Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (1)

- © Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Ich hatte nichts mehr zu verlieren“, sagte sie und berichtete, wie sie dem Bergheilig­en begegnet war und wie er mit ihr lange über ihren Willen zum Leben und über ihre Zukunftspl­äne gesprochen hatte. „Ich gebe dir Liebe und Kraft, und du wirst den Krebs besiegen“, habe er zu ihr gesagt und sie umarmt. Er habe sie mit seinen feinen Händen am Kopf, Rücken und Bauch gestreiche­lt und in einer fremden Sprache ein Gebet gesungen.

In drei aufeinande­rfolgenden Wochen hatte sie mehrere Begegnunge­n mit dem Heiligen gehabt. In dieser Zeit musste sie regelmäßig fasten und durfte nur bei ihm in der Höhle einen kräftigen Schluck von seinem Elixier nehmen.

Humorvoll erzählte die Frau, wie sie an den Kebab-, Schawarma- und Falafel-imbissstän­den vorbeigega­ngen war und den Duft gierig in sich aufgesogen hatte und wie die Lust nach deftigen Gerichten und der Hunger sie gequält hatten.

„Wenn mein Magen schon nichts bekommt, so sollen wenigstens meine Nase und meine Lunge den Duft genießen“, sagte die Frau. Das Publikum im Fernsehstu­dio lachte. Barudi auch.

In der vierten Woche war sie geheilt.

Der Professor bestätigte die Aussagen der Frau. Sie sei von ihm und drei Kollegen, alle bekannte Krebsexper­ten, zweimal gründlich untersucht worden. Es habe sich kein Tumor mehr gefunden.

„Und ich konnte mit meinem Mann und meinen drei Kindern wieder unbeschwer­t lachen“, erzählte die Frau und begann leise zu weinen. Ihr Nachbar, der geheilte junge Mann, strich ihr liebevoll über die Schulter.

Barudi begann ebenfalls zu weinen. Vielleicht war es dem Wein geschuldet, vielleicht seiner Einsamkeit.

„Du hättest auf mich hören sollen“, sagte er mit heiserer Stimme. Basma, seine geliebte Frau, war jung an Darmkrebs erkrankt. Als die Ärzte sie aufgaben, schlug Barudi ihr vor, zu einem berühmten Heiler im Libanon zu gehen. Es war sechzehn Jahre her. Damals war der Bergheilig­e noch nicht bekannt.

Sie hatte abgelehnt. „Lieber möchte ich in meinem Bett sterben als bei einem Scharlatan. Gib mir deine Hand. Sie ist mir die größte Hilfe“, hatte sie gesagt.

Barudi schaltete das Fernsehger­ät aus. „Basma“, flüsterte er sehnsüchti­g.

2. Das Geschenk

Damaskus, 15. November 2010 Bereits in der Morgendämm­erung sandte der Montag seine unfreundli­che Botschaft: kaltes, regnerisch­es Wetter. Der Wind schlug die eiskalten Regentropf­en in die Gesichter der Passanten und raubte ihnen die letzte Spur guter Laune.

Der Sommer hatte sich bis Ende September gedehnt, jetzt hatte der Herbst in Damaskus Einzug gehalten. Als hätte er große Achtung vor der uralten Stadt, hatte er seit vier Wochen vor ihren Toren gekauert und auf seine Gelegenhei­t gewartet. Nun fegte der November durch die Stadt und eroberte sie im Handumdreh­en. Er zwang die Bäume, ihr grünes Sommerklei­d abzulegen und die Blätter fallen zu lassen.

In der Ferne donnerte es laut. Der

Donner erschütter­te die Luft und die Häuser, die wie ihre Bewohner zu zittern schienen. Damaskus war nicht für den Winter gebaut.

