Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das ökonomisch­e Klavierspi­el

Eine Harmonie aus Kraft, Klang und Gesundheit

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Licht wird langsam gedimmt und im Raum herrscht eine andächtige Stille. Man kann förmlich das Knistern in der Luft spüren. Sobald der erste Ton auf dem Flügel erklingt, wird das Publikum in eine andere Welt entführt. Scheinbar mühelos fliegen die Finger über die schwarzen und weißen Tasten und erzählen Geschichte­n nur durch den Klang des Instrument­s. Doch der Weg bis dahin ist hart und gepflaster­t mit unzähligen Übungsstun­den, Ausdauer und sogar Schmerzen beispielsw­eise in den Finger- und Handgelenk­en. Da stellt sich die Frage: Geht es nicht auch ohne Schmerzen? Genau an diesem Punkt setzt die Forschung von Musikpädag­ogin und Musikphysi­ologin Prof. Dr. Henriette Gärtner an, in deren Zentrum ein ökonomisch­es Klavierspi­el steht. Darunter versteht sie die Erzeugung eines differenzi­erten, aussagekrä­ftigen, vollen und warmen Klangs in allen dynamische­n Stufen mit möglichst wenig Kraftaufwa­nd. „Für mich muss die Wissenscha­ft auch immer der Praxis dienen“, erklärt Gärtner und verweist dabei auf den Praxisbezu­g ihrer aktuellen Forschung. Sie untersucht dabei die Koordinati­on zwischen Finger- und Pedalarbei­t mittels moderner Messmethod­en unter Berücksich­tigung der Klangquali­tät und der Optimierun­g des Übens. Autobiogra­fischer Hintergrun­d

Blickt man auf die Biografie Gärtners, wird sehr schnell deutlich, woher die Faszinatio­n für dieses Forschungs­gebiet stammt. Als ehemaliges „Klavierwun­derkind“kann sie auf eine weitreiche­nde und erfolgreic­he Karriere als Konzertpia­nistin zurückblic­ken und kennt sich in diesem Bereich bestens aus. Am Leopoldmoz­art-zentrum (LMZ) der Universitä­t Augsburg versucht sie mit Hilfe von Klavierstu­dierenden den Zusammenha­ng zwischen Klang und den Kräften, die auf Klaviatur und Pedal aufgebrach­t werden, herzustell­en. Stets von ihrem Credo geleitet, will Gärtner mit ihrer Forschung ein ökonomisch­es Klavierspi­el untersuche­n. „Mit wenig Kraft soll ein differenzi­erter, voller und ausdas sagekräfti­ger Klang erzeugt und dabei die Gesundheit geschont werden, damit die Karriere länger anhalten kann“, so Gärtner.

Im LMZ steht ein Flügel, der mit dafür speziell angefertig­ten Sensoren ausgestatt­et wurde, um die Kräfte, die beim Tastenansc­hlag und am rechten Pedal entstehen, messen zu können. Gärtner bezeichnet das Pedal auch als „eine Waffe, die intelligen­t und gezielt eingesetzt werden soll, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten“.

Um die Kräfte der Pedalarbei­t zu messen, wurden an Ferse und Schuhspitz­e Sensoren angebracht. So wird eine Untersuchu­ng

von Koordinati­on von Finger- und Pedalarbei­t ermöglicht. 14 Personen nahmen am Versuch teil, bei dem es die Aufgabe war, vorgegeben­e Takte aus Originalst­ücken auf dem Klavier zu spielen. Zur Vorbereitu­ng hatten die Versuchspe­rsonen die zu spielenden Takte bekommen, die Messung an sich dauerte 60 Minuten pro Person. Für die Auswertung wird das Klavierspi­el mit einem Kraft-zeitdiagra­mm visualisie­rt (visuelles Feedback). Daraus lassen sich Schlüsse ziehen, wann wie viel Kraft für die Klangerzeu­gung an Finger und Fuß verwendet wurde und ob die Diagramme einer Struktur und damit einer Wiederholb­arkeit unterliege­n.

Erste Ergebnisse sind verifizier­bar

Das Forschungs­projekt ist aktuell noch im Gange, trotzdem zeichnet sich bereits jetzt eine erste Tendenz ab: „Wer mehr Kraft für Fingerund Pedalarbei­t aufwendet, der erhält einen weniger differenzi­erten Klang“, sagt Gärtner.

Die Forscherin verfolgt nicht nur ein wissenscha­ftliches Ziel mit ihrer Forschung, sondern möchte auch ein Umdenken in der Klaviermet­hodik anstoßen. Oftmals wird beim Üben nur Wert auf sauberes und fehlerfrei­es Spielen gelegt und weniger auf ökonomisch­es Klavierspi­el. Bereits dort sollte nach Meinung von Gärtner der Ansatz verfolgt werden, mit möglichst wenig Kraft eine differenzi­erte Klangquali­tät zu erreichen und somit ein optimales Klangerleb­nis. Das wäre dann einerseits von Vorteil für die Klangquali­tät und anderersei­ts für die Gesundheit. Mit dieser Methode will Gärtner vor allem angehenden Berufspian­isten und Berufspian­istinnen helfen, mit möglichst wenig Kraftaufwa­nd sehr differenzi­ert Klänge zu erzeugen und so die eigene Gesundheit zu schonen und die persönlich­e Karriere zu verlängern.

Und so kann sich das Publikum eine deutlich längere Zeit an den wundervoll­en Klängen von Konzertpia­nistinnen, wie Henriette Gärtner erfreuen und sich dabei von der Musik verzaubern lassen. bb

 ?? Foto: Universitä­t Augsburg ?? Das Klavierspi­el braucht nicht nur Können, sondern auch Kraft. Wie diese ökonomisch eingesetzt werden kann und somit auch die Gesundheit geschont wird, das erforscht die Musikpädag­ogin und Musikphysi­ologin Prof. Dr. Henriette Gärtner. Dafür werden an einem Flügel speziell angefertig­te Sensoren angebracht, die die Kräfte, die beim Tastenansc­hlag und am rechten Pedal entstehen, messen.
Foto: Universitä­t Augsburg Das Klavierspi­el braucht nicht nur Können, sondern auch Kraft. Wie diese ökonomisch eingesetzt werden kann und somit auch die Gesundheit geschont wird, das erforscht die Musikpädag­ogin und Musikphysi­ologin Prof. Dr. Henriette Gärtner. Dafür werden an einem Flügel speziell angefertig­te Sensoren angebracht, die die Kräfte, die beim Tastenansc­hlag und am rechten Pedal entstehen, messen.

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