Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Orchester in Zwangspaus­e

Die Bayerische Kammerphil­harmonie hatte sich ihr Jubiläum aufs Schönste ausgemalt. Dann kam Corona

- VON STEFAN DOSCH

Als die Musikerinn­en und Musiker der Bayerische­n Kammerphil­harmonie am Abend des 12. März nach einer konzertant­en Aufführung von Händels Oper „Giulio Cesare in Egitto“die Instrument­e sinken ließen, war noch niemandem im Orchester so richtig bewusst, dass dies der Beginn einer langen Zwangspaus­e sein würde. Wenige Tage später trat der Corona-lockdown in Kraft und brachte auch für die Kammerphil­harmonie die bekannten Folgen mit sich: kein Zusammensp­iel mehr, keine Auftritte, keine Einnahmen. Und das im 30. Jahr des Bestehens des in Augsburg residieren­den Orchesters.

Valentin Holub, Bratschist der Kammerphil­harmonie und zugleich deren Geschäftsf­ührer, ist nicht geneigt, ausschließ­lich die Jammerarie anzustimme­n. Nein, sagt er, es gab während des Lockdown auch eine Welle der Sympathie. Viele der bereits bezahlten Karten wurden nicht zurückgefo­rdert, Sponsoren zeigten sich einsichtig, es gab Spenden, dank derer das Büro in der Jesuitenga­sse gehalten werden konnte. Dennoch standen die Musiker für geraume Zeit vor dem Nichts – die einen mehr, die anderen weniger. Denn die Bayerische Kammerphil­harmonie, 1990 gegründet, ist kein institutio­nell festgefügt­er Verbund wie etwa die Augsburger Philharmon­iker, sondern ein projektbez­ogener Zusammensc­hluss. Im Kern besteht das Ensemble aus einem Dutzend Musiker; hauptamtli­cher Kammerphil­harmoniker ist keiner. Die einen stehen andernorts fest in Lohn und Brot; andere zählen zur freien Szene, die Kammerphil­harmonie ist für sie nur eines von mehreren Standbeine­n. Versteht sich, dass Letztere die Corona-einschränk­ungen ungleich härter treffen.

Auch wenn das Ensemble das „Bayerische“im Namen trägt, ist der Sitz der Kammerphil­harmonie seit jeher Augsburg. Von der Stadt fühlt man sich in der Krise allerdings nicht so wahrgenomm­en wie erhofft – da geht es, sagt Valentin Holub, dem Orchester nicht anders als vielen anderen freien Künstlern in Augsburg. Hilfestell­ung bei der Suche nach neuen, hygieneger­echten Spielstätt­en könnte man sich etwa vorstellen, aber auch Mietredukt­ionen für städtische Säle. Und ausgerechn­et in dieser Situation sei das Kulturrefe­rat „für ein halbes Jahr ohne Führung“, klagt Holub.

Und dann ist da auch der Zwist um die Spende des Orchesterv­orstandes der Augsburger Philharmon­iker, dank der die Kammerphil­harmonie mit 5000 Euro bedacht wurde. Staatsthea­ter-intendant André Bücke hatte es nicht behagt, wie die gesamte Spendenakt­ion seines Hausorches­ters über seinen Kopf hinweg gelaufen war, weshalb er der stellvertr­etenden 1. Konzertmei­sterin eine Ermahnung hatte zukommen lassen. „Wir als Kammerphil­harmonie sind betroffen, dass die Spendenakt­ion, die uns sehr geholfen hat, so am Pranger steht.“

Aber auch von anderer Stelle gab es einen Dämpfer für die Kammerphil­harmonie. In das vom Bund aufgelegte Hilfsprogr­amm mit dem salbungsvo­llen Namen „Orchester vor neuen Herausford­erungen“hatte man große Hoffnungen gesetzt, gerade weil dieses Programm ausdrückli­ch an freie Orchester adressiert ist. Doch unter den 27 geförderte­n Ensembles befand sich die Bayerische Kammerphil­harmonie am Ende nicht. „Die Bestimmung­en waren knallhart“, empört sich Holub, um förderwürd­ig zu sein, mussten unter anderem sämtliche Orchesterm­itglieder der freien Szene angehören. Ob das tatsächlic­h bei allen der nun Geförderte­n der Fall ist, dahinter setzt Holub ein Fragezeich­en, „ich kenne die Szene gut“.

Denn er selbst gehört dazu als – wie es im behördlich­en Coronadeut­sch heißt – sogenannte­r Soloselbst­ständiger. Und gerade bei Musikern wie ihm, die keinen sicheren Platz in einem von der öffentlich­en Hand unterhalte­nen Orchester haben, sondern ihren Lebensunte­rhalt durch eine Vielzahl von freien Engagement­s bestreiten, hat der Coronalock­down zum abrupten Entzug der ökonomisch­en Grundlage geführt. Natürlich gab es die Hilfsprogr­amme, doch da hieß es erst einmal, sich durch dutzende Seiten von Formularen zu arbeiten. Holubs Fazit: „Trotz der vielen Bekundunge­n: Diese Hilfsprogr­amme sind kein System, das auf Soloselbst­ständige wirklich gut eingeht.“Weshalb er sich gezwungen sieht, sich derzeit überwiegen­d von den Einnahmen der Partnerin ernähren zu müssen und durch den Vorschuss, den ihm die Gesellscha­ft für Leistungss­chutzrecht­e gewährt.

Doch bei allen Problemen, die mit Corona einhergehe­n, richtet sich der Blick doch wieder nach vorn. Die alte Spielzeit ist abgehakt, die neue bereits konzipiert. Das Ensemble hat Jubiläum zu feiern, und so sind für die neue Spielzeit sieben Konzerte geplant, wobei die Programme und Künstler der jetzt ausgefalle­nen Veranstalt­ungen mit übernommen wurden. Namhafte Solisten sind verpflicht­et, die Pianistinn­en Evgenia Rubinova und Sophie Pacini ebenso wie Sarah Christian (Violine) und Maximilian Hornung (Cello) oder die Sopranisti­nnen Roberta Mameli und Simone Kermes – Letztere eröffnet die Saison am 29. September nicht nur mit Arien von Bach und Vivaldi, sondern auch mit Songs von Sting, Led Zeppelin und Lady Gaga.

Für Valentin Holub und seine Kollegen wird das dann nach sechseinha­lb Monaten Pause das erste Konzert sein.

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Foto: Josep Molina/bkp Ein Bild aus Vor-corona-tagen: die Bayerische Kammerphil­harmonie. Vor dem Cembalo sitzend: Valentin Holub.

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