Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Fassbinders Serie schwebte über uns“
Der Regisseur Burhan Qurbani über die Verfilmung von „Berlin Alexanderplatz“
Tatsächlich nahm Ihr Film ja seinen Ursprung in der Frage, was es bedeutet, person of color und Teil einer weißen Mehrheitsgesellschaft zu sein. Sie wollten eine Geschichte erzählen über die schwarzen Drogendealer, die Sie tagein, tagaus quasi vor Ihrer Haustür in der Berliner Hasenheide haben. Wieso war letztlich Döblins Werk dafür das richtige Vehikel?
Burhan Qurbani: Der Roman war der Schlüssel, der mir den Zugang zu dieser Welt ermöglicht hat. Denn ich wollte nicht ein Sozialdrama erzählen, wie man es bei dieser Thematik normalerweise erwarten würde. Es entsprach vielmehr meinen Vorlieben, einen literarischen, poetischen Zugang zu dieser Community und dieser Thematik zu finden. Döblins Protagonist ist einer, der aus dem Rand der Gesellschaft tritt und seinen Weg in die Mitte sucht. Genau wie nun Francis in meinem „Berlin Alexanderplatz“auch.
Hat der Roman auch jenseits einer Verlagerung in die heutige Zeit, wie der Film sie vornimmt, noch Relevanz? Qurbani: Na klar. Man darf ja nicht vergessen, dass der Roman kurz vor dem Scheitern der Weimarer Republik erschienen ist. Eines der letzten
Bilder bei Döblin sind die Sa-truppen, die um den Alexanderplatz herum aufmarschieren. Der Roman kommt aus einer Zeit, in der ganz besonders hart um Werte, nicht zuletzt demokratische Werte in Deutschland gekämpft worden ist. Was ja leider wieder höchst aktuell ist, nicht nur bei uns, sondern auch in zahllosen anderen Ländern. Außerdem hat Döblin seine Geschichte aus einer sozialen Schicht heraus erzählt, die für die bürgerliche, Kultur prägende Schicht damals unsichtbar war. Das fand ich ebenfalls reizvoll und sehr zeitgemäß.
Wie schwierig war für Sie die Gratwanderung bei der Adaption, den Text einerseits zu modernisieren und ihm doch auch treu zu bleiben?
Qurbani: Die Aufgabe war wirklich nicht einfach, entsprechend haben wir da auch viele Jahre dran gesessen. Auf der einen Seite hatten wir diesen Roman, der ein wichtiger Teil des Bildungsbürgerkanons ist, und auf der anderen schwebte Fassbinders Serie über uns. Wir haben dann relativ früh angefangen, unseren Respekt erst einmal über Bord zu werfen und draufloszuschreiben, bevor wir später wieder zurückgekommen sind zu dem Roman. Das waren drei Jahre des ständigen Schreibens und Redigierens. Manches musste natürlich zwangsläufig auf der Strecke bleiben, etwa die Stream of Consciousness/collagetechnik von Döblin. Das hätte den Rahmen gesprengt und war nicht das, worum es uns ging. Letztlich haben wir den Roman reduziert auf den Plot, der bei uns zu einer postkolonialen Geschichte wird, dadurch dass Francis schwarz und Reinhold weiß ist.
Der Name von Rainer Werner Fassbinder fiel bereits. Wie viel Druck schafft es, da es diesen berühmten Vorgänger mit einer 14-teiligen Tv-serie gibt?
Qurbani: Ganz viel und ganz, ganz wenig. Der Druck ist da, weil die Industrie und ein Teil vom Kulturbetrieb einen genau anschauen. Aber da ist auch totale Freiheit – weil man irgendwann mit sich selbst ausmacht: ,Ich kann diesen Erwartungen gar nicht gerecht werden. Ich mache einfach, was ich für richtig halte.‘ Natürlich macht es einem Angst. Man kann das gar nicht auf die leichte Schulter nehmen, aber ich kann es ganz gut wegdrücken. Hat auch die Geschichte Ihrer Eltern, die Afghanistan verlassen haben, eine große Rolle gespielt?
Qurbani: Wie kann es keine Rolle spielen, wenn man – wie meine Eltern – mit Anfang zwanzig aus seiner Heimat flieht? Das zehrt natürlich an einem. Hier anzukommen mit zwei Koffern, um sich ein komplett neues Leben aufzubauen, ohne Sprache, ohne die Familie als Rückhalt, ohne die Sicherheit von der Gesellschaft und der Kultur, die man kennt. Ich bewundere meine Eltern, die es geschafft haben, innerhalb von einer Generation – von zwei Koffern am Flughafen Frankfurt am Main – in der Mittelschicht zu landen. Ihre Kinder sind alle produktiver Teil der Gesellschaft. Ich finde, das ist schon eine unglaubliche Leistung. Und das spricht für zwei Dinge: Das spricht für meine Eltern und ihre Arbeitsmoral.
● Burhan Qurbani wurde 1980 als Sohn afghanischer Eltern in Erkelenz geboren. 2010 drehte er „Shahada“, 2014 „Wir sind jung. Wir sind stark“.