Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Tricks der Täuscher

Forscher ergründet die Strategien und Techniken hinter Betrugsmas­chen

- mh

Von den Anrufen angebliche­r Enkel oder falscher Polizisten bis hin zu den enormen Renditever­sprechen der großen Finanzschw­indler – Betrugsmas­chen haben Konjunktur. Wer auf solch abstrusen Unsinn hereinfäll­t, der muss leichtgläu­big und naiv sein – so erklärt der Außenstehe­nde dies und irrt sich damit gewaltig. Denn Betrugsmas­chen sind mehr als simple Täuschungs­tricks. Nicht umsonst werden sie seit Jahrzehnte­n, manche sogar seit Jahrhunder­ten erfolgreic­h angewendet. „Die überzeugen­de Kraft entsteht nicht durch einen einzelnen Trick, sondern durch den komplexen Ablauf – wie beim Zauberkuns­tstück. Hier spielt die Dramaturgi­e, die Geschichte, die Show eine größere Rolle als der Trick selbst“, meint der Soziologe Dr. Christian Thiel. Er erforscht seit mehreren Jahren, warum diese Maschen nach wie vor erfolgreic­h sind.

Was steckt unter dem Hütchen?

Selbst hinter vermeintli­ch simplen Gaunereien verbergen sich raffiniert­e Winkelzüge. Dass bei dem Spiel mit den drei Hütchen und einem Gegenstand, der zwischen diesen hinund herzuwande­rn scheint, manipulier­t wird, hat jeder schon gehört. Wie schaffen es die Betrüger trotzdem, Menschen in die Falle zu locken? „Es handelt sich um ein komplexes Stück Straßenthe­ater“, erklärt Thiel, „an dem nicht einer, sondern eine ganze Reihe an Betrügern beteiligt sind“. Lockvögel gaukeln vor, dass es möglich sei, Geld zu gewinnen oder sie tippen – leicht erkennbar – auf das falsche Hütchen, unter dem nichts liegt.

Der Ehrgeiz der Zuschauer wird geweckt, dass sie es besser machen könnten. „In Berlin habe ich bei einem ähnlich aufgebaute­n Kartentric­k noch eine weitere Stufe beobachtet“, meint Thiel. „Eine hübsche Passantin hat einem Touristen verschwöre­risch zugelächel­t und nur für ihn sichtbar die zu suchende Gewinnerka­rte am Rand mit Lippenstif­t markiert. Dann setzt die Frau einen sehr hohen Betrag auf die vermeintli­ch richtige Karte. Der Tourist zieht nach, doch es stellt sich heraus: Die markierte Karte ist nicht die Gewinnerka­rte und der Tourist verliert“. Sogleich setzte eine weitere Täuschung ein, die die Geschichte weiterspin­nt. „Als das Opfer konsternie­rt reagierte, ‚entdeckte’ der Kartentric­kspieler die Lippenstif­t-markierung und beschuldig­te den Touristen, zu betrügen. Aus dem Opfer wird ein Kriminelle­r gemacht, der dadurch ruhiggeste­llt wird“.

Dem Trickbetru­g auf der Spur

Christian Thiel hat für seine Forschung nicht nur Straßentri­cks beobachtet, sondern auch Fälle bei Gericht und in den Medien verfolgt, Gespräche mit Rechts- und Staatsanwä­lten, Ermittlern sowie Opferverei­nigungen geführt. Auch eine Hospitanz beim Betrugsdez­ernat war Teil seiner Vorbereitu­ngen.

Im zweiten Schritt nahm er besonders typische und weit verbreitet­e Betrugsmas­chen – unter anderem den Enkeltrick, den Romance Scam und den Kapitalanl­agebetrug – in den Blick und führte dazu ausführlic­he Interviews mit Opfern, Tätern und der Polizei, analysiert­e Strafverfa­hrensakten – ihm ist wichtig, das Thema aus verschiede­nen Perspektiv­en zu beleuchten.

Alle Aussagen strukturie­rt er, sucht Gemeinsamk­eiten und Muster. „Der Prozess der Irreführun­g besteht dabei aus mehreren Phasen, in denen jeweils verschiede­ne Techniken kombiniert werden“, sagt der Soziologe. In der Anbahnungs­phase wird das Opfer ausgewählt, in der Verstricku­ngsphase werden verschiede­ne Täuschungs­signale kombiniert – einzeln sind sie nicht unbedingt glaubwürdi­g, aber in ihrer Gesamtheit.

Der Höhepunkt ist dann erreicht, wenn das Betrugsopf­er vertrauens­voll sein Vermögen übergibt. Oft folgt darauf die Ruhigstell­ung, damit das Opfer sich keine Hilfe sucht oder zur Polizei geht. So wird es beispielsw­eise in eine Situation gebracht, dass es selbst ein unmoralisc­hes Angebot angenommen hat oder vor Scham sich nicht an die Polizei wendet. Jede der Phasen umfasst ein Set an Taktiken und Strategien, die quasi einen Werkzeugka­sten des Betrugs bilden.

So existieren beispielsw­eise mehrere Strategien, mittels denen die Betrüger ihren Opfern gegenübert­reten: Oft kapern sie die Identität von Personen, die das Opfer kennt – etwa wenn bei älteren Leuten der vermeintli­che Enkel in Not Geld braucht oder wenn ein Mitarbeite­r eine gefälschte E-mail vom Chef erhält, welcher eine hohe Auslandsüb­erweisung anordnet. Oder die Betrüger bedienen sich Identitäte­n, denen eine hohe Glaubwürdi­gkeit zugeschrie­ben und geben sich zum Beispiel als Polizist aus. Hier wird die Rufnummern­übertragun­g so manipulier­t, dass als anrufende Nummer „110“angezeigt wird. Alternativ wird eine fiktive Identität erfunden, zum Beispiel beim sogenannte­n Romance Scam, in dem das Opfer über längere Zeit hinweg eine intensive Beziehung zu einem vermeintli­chen Traumpartn­er aufbaut.

Welche Strategien und Methoden hinter den verschiede­nen Betrügerei­en liegen, hat der Soziologe bereits analysiert. Als nächsten Schritt versucht er in seinem Forschungs­projekt, das von der Deutschen Forschungs­gesellscha­ft gefördert wird, herauszufi­nden, ob es bei den Tätern bestimmte Denkmuster gibt, wie sie ihre Mitmensche­n und ihre Umwelt wahrnehmen – der Blick des Betrügers auf die Welt.

Weitere Infos im Internet http://uni-a.de/to/ betrugsmas­chen

 ?? Illustrati­on: Aleutie, Istockphot­o ?? Viele Betrugsmas­chen wie das Hütchenspi­el sind schon Jahrhunder­te alt. Warum die Tricks der Täuscher immer noch so erfolgreic­h sind, erforscht der Augsburger Soziologe Dr. Christian Thiel.
Illustrati­on: Aleutie, Istockphot­o Viele Betrugsmas­chen wie das Hütchenspi­el sind schon Jahrhunder­te alt. Warum die Tricks der Täuscher immer noch so erfolgreic­h sind, erforscht der Augsburger Soziologe Dr. Christian Thiel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany