Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Tut’s weh?
In Bayern kann sich seit Anfang Juli jeder auf das Coronavirus testen lassen – auch ohne Symptome. Wie sich so ein Abstrich anfühlt und warum das Wattestäbchen in die Nase muss
Stettenhofen Wie so vieles liegt die Sache wohl im Auge des Betrachters. In meinen Augen sieht der Mann, der da mit Mundschutz, blauen Handschuhen, Gesichtsvisier und Schutzkittel vor mir steht, jedenfalls ein bisschen aus wie ein Astronaut. Vielleicht auch wie ein Chemiker, ein Atomphysiker – jedenfalls wie jemand, der mit nicht ganz ungefährlichen Dingen zu tun hat. Und eigentlich ist das ja auch so. Denn Dr. Sören Dülsner, der an diesem sonnigen Montagmittag in seiner Praxis in Stettenhofen im Landkreis Augsburg steht, testet die Menschen auf das neuartige Coronavirus, das die lebensgefährliche Lungenerkrankung Covid-19 auslösen kann. Dülsner greift nach dem Wattestäbchen, mit dem er die beiden Abstriche – einmal im Mund, einmal in der Nase – machen wird. Er geht einen Schritt auf mich zu und sagt: „Es könnte jetzt gleich ein wenig unangenehm werden.“
Seit Anfang Juli kann sich in Bayern jeder, der das möchte, kostenlos auf das Coronavirus testen lassen – auch ohne Symptome. Nicht alle finden, dass das eine gute Idee ist – unter anderem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Auch andere Bundesländer hatten das Vorpreschen Bayerns massiv kritisiert und vor einem falschen Sicherheitsgefühl gewarnt. Mediziner Dülsner sieht das ganz ähnlich: „Ich bin kein Freund von einer Testung ins Blaue“, sagt er. Der Test gebe einem nur die Sicherheit, dass man aktuell nicht infiziert ist. „Das ist eine reine Momentaufnahme.“Es sei außerdem wichtig, zwischen einem Abstrich und einem Antikörpertest, der einem verrate, ob man das Virus schon hatte, zu unterscheiden.
In Dülsners Praxis werden zum einen Menschen getestet, die akute Symptome – etwa Husten – haben. Die kommen dann in die sogenannte Infektionssprechstunde. Zum anderen testet der Arzt aber auch Menschen, denen es gut geht, die aber einen Test brauchen, etwa weil sie beruflich ins Ausland müssen oder in eine Reha-klinik fahren. „Wir testen eigentlich niemanden, der das einfach nur für sich machen möchte. Das schaffen wir nicht.“Es müssten Symptome oder andere Indikationen, etwa berufliche, vorliegen. Deswegen würden Menschen, die ohne einen bestimmten Grund einen Test wollten, auch an andere Stellen verwiesen.
„Bitte öffnen Sie den Mund, lassen Sie die Zunge vorne“, sagt Dülsner. Mit dem langen Wattestäbchen macht der Arzt in meinem Rachen einen Abstrich, nur wenige Sekunden dauert das. Dann kommt der Teil, den viele Menschen fürchten: der Nasenabstrich. Denn das Stäbchen muss schon relativ tief eingeführt werden. Noch in der Redaktion, kurz bevor ich mich auf den Weg zum Arzt gemacht habe, hat mir eine Kollegin gesagt, dass ihr Bruder gerade erst so einen Abstrich habe machen lassen – und dass es doch ziemlich schmerzhaft gewesen sei. Beinahe wehmütig denke ich angesichts dieser Aussichten an meinen Corona-schnelltest vor wenigen Wochen zurück, den ich machen musste, weil ich für eine Reportage einen Schlachthof besuchen wollte. Dabei wurde mir nur ein winziges Tröpfchen Blut aus der Fingerkuppe entnommen – kein großes Ding. Warum jetzt also ein Stäbchen in die Nase? „Während der ersten Erkrankungsphase kann uns nur ein Abstrich die Infektion beweisen“, sagt Dülsner. Na gut. Augen zu und ... das war’s schon?
Schmerzen habe ich nicht gespürt, es war ein bisschen unangenehm und hat gekitzelt – so, als müsste ich gleich niesen. Jeder Mensch nehme die Abstriche in Rachen und Nase anders wahr, erklärt Dülsner. Manche spürten einen starken Würgereiz, andere Schmerzen. Und wieder andere bemerkten kaum etwas.
Zehn bis zwanzig Patienten werden pro Woche bei ihm auf Sarscov-2 getestet, erklärt Dülsner. In der Hochphase der Pandemie, also im März und April, habe er mehrere positive Ergebnisse gehabt, dann wochenlang nur noch negative. Doch mittlerweile ändere sich das wieder, sagt der Mediziner. Erst vor zwei Wochen fiel ein Test bei einem seiner Patienten positiv aus.
Und mein Test? Einen Tag dauert es, bis das Ergebnis da ist. Sorgen habe ich mir eigentlich nicht gemacht. Wo soll ich mich schon angesteckt haben? Schließlich kenne ich niemanden, der infiziert ist, ich fühle mich nicht krank, im Ausland war ich auch nicht. Und trotzdem nagt da irgendwo im Unterbewusstsein dieser winzige Zweifel. Was, wenn ich mir das Virus eingefangen habe und keine Symptome habe? Vielleicht beim letzten Restaurantbesuch? Was, wenn ich gar andere Menschen angesteckt habe?
Am Dienstagabend kommt die Entwarnung. Negativ. Eine positive Nachricht – zumindest für den Moment.