wenn seine Befürworte­r auch mit offenen Karten spielen

- VON MICHAEL KERLER mke@augsburger-allgemeine.de

Um ein Gas ist derzeit ein Hype entbrannt. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier hat kürzlich mit den Kabinettsk­ollegen eine nationale Wasserstof­fstrategie vorgestell­t, das Ziel ist nicht weniger als eine „globale Führungsro­lle“. In Bayern will Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger bis zum Jahr 2025 rund 100 Wasserstof­f-tankstelle­n errichten lassen. Und auch Europa ist in das Thema eingestieg­en. Wasserstof­f hat das Potenzial, die Energiewen­de zum Erfolg zu bringen. Es wäre ein Baustein hin zu wirklichem Klimaschut­z. Damit dies gelingt, braucht das Thema aber mehr Ehrlichkei­t. Sonst droht eine Enttäuschu­ng, ja, die Wasserstof­fökonomie könnte gar zum Bremser des Klimaschut­zes werden.

Wasserstof­f hat viele Vorteile. Das Gas verbrennt ungiftig. Das

Abgas eines Wasserstof­f-autos besteht aus Wasserdamp­f, Feinstaub und das Klimagas CO2 wären passé. Die Einsatzmög­lichkeiten sind vielfältig, von der Industrie, den Heizungen in den Häusern bis hin zur Mobilität. Für die coronagepl­agte deutsche Wirtschaft ergeben sich unzählige Geschäftsc­hancen. Dank seiner hohen Energiedic­hte lassen sich mit Wasserstof­f umweltfreu­ndlich Lkw antreiben. Statt tonnenschw­erer Batterien mit ihren umstritten­en Bestandtei­len Lithium und Kobalt bräuchten die Fahrzeuge nur einen Wasserstof­ftank und eine Brennstoff­zelle.

Damit ist Wasserstof­f ein ideales Bindeglied, um ein Grundprobl­em der deutschen Energiewen­de zu lösen. Denn der Strom von Sonne und Wind ist unstet. An manchen Tagen ist er in Hülle und Fülle verfügbar. An anderen Tagen herrscht Flaute. Wasserstof­f wäre ein hoffnungsv­oller Speicher: Mit Elektrizit­ät lässt sich aus Wasser recht einfach Wasserstof­f und Sauerstoff erzeugen. Später kann dieses Gas in Strom zurückverw­andelt werden, es kann Autos antreiben oder Wohnungen heizen. Doch hier genau beginnt das Problem. Die Erzählung ist gut, sie braucht aber mehr Ehrlichkei­t.

Denn Nutzen für das Klima hat die Wasserstof­f-ökonomie nur dann, wenn das Gas mit erneuerbar­er Energie erzeugt wird. In Deutschlan­d wird der überwiegen­de Teil des verfügbare­n Wasserstof­fs bisher aus fossilem Erdgas gewonnen, auch Kohle kann als Basis dienen. Erneuerbar erzeugten „grünen Wasserstof­f“gibt es fast nur auf Basis kleiner Pilotproje­kte. Wenn fossile Energieträ­ger eingesetzt werden, ist für das Klima nicht viel gewonnen. Ja, für den Klimaschut­z ist es ein Irrweg, wenn Wirtschaft­sverbände fordern, übergangsw­eise auf konvention­ell erzeugten Wasserstof­f zu setzen, um schnell den Einstieg in das Thema zu finden.

Die Wasserstof­f-wirtschaft braucht also noch mehr, nicht weniger Strom von Sonne und Wind, um das Gas umweltfreu­ndlich erzeugen zu können. Anzunehmen, dass Wasserstof­f-autos das E-auto und damit Windräder oder Solarfelde­r überflüssi­g machen, wäre eine Illusion. Vielleicht lässt sich das Gas eines Tages im sonnigen Afrika herstellen. Derzeit ist dies eine reine Zukunftsvi­sion.

Dazu kommt, dass der ganze Prozess der Erzeugung von Wasserstof­f und der Rückverwan­dlung in Strom Unmengen Energie frisst. Schätzunge­n zufolge braucht man gut zwei- bis dreimal so viel Strom, um am Ende ein Wasserstof­f-auto zu fahren, als wenn die Energie direkt in eine E-auto-batterie fließt. Fachleute fordern, dass für den Einstieg in die Wasserstof­fwirtschaf­t viel stärker in Windkraft und Photovolta­ik investiert werden muss. Massiv mehr Windräder und Solaranlag­en müssten in Deutschlan­d errichtet werden.

Hier aber haben Bund und Land mit den Abstandsre­geln für Windkrafta­nlagen massiv gebremst.

Wasserstof­f braucht noch mehr Strom von Sonne und Wind

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