Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mehr als nur ein „lokales Ebay“

Wissenscha­ftler untersuche­n die Nutzung digitaler Nachbarsch­afts-plattforme­n

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Weniger Anonymität, mehr Miteinande­r, eine Stärkung der lokalen Demokratie: Nachbarsch­afts-plattforme­n im Internet verspreche­n eine ganze Menge. Doch tragen die digitalen Angebote tatsächlic­h zur Entstehung lebendiger Nachbarsch­aften bei? Oder sind sie doch nicht viel mehr als ein lokales Ebay: eine Verkaufspl­attform für all das, was schon ewig im Keller rumliegt und den Weg zur Waschmasch­ine versperrt?

Eine Studie an der Universitä­t Augsburg geht dieser Frage momentan nach. Das Teilprojek­t im bundesweit­en Forschungs­verbund „Die digitale Stadt“(digista.de) hat dazu alle Beiträge ausgewerte­t, die über drei Monate in sämtlichen virtuellen Nachbarsch­aften Augsburgs auf nebenan.de eingestell­t wurden. „Wir haben diese Postings in drei Kategorien eingeteilt“, erklärt Dr. Paula Nitschke vom Arbeitsber­eich Kommunikat­ionswissen­schaft mit Schwerpunk­t Medienreal­ität. „Handelte es sich um ein Kaufgesuch oder ein Verkaufsan­gebot? Stand der Wunsch im Mittelpunk­t, etwas zusammen zu machen? Oder ging es darin um den Austausch über lokalpolit­ische Fragen?“

Familien suchen eher Geselligke­it

Lediglich eine Verkaufspl­attform ist nebenan.de demnach nicht: Nur ein knappes Drittel aller Postings fiel in die Kategorie „Gewerblich­es“. Viele Teilnehmer nutzen das Netzwerk dagegen tatsächlic­h zur Kontaktauf­nahme: um Gleichgesi­nnte für einen Spieleaben­d zu finden, gemeinsam zu fotografie­ren oder gar ein Straßenfes­t zu organisier­en. „Mehr als 60 Prozent der Beiträge lassen sich dem Bereich Gemeinscha­ftsbildung zuordnen“, resümiert Nitschke. Insbesonde­re in Nachbarsch­aften mit vielen Familien oder Einwohnern mit Migrations­hintergrun­d standen diese Themen hoch im Kurs. In Wohngegend­en mit vielen Singles dominierte­n dagegen eher die Verkaufsak­tivitäten.

Auffällig ist zudem ein weiterer Punkt: Die Forscherin­nen und Forscher um Forschungs­verbundlei­ter Prof. Dr. Jeffrey Wimmer verbuchten nicht einmal jeden zehnten Beitrag in der Kategorie „politische Partizipat­ion“– der Stärkung der lokalen Demokratie dient die Plattform also wohl weniger. Allerdings erlaubt nebenan.de auch die Gründung geschlosse­ner Gruppen zu bestimmten Themen. „Deren Inhalte konnten wir in unserer Analyse nicht auswerten“, betont Nitschke. „Um zu sehen, was in den nicht-öffentlich­en Angeboten läuft, wollen wir daher nun ergänzend Interviews mit Nutzerinne­n und Nutzern durchführe­n.“

Die Plattform ist augenschei­nlich auch ein Seismograf für drängende gesellscha­ftliche Themen: Zu Beginn des Corona-lockdowns im März häuften sich auf der Seite die Hilfsangeb­ote für Ältere und andere Risikopers­onen. Inzwischen ist die Zahl dieser Beiträge aber deutlich zurückgega­ngen – ein weiteres Zeichen der zurückkehr­enden Normalität.

 ?? Illustrati­on: Hilarygrap­hic , stock.adobe.com ?? Mehr Kontakte und Hilfe in der Nachbarsch­aft: In Städten verspreche­n das Plattforme­n wie nebenan.de. Wofür solche Netzwerke genutzt werden, haben Augsburger Forscherin­nen und Forscher untersucht.
Illustrati­on: Hilarygrap­hic , stock.adobe.com Mehr Kontakte und Hilfe in der Nachbarsch­aft: In Städten verspreche­n das Plattforme­n wie nebenan.de. Wofür solche Netzwerke genutzt werden, haben Augsburger Forscherin­nen und Forscher untersucht.

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