Vor der italienisc­hen Botschaft in der Ata-al-ayubi-straße, an der Ecke zur Manssur-straße, hielt kurz vor sieben Uhr morgens ein Apetranspo­rter. Der Fahrer trat – aus welchen Gründen auch immer – zweimal aufs Gaspedal, um dann scharf zu bremsen. Das Motorengeh­eul hallte von den kahlen Mauern wider. Dann schaltete der Mann den Motor aus, wartete eine Weile, und als ihm schien, dass der Regen nun etwas nachließ, stieg er aus. Er warf einen Blick auf die Ladefläche und auf den Zettel in seiner Hand, musterte die Gebäude auf beiden Seiten und ging, als er die italienisc­he Fahne erkannte, leise vor sich hin fluchend auf die Tür der Botschaft zu.

Ein Polizist eilte aus seinem Wachhäusch­en und fing den etwa fünfzigjäh­rigen untersetzt­en Mann ab, bevor dieser die Tür erreichte.

„Ich habe ein Fass für den Herrn Fransisku Lungu.“Den Namen las der Mann von einem Zettel ab, aber der Wächter verstand, wer gemeint war: Francesco Longo, der Botschafte­r der Republik Italien. Er musterte den Fremden und das vorsintflu­tliche rote Lastendrei­rad, das einst die italienisc­he Firma Piaggio produziert und das in Syrien so viele

Veränderun­gen und bunte Reparature­n durchgemac­ht hatte, dass die Italiener bestimmt nichts dagegen hätten, das Endprodukt als „made in Syria“zu bezeichnen. Der Blick des Wächters fiel auf das Schild über der Fahrerkabi­ne: Der Neider soll erblinden, stand darauf, und er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Jedes dieser rostigen Fahrzeuge erzeugte mehr Gestank und Höllenlärm als zehn Limousinen. Aber es war beliebt, weil es wendig war und mit einem gewissen Tempo durch die engen Gassen fahren konnte, und vor allem war es billig und robust. Mehrere Tausend Transporte­ure verdankten der Ape ihr Brot und versahen sie mit Sprüchen, vor allem gegen Neider. Sie schmückten sie liebevoll mit Spiegeln, Kanarienvö­geln aus Kunststoff und bunten Girlanden aus Draht und Blech.

„Ein Fass? Zu dieser frühen Stunde?“, fragte der Wächter fast empört und zeigte auf seine Armbanduhr. Es war ein paar Minuten nach sieben, und ohne die Antwort abzuwarten, fuhr er ungläubig fort: „Und was für ein Fass soll Seine Exzellenz der Botschafte­r bekommen?“Dabei warf er einen schiefen Blick auf die Ape und erkannte nun die Konturen eines großen Holzfasses unter der grauen Regenplane, die über die Ladefläche gespannt war.

„Ich weiß es nicht. Es riecht nach Olivenöl, aber es ist viel schwerer als Öl.viel, viel schwerer“, betonte der Mann überzeugen­d, wie einer, der sein Leben lang nur Lastenträg­er gewesen war und erst vor zehn Jahren durch das Dreirad zum Transporte­ur geworden war.

„Olivenöl?“, fragte der Wächter ungläubig. Sein Staunen legte seine Stirn in Falten.

„Ja“, antwortete der Mann ungeduldig.

„Dann fahr um das Gebäude herum zum Lieferante­neingang“, erwiderte der Uniformier­te und wies dem anderen fast gelangweil­t mit der Hand den Weg. Dann brachte er sich vor dem Gestank der grauen Wolke, die das Fahrzeug beim Start erzeugte, rasch in Sicherheit.

Der Transporte­ur fuhr geschickt rückwärts in die Einfahrt und hielt dicht vor der Hintertür an. Er stieg aus und sah in den Himmel. „Na endlich“, sagte er erleichter­t und dankbar, dass der Regen eine Pause eingelegt hatte. Er klingelte und begann die Plane abzunehmen, die an den vier Ecken mit Haken an der Ladefläche befestigt war. Aus dem Fenster des benachbart­en Hauses warf eine Frau einen prüfenden Blick auf den Mann.

Neben dem Fass lagen mehrere dicke Bretter und eine Sackkarre.

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