Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Druck auf die Polizei wächst

Rechtes Netzwerk in Hessen als Zeichen für Schwächen in der Führungssp­itze?

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Wiesbaden Es ist ein ungeheurer Verdacht: Die hessische Polizei soll in ein rechtes Netzwerk verwickelt sein. Obwohl der oberste Polizist des Landes, Polizeiprä­sident Udo Münch, am Dienstag um seine Versetzung in den einstweili­gen Ruhestand gebeten hat, bleiben große Zweifel, ob dieser Schritt wirklich ausreicht. Zumindest der Hamburger Polizeifor­scher Rafael Behr hat den Rücktritt als „politische Angelegenh­eit“bezeichnet, „die in der Sache nichts verbessert“. Neben dem Thema Rechtsextr­emismus in der Polizei gehe es auch um die Zusammenar­beit der polizeilic­hen Funktionst­räger. Möglicherw­eise hätten Reibungen in der Führungssp­itze auch eine effektive Strafverfo­lgung und Ermittlung­sarbeit eher behindert als befördert.

Behr forscht an der Akademie der Polizei Hamburg unter anderem zur Organisati­onskultur der Polizei, etwa zur sogenannte­n „Cop Culture“, die nach außen zu internen Problemen und Missstände­n schweigt. „Jedenfalls wird jetzt deutlich, dass es nicht nur in der „Cop Culture“einen „Code of Silence“(Schweigeko­dex) gibt, sondern auch in der „Top Culture“der Polizei.“

Auslöser für die Affäre sind Drohmails mit der Unterschri­ft „NSU 2.0“an die Fraktionsv­orsitzende der Linken im hessischen Landtag, Janine Wissler. Bevor die Vize-bundesvors­itzende der Partei die Drohungen erhalten hatte, waren ihre persönlich­en Daten über einen hessischen Polizeicom­puter abgefragt worden. Auch die Rechtsanwä­ltin Seda Basay-yildiz und die Kabarettis­tin Idil Baydar hatten nach den Abfragen ihrer Daten an Polizeicom­putern Drohschrei­ben mit der Unterschri­ft „NSU 2.0“erhalten – einem Bezug auf die einstige Terrorseri­e des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“(NSU). Die beiden Datenabfra­gen zu Wissler und Baydar sollen bei der Polizei in Wiesbaden erfolgt sein. Ein betroffene­r Polizist, dem der Computer zugeordnet wird, wird nach Angaben des Innenminis­ters aber nicht beschuldig­t, sondern als Zeuge geführt.

Die Frankfurte­r Anwältin Seda Basay-yildiz hatte im Münchner Prozess um die Morde des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“(NSU) Opferfamil­ien vertreten. Ihr Fall wird bereits seit August 2018 untersucht – ohne Ergebnis. Die Staatsschu­tzabteilun­g der Staatsanwa­ltschaft Frankfurt sei zum 1. Januar 2019 und dann zum 1. Mai 2019 wegen der besonderen Bedeutung der Verfahren sogar personell verstärkt worden. Inzwischen hat die Staatsanwa­ltschaft Frankfurt am Main auch die Ermittlung­en zu den beiden anderen rechtsextr­emen E-mails übernommen.

Kabarettis­tin Idil Baydar macht der Polizei schwere Vorwürfe. Sie würde sich gerne wieder sicher fühlen, „und nicht das Gefühl haben, dass ich vor der Polizei Angst haben muss“, sagte die Künstlerin der ARD. „Das ist eine obskure Situation.

Und da wünsche ich mir schon, dass die Polizei von ihrem Standpunkt aus auch auf mich zukommt.“Sie habe von den Verwicklun­gen der Polizei erst durch einen Journalist­en erfahren, sagt Baydar. Von der Polizei habe sie bis heute nichts gehört. „Das trägt auch nicht gerade zur Vertrauens­bildung bei.“Ihr Leben sei nicht mehr, wie es vorher einmal war, erklärte die in Berlin lebende Kabarettis­tin. „Ich bin bedroht. Ich weiß nicht, aus welcher Ecke jetzt irgendjema­nd kommt, der mir irgendwas antun würde. Und des Weiteren wüsste ich nicht einmal, ob die Polizei das auch aufklärt, selbst wenn mir was passieren würde.“Baydar wurde nach eigener Aussage mehrfach mit dem Tode bedroht. Sie habe achtmal Anzeige erstattet und jede dieser Anzeigen sei eingestell­t worden. Zahlreiche Kollegen, Journalist­en und Politiker würden bedroht werden. „Wie lange soll das denn noch so weitergehe­n? Wann fangen wir denn mal an zu sagen: Ja, jetzt sollten wir uns wirklich mal die Polizei angucken.“

Hessens Innenminis­ter Peter Beuth (CDU) kündigte an, die Strukturen bei der Polizei gründlich zu überprüfen, Missstände zu identifizi­eren und sie schnellstm­öglich abzustelle­n. „Für mich geht es jetzt darum, dass die Ermittlung­en in den einzelnen Drohsachve­rhalten mit aller Entschloss­enheit geführt werden“, sagte der Cdu-politiker der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung. Es sei dringend geboten, dass die hessische Polizei sich wieder ihrer eigentlich­en Aufgabe widmen könne: dem Schutz der Bürger und der Verfolgung Kriminelle­r.

Spd-chefin Saskia Esken fordert, entschloss­ener gegen Rechtsextr­emismus bei der Polizei vorzugehen. „In den letzten Monaten häufen sich die Hinweise auf rechtsextr­eme und gewaltbere­ite Täter und Netzwerke in den Reihen der Sicherheit­sbehörden“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. „Für die Politik muss das ein Alarmzeich­en sein, jetzt endlich konsequent zu handeln.“Die Verdachtsf­älle bei der hessischen Polizei müssten auch den politisch Verantwort­lichen deutlich machen, „dass es sich hier nicht um bedauerlic­he Einzelfäll­e handelt“, betonte Esken.

Die Gewerkscha­ft der Polizei (GDP) plädiert unterdesse­n für die Einführung von Fingerabdr­ucksensore­n. Mit der Technik sollten alle Standardar­beitsplätz­e ausgerüste­t werden.

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Foto: Thalia Engel, dpa Macht der Polizei schwere Vorwürfe: Idil Baydar.

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