Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Hüter der Autobahnen

In einem schmucklos­en Bau im Münchner Norden sitzen Mitarbeite­r, die dafür sorgen sollen, dass der Verkehr in Südbayern fließt. Eine Geschichte über den Sinn von Schilderbr­ücken, teure Tunnels und die Frage, wie viele Fahrzeuge eigentlich auf eine Spur pa

- VON JOSEF KARG

München Es ist ein guter Freitag auf den Autobahnen rund um die Landeshaup­tstadt. Gut in dem Sinn, dass trotz des Ferienbegi­nns in einigen Bundesländ­ern weit und breit kein Stau zu sehen ist. Vielleicht ein bisschen viel Verkehr im Aubinger Tunnel im Nordwesten Münchens. Aber immerhin, auch da fließt der Autostrom träge vorwärts. Keine Unfälle, keine Verzögerun­gen.

In einem modernen Gebäude im Norden Münchens, im Windschatt­en der Allianz-arena, sitzen die Hüter über Südbayerns Verkehrsac­hsen. Etwa ein Dutzend Männer, die auf ausladende Bildschirm­landschaft­en blicken und aufmerksam das beobachten, was sich gerade auf den Autobahnen zwischen Ulm und Passau, Regensburg und Garmischpa­rtenkirche­n tut. Die Verkehrsst­euerer kontrollie­ren die Kolonnen auf den Schnellstr­aßen und in den Tunnels. Und sie greifen ein, wenn es sein muss. Möglich ist das über Schilderbr­ücken, die auf stark befahrenen Abschnitte­n installier­t sind. 160 können sie insgesamt ansteuern.

Die Einrichtun­g, die offiziell „Verkehrs- und Betriebsze­ntrale der Autobahndi­rektion Südbayern“heißt, wurde erst im November 2019 eröffnet, auch Bayerns Verkehrsmi­nisterin Kerstin Schreyer hat schon mal vorbeigesc­haut. Schließlic­h gehört die Zentrale wie Atomkraftw­erke zur „kritischen Infrastruk­tur“des Freistaate­s. „Von hier aus könnte man auch die bayerische Mondlandun­g starten“, mutmaßt Josef Seebacher, Sprecher der Autobahndi­rektion Südbayern.

In der Tat beherbergt der Bau jede Menge Computerte­chnik. Um den alltäglich­en Verkehrswa­hnsinn managen zu können, stehen in einem großen, fensterlos­en Serverraum 60 Schränke voller Rechner. Sie laufen Seebacher zufolge aus Sicherheit­sgründen „völlig autark“und sind nicht ans Internet angeschlos­sen. Denn Autobahnen und Tunnels sind heute nicht einfach mehr Asphalt und Beton, sondern sie sind gesäumt von modernster Messtechni­k.

Ruhig ist es hier. Im Hintergrun­d dudelt leise ein Radio. Knapp ein Dutzend Operatoren, wie die Verkehrsüb­erwacher offiziell heißen, haben die Telematik-anlagen im Blick und beobachten, ob in den südbayeris­chen Tunnels alles in Ordnung ist. Christian Mayr, der Leiter dieser staatliche­n Einrichtun­g, die in naher Zukunft privatisie­rt werden soll, ist seit über 20 Jahren im Verkehrswe­sen tätig. Er hat die rasante Entwicklun­g der Technik mitverfolg­t, die Ende der 80er mit den ersten Schilderbr­ücken begann, die man hier „Verkehrsbe­einflussun­gsanlagen“nennt. „Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der Verkehr fließt“, sagt er bescheiden.

Letztendli­ch hängt mit der Verkehrsbe­einflussun­g und Tunnelüber­wachung aber viel mehr zusammen. Denn wenn auf den Straßen nichts mehr geht, steht nicht nur der einzelne Autofahrer still, sondern vor allem die Wirtschaft. Schließlic­h sind die deutschen Autobahnen ein Verkehrsne­tz, das sich über 13100 Kilometer zieht. Sie verbinden Oberstdorf im Süden mit Flensburg-handewitt, Castrop-rauxel mit Frankfurt an der Oder und hunderte andere Städte miteinande­r. Und beim Thema Autobahnen herrscht bei den Deutschen ja längst so etwas wie ein Glaubenskr­ieg. Für die einen sind sie nach wie vor die Tür zur großen Freiheit, die Lebensader­n des Landes, die anderen sehen darin vor allem landschaft­sund umweltzers­törende Asphaltbah­nen. Wer in sozialen Netzwerken die Diskussion­en verfolgt, dem kann angst werden, mit welcher Heftigkeit die Gegner da verbal aufeinande­r eindresche­n.

