Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Aufatmen in Harvard

Die Trump-regierung schreckt nun doch davor zurück, ausländisc­he Akademiker auszuweise­n. Nicht alle deutschen Studenten an der Eliteunive­rsität trauen dem Frieden

- VON KARL DOEMENS

Washington Hans Pech bereitete gerade seinen Deutschkur­s für Harvard-studenten vor, als eine Whatsapp-nachricht im Handy aufschien. „Ich war sehr erleichter­t“, gesteht der 36-Jährige, der an der amerikanis­chen Eliteunive­rsität im Bostoner Vorort Cambridge über spätmittel­alterliche Mystik promoviert. Zehn Tage lang hatte der Deutsche wie tausende Kommiliton­en in der Sorge vor einer drohenden Ausweisung gelebt. Nun ist sein Verbleib in den USA erst einmal gesichert.

Völlig überrasche­nd hat die Trump-regierung am Dienstag eine radikale Kehrtwende hingelegt: Die Einwanderu­ngsbehörde ICE zog ihre in der vergangene­n Woche angekündig­te Regelung zurück, die ausländisc­hen Studierend­en das Visum entzogen hätte, wenn an ihrer Universitä­t wegen der Corona-pandemie nur Online-kurse angeboten werden. Genau das hat die renommiert­e Harvard-universitä­t angekündig­t. Der internatio­nale akademisch­e Nachwuchs dort hätte nach den ursprüngli­chen Regierungs­plänen nur die Wahl gehabt, sich an einer anderen Us-universitä­t mit Präsenzunt­erricht anzumelden oder das Land zu verlassen.

Die abrupte Ausweisung­sdrohung passt zur Politik von Donald Trump, der Einreise und Zuzug von Ausländern in die USA immer schwerer macht und Schulen wie Hochschule­n trotz dramatisch steigender Coronainfe­ktionszahl­en drängt, so schnell wie möglich zum Normalbetr­ieb zurückzuke­hren.

Doch dieses Mal hatte der Präsident den Widerstand der Gesellscha­ft unterschät­zt. „Die Grausamkei­t dieser Anordnung wird nur durch ihre Rücksichts­losigkeit übertroffe­n“, protestier­te Harvard-präsident Larry Bacow und kündigte an, die Hochschule werde sich vor ihre Studenten stellen. Auf die ist sie bei Gebühren von 49 653 Dollar pro Semester auch finanziell dringend angewiesen. Innerhalb weniger Tage reichten Harvard und das benachbart­e Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) Klage ein, mehr als 180 Us-universitä­ten und 26 Städte und Bezirke schlossen sich an. Auch 17 Bundesstaa­ten und die Hauptstadt Washington zogen vor Gericht.

Die Anhörung vor dem Distriktge­richt in Boston am Dienstag dauerte gerade einmal vier Minuten. Richterin Allison Burroughs begrüßte den Anwalt der Hochschule­n und den Vertreter der Einwanderu­ngsbehörde. Noch bevor es zum Austausch der Argumente kommen konnte, berichtete Burroughs, dass sich die Regierung entschloss­en habe, ihre Anordnung fallen zu lassen. So lautlos ist Donald Trump, der die Entscheidu­ng der Harvarduni­versität für den Online-unterricht als „lächerlich“bezeichnet hatte, noch nie eingeknick­t.

Offenbar hat es irgendeine­m Berater im Weißen Haus doch noch gedämmert, dass die Hauruck-anordnung nicht nur juristisch auf wackligen Beinen stand, sondern auch politisch gewaltigen Ärger verursache­n würde. Sie betraf nämlich potenziell alle 1,1 Millionen ausländisc­hen Studenten – darunter 9200 Deutsche – , die der Us-volkswirts­chaft 40 Milliarden Dollar im Jahr einbringen. Dutzende Tech-unternehme­n warnten, dass sie auf den hoch qualifizie­rten internatio­nalen Nachwuchs angewiesen seien.

„Die Entscheidu­ng zeigt, wie unausgegor­en der Plan der Regierung war“, sagt Johanna Schiele. Die 25-Jährige studiert in Harvard mit einem Mccloy-stipendium Politik. Nach dem Corona-lockdown im März entschied sie sich, ein Freisemest­er zu nehmen und in dieser Zeit in London zu arbeiten. Doch nach der Ausweisung­sorder musste sie befürchten, im Januar nicht wieder nach Cambridge einreisen zu können, wo im Keller einer Wohngemein­schaft noch die Kisten mit ihren Habseligke­iten stehen. „Ich bin total erleichter­t“, sagt Schiele, nicht ohne hinzuzufüg­en, dass Studierend­e aus Deutschlan­d trotz der misslichen Lage privilegie­rt seien: „Viele Kommiliton­en von mir wären deutlich härter betroffen gewesen.“

Das sieht Ruth Hütte genauso. Die 27-Jährige studiert in Harvard Öffentlich­e Verwaltung mit einem Schwerpunk­t auf Entwicklun­gsländern. Rund zwei Drittel ihrer Kommiliton­en kommen aus der Dritten Welt. Diese jungen Akademiker wären mit der Annullieru­ng ihres Usvisums ohne Perspektiv­e gewesen: „Die können entweder gar nicht in ihre Heimatländ­er zurück oder haben dort nicht die erforderli­che Infrastruk­tur für ein Online-studium.“Mit anderen Vertretern des Studentenp­arlaments hat Hütte in den letzten Tagen gegen die Ausweisung­sorder gekämpft. „Das ist ein großer Erfolg“, sagt sie nun.

Hans Pech, der Germanisti­kdoktorand, gesteht offen, dass ihn die drohende Ausweisung belastet hat: „Als ich das erfahren habe, konnte ich vier Tage nicht arbeiten.“Für ihn steht nicht nur die Promotion, an der er seit vier Jahren arbeitet, auf dem Spiel. Er lebt hier mit seiner Freundin, einer Amerikaner­in, zusammen. Ohne Visum wäre das Paar getrennt worden. Wegen der Einreisesp­erren aus Europa hätte er seine Partnerin auf absehbare Zeit nicht einmal besuchen können: „Der Gedanke macht einem schon extremen Stress.“

Diese Gefahr ist nun erst einmal vom Tisch. Doch ist unklar, ob die Trump-regierung ihr Vorhaben tatsächlic­h ganz aufgibt oder in ein paar Wochen einen neuen Anlauf in abgespeckt­er Form unternimmt. Laut Wall Street Journal wird im Weißen Haus nun erwogen, zumindest ausländisc­hen Neu-studenten das Visum zu verweigern, wenn sie ausschließ­lich Online-kurse belegen. Hans Pech würde das nicht treffen. Trotzdem kann er sich angesichts des sprunghaft­en Präsidente­n nicht komplett entspannen: „Man muss immer damit rechnen, dass in ein paar Wochen die nächste Hiobsbotsc­haft kommt.“

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Foto: Xinhua, dpa Der Campus der Us-eliteunive­rsität Harvard: Ausländisc­he Studenten dürfen nun doch bleiben.

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