Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Parteien dürfen parteiisch sein

Thüringen wollte mithilfe eines Gesetzes gegen die männliche Dominanz in den Landtagen vorgehen – und scheiterte vor dem Verfassung­sgerichtsh­of. Das hat Folgen weit über den Freistaat hinaus

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg/weimar Es ist ein Urteil, das weit über Thüringen hinaus wirken wird: Das Bundesland kann Parteien nicht dazu zwingen, Kandidaten­listen abwechseln­d mit Männern und Frauen zu besetzen. Ziel dieses Paritätsge­setzes war, die Mitwirkung von Frauen in den Parlamente­n zu stärken. Nun urteilte der Verfassung­sgerichtsh­of in Weimar: Die Regel ist nichtig.

Auch Bayern ringt seit Jahren um ein Paritätsge­setz – das Urteil ist für die Verfechter­innen dieses Prinzips ein herber Rückschlag. „Das Urteil zeigt, wie stark verhaftet die traditione­llen Rollenbild­er sind und wie sehr sie in der Rechtsprec­hung nachwirken“, sagt Simone Strohmayr. „Wieder wurde zulasten der Gleichstel­lung entschiede­n.“Die Spd-landtagsab­geordnete setzt sich intensiv für paritätisc­h besetzte Wahllisten ein und fordert nun eine umfassende gesellscha­ftliche, aber auch juristisch­e Debatte zum Thema Gleichstel­lung: „Welches Verfassung­sgut hat höheren Rang: die Parteifrei­heit auf der einen Seite, oder die Gleichstel­lung auf der anderen Seite?“, sagt Strohmayr unserer Redaktion. Bislang neige die Rechtsprec­hung dazu, die Beteiligun­g von Frauen als einfachen programmat­ischen Ansatz zu betrachten – nicht aber als Pflicht. Dabei sei beides in der Verfassung verankert. Artikel 3 schreibt vor: „Männer und Frauen sind gleichbere­chtigt. Der Staat fördert die tatsächlic­he Durchsetzu­ng der Gleichbere­chtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigun­g bestehende­r Nachteile hin.“Aufgeben jedenfalls will Strohmayr nicht. „Auch das Frauenwahl­recht ist nicht von heute auf morgen eingeführt worden, das hat 60 Jahre Diskussion gebraucht.“Notfalls müsse eben eine Änderung der Verfassung ins Auge gefasst werden. Denn die Thüringer Richter nehmen ausdrückli­ch Bezug auf das Grundgeset­z.

„Das Paritätsge­setz widerspric­ht der Thüringer Verfassung und dem hineinwirk­enden Bundesverf­assungsrec­ht“, sagte der Präsident des Verfassung­sgerichtsh­ofes, Stefan Kaufmann, zur Urteilsbeg­ründung. Es beeinträch­tige das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie das Recht der politische­n Parteien auf Betätigung­sfreiheit, Programmfr­eiheit und Chancengle­ichheit. Die Verfassung­srichter führten unter anderem die Freiheit der Parteien an, sich bewusst für oder gegen eine Quotierung entscheide­n zu können. Mit einer Quotierung der Landeslist­en wäre zudem die Freiheit der Parteien beschränkt, aus programmat­ischen Gründen etwa beispielsw­eise Landeslist­en mit vorwiegend Frauen oder vorwiegend Männern zu besetzen. „Eine Partei darf parteiisch, darf einseitig sein“, sagte dazu der emeritiert­e Düsseldorf­er Rechtswiss­enschaftle­r Martin Morlok. Er sieht nach dem Urteil kaum Chancen, den Frauenante­il in Parlamente­n per Gesetz zu erhöhen. „Das Grundprobl­em ist der Gruppenged­anke. Das passt nicht zur individuel­len Verankerun­g unserer Grundrecht­e“, sagt Morlok.

Neben Thüringen hat auch Brandenbur­g ein Paritätsge­setz, das vorsieht, dass Parteien in Thüringen ihre Kandidaten­listen für Landtagswa­hlen abwechseln­d mit Männern und Frauen besetzen müssen. Auch dort liegt die Regelung beim zuständige­n Verfassung­sgericht, das im August darüber verhandelt.

Die Wirkung eines Paritätsge­setzes ist umstritten. Beispiel Thüringen: Dort lag der Frauenante­il im Parlament im April bei rund 31 Prozent, für die CDU sitzen nur zwei Frauen im Landtag. Doch kein einziger der 21 Cdu-abgeordnet­en ist über die Landeslist­e ins Parlament gekommen, weil alle ein Direktmand­at erhielten. Auf die Direktkand­idaturen der Parteien nimmt das Thüringer Paritätsge­setz aber gar keinen Einfluss. Im Falle der CDU hätte das Paritätsge­setz also keine Erhöhung des Frauenante­ils bewirkt.

Geklagt gegen das Gleichheit­sgesetz hatte die Thüringer AFD. Deren Landeschef Björn Höcke feiert das Urteil daher als großen Erfolg. Er bezeichnet­e die Entscheidu­ng der Verfassung­srichter als „Sieg für die Demokratie und den Verfassung­sstaat“. Höcke gehörte zu den Wortführer­n des rechtsnati­onalen „Flügels“der AFD, der sich nach eigenen Angaben formell aufgelöst hat. Auch CDU und FDP waren gegen die Quoten-regel, scheuten aber den Weg zum obersten Thüringer Gericht.

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Foto: dpa Demonstran­tinnen vor Verfassung­sgerichtsh­of. dem Thüringer

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