Auch beim Tempolimit sind die Fronten festgefahr­en. Die einen sagen, dass es außer in Deutschlan­d nur mehr in Ländern wie Afghanista­n oder Nordkorea ohne Geschwindi­gkeitsbegr­enzung zugeht, die anderen argumentie­ren, dass ein Tempolimit „völlig sinnlos“wäre, weil deutsche Autobahnen zu den sichersten der Welt gehörten, und auch Abgase und Lärm dadurch nicht spürbar reduziert würden.

Ob mit oder ohne Tempolimit, Tatsache ist: Ohne die Autobahnen wäre unsere heutige Wohlstands­gesellscha­ft nicht vorstellba­r. Zu einer der meistbefah­renen gehört die A8, die erst vor etwa zehn Jahren dreispurig ausgebaut wurde. Als es endlich so weit war, haben hunderttau­sende Pendler erst einmal befreit aufgeatmet. Endlich freie Fahrt, ohne Baustellen auf sechs Spuren!

Inzwischen hat der Verkehr stetig zugenommen – und damit auch die Unfallzahl­en. Darum wird auf der A8 zwischen Friedberg und Neusäß in Kürze ein Tempolimit 120 eingeführt. Einem Fachmann wie Mayr würde diese fast kostenlose Maßnahme reichen. Die Politik hat aber entschiede­n, dass ab 2022 zudem mehrere Telematikb­rücken aufgestell­t werden sollen.

Anderersei­ts bringt die intelligen­te Verkehrsst­euerung natürlich auch Vorteile. Durch Tempobegre­nzungen oder Stauwarnun­gen, die auf den Schilderbr­ücken angezeigt werden, können die Autobahnen etwa zehn Prozent mehr Fahrzeuge aufnehmen. Weil der Verkehr dann stetiger fließt, Autofahrer weniger Grund zum Gas geben und abbremsen oder zum Spurwechse­ln haben. Oder Lkw auf der rechten Spur bleiben müssen. Rund um München etwa können 116 Kilometer Seitenstre­ifen freigescha­ltet werden, wenn es nötig ist.

Diese Feinjustie­rung ist allerdings teuer: Jede der Telematikb­rücken, die auf stark befahrenen Autobahnab­schnitten auf 627 Kilometern installier­t sind, kostet mehrere hunderttau­send Euro. Und damit ist es nicht getan. „Allein für den Kilometer Straße werden rund 10000 Euro Betriebsko­sten im Jahr kalkuliert“, rechnet Mayr vor.

Und dann sind da noch die 23 Tunnel. „Die Kosten für die Tunnel könnten uns sogar irgendwann einmal finanziell auffressen“, mutmaßt Autobahndi­rektionssp­recher Seebacher. Das lässt sich gut nachvollzi­ehen, wenn man weiß, dass es beispielsw­eise allein im Aubinger Tunnel etwa 15000 einzelne Datenpunkt­e gibt, also Stellen, an denen vom Kohlendiox­idgehalt der Luft bis zur Verkehrsdi­chte alles Mögliche gemessen wird. Dazu kommt, dass auch Tunnel in ihrer baulichen Substanz erneuert werden müssen.

Es werden also Daten erhoben, was das Zeug hält. Nur so sind die Verkehrsst­röme, vor allem zu den Hauptverke­hrszeiten, überhaupt noch steuerbar. Verbunden sind die ganzen Anlagen mittels Glasfaserk­abel, die längst entlang der Autobahnen verlegt worden sind. Wobei man dann schon beim nächsten Kostenprob­lem ist: Die moderne Technik in den Telematikb­rücken hält nämlich nicht länger als zehn bis 15 Jahre und „muss dann wieder ersetzt werden“, erklärt Mayr.

Auf der anderen Seite lohnt sich der Aufwand. Die Unfallzahl­en auf Autobahnen konnten durch die Technik um bis zu 31 Prozent gesenkt werden. In der Regel werden die Anlagen von Computerpr­ogrammen gesteuert. Immerhin 25 000 Mal im Jahr müssen die Männer im Münchner Norden manuell eingreifen, vor allem bei besonderen Gefahrenla­gen.

Manchmal sind aber auch die besten Verkehrsma­nager überforder­t. Seebacher erinnert sich etwa an das Jahrhunder­t-hochwasser in Bayern 2013. Damals war die A8 erst am Chiemsee überschwem­mt. Daraufhin wurde der Verkehr Richtung Osten über Passau umgeleitet. Als auch da die Dämme brachen, schickte man die Autofahrer über Prag. Weil auch dort bald nichts mehr ging, blieb nur mehr die Möglichkei­t, den Verkehr Richtung Osten über Frankreich zu schicken. „Das hätte aber nun wirklich keinen Sinn gemacht“, lächelt Seebacher. Darum ließ man es auch sein.

Doch Katastroph­en dieses Ausmaßes kommen glückliche­rweise selten vor. Die Corona-krise etwa hat sich auf die Verkehrsst­röme in den Süden sogar positiv ausgewirkt. So ist der Ferienverk­ehr auf den Autobahnen bisher bei weitem nicht so dicht wie in den Vorjahren. „Wir haben noch keine größere Welle beobachtet“, sagt Mayr. Der Alltagsver­kehr indes hat zuletzt spürbar zugenommen. Etwa 20 Prozent mehr Pkw seien gerade während der Hauptverke­hrszeiten unterwegs – offenbar, weil viele wegen der Angst vor einer Ansteckung öffentlich­e Verkehrsmi­ttel und Fahrgemein­schaften mieden, schätzt er. Vor allem rund um München steht der Verkehr dann an Nadelöhren wie vor dem Allacher Tunnel.

Am meisten los ist gewöhnlich am Donnerstag. „Freitag ist schon lange nicht mehr der verkehrsst­ärkste Tag der Woche.“Die Fernpendle­r seien schon früher in der Woche unterwegs nach Hause. „1800 Fahrzeuge pro Stunde passen auf eine Autobahnsp­ur, dann wird es eng“, erklärt Betriebsle­iter Mayr. Sind Drängler und Raser unterwegs, schrumpfe die Zahl.

Darum finden Verkehrsex­perten wie er auch ein Thema wie das autonome Fahren interessan­t, an dem inzwischen alle Autoherste­ller und einige It-giganten wie Google arbeiten. Damit wäre der Unsicherhe­itsfaktor Mensch eliminiert. Doch weder Mayr noch Seebacher glauben, dass sich das selbstfahr­ende Auto in absehbarer Zeit durchsetze­n wird. „Da gibt es noch so viele Probleme zu lösen.“Sie kennen die Probleme der deutschen Autoherste­ller, die an der A9 ein „Digitales Testfeld“errichtet haben, wo solche Systeme erprobt werden. Vor allem die Frage, wie der Übergang vom heutigen Durcheinan­der auf den Straßen, wo jeder so schnell fährt, wie er will, und die Spur wechselt, wann er will, in den wohlgeordn­eten computerge­steuerten Verkehr erfolgen soll, sei noch nicht gelöst. Aber das ist ein anderes Thema.

Auf der A9 mäandern die Autos munter dahin. Aus dem Besprechun­gsraum der Betriebsze­ntrale im ersten Stock kann man den vorbeizieh­enden Verkehr beobachten. Es ist Mittag. Immer noch kein Stau weit und breit. Das wird sich nachmittag­s erfahrungs­gemäß ändern. Für die Männer in der Verkehrsze­ntrale ist das Alltag. Kein Grund, nervös zu werden.

„Freitag ist schon lange nicht mehr der verkehrsst­ärkste Tag der Woche.“

Christian Mayr

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Fotos: Ulrich Wagner „Operatoren“heißen die Mitarbeite­r, die in einer Behörde im Münchner Norden den Verkehr auf Südbayerns Autobahnen im Blick haben.
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