Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Augsburger­in erlebt Corona-krise in Schweden

Die Lehrerin Tatjana Schwarz lebt seit 2015 in Schweden. Sie hat das ungute Gefühl, dass Schwedens lockere Corona-politik nicht wirkt. Was sie im Alltag beobachtet

-

Frau Schwarz, Ihre Familie lebt in Augsburg, Sie selbst wohnen seit Jahren in der Nähe von Stockholm. Schwedens Regierung setzt darauf, dass die Menschen von sich aus vernünftig handeln und es weniger Verbote braucht als hierzuland­e. Welche Strategie ist besser, die schwedisch­e oder die deutsche?

Tatjana Schwarz: Ich bin absolut nicht von der schwedisch­en Strategie überzeugt. Deswegen lebe ich hier auch nach den deutschen Regeln. Ich halte Abstand, fahre nicht mehr mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln und habe auch meine schwedisch­en Mann überzeugt, das Auto zu nehmen. In meinem Umfeld stößt das oft auf Unverständ­nis.

In Deutschlan­d waren die Schulen wegen Corona vorübergeh­end geschlosse­n. Sie unterricht­en Deutsch an einer schwedisch­en Grundschul­e. Jetzt sind Ferien. Aber wie hatte sich die Schule gegen Corona gewappnet?

Schwarz: Ich hatte vor den Ferien wirklich Angst, in die Schule zu gehen. Dort gab es keinerlei Sicherheit­svorkehrun­gen – obwohl wir teilweise eine Abwesenhei­tsquote von 50 Prozent unter Schülern und Lehrern hatten. Eine der schwedisch­en Corona-empfehlung­en ist, dass die Leute zu Hause bleiben, wenn sie Corona-symptome an sich feststelle­n. Auch als der Vater einer Schülerin an Covid-19 starb, änderte sich nichts. Ich musste erst zwei böse Briefe an die Gemeinde schreiben. Dann haben wir irgendwann wenigstens Desinfekti­onsmittel bekommen.

Mehr als 5500 der zehn Millionen

Schweden sind an Covid-19 gestorben – viel mehr als in den anderen skandinavi­schen Ländern, in Relation zur Bevölkerun­g auch viel mehr als in Deutschlan­d. Sind die Schweden zu unvorsicht­ig?

Schwarz: Die schwedisch­e Strategie setzt sehr auf Eigenveran­twortlichk­eit. Sie setzt voraus, dass die Bevölkerun­g die Empfehlung­en der Gesundheit­sbehörden befolgt. Aber was ich im Alltag erlebe, zeigt mir, dass das nicht funktionie­rt. Die meisten Schweden wirken sorglos. Im Supermarkt zum Beispiel hält niemand Abstand, die Leute sitzen dicht an dicht in den Cafés. Ich glaube: Eigenveran­twortlichk­eit funktionie­rt erst, wenn es ein bisschen weh tut.

Wie meinen Sie das?

Schwarz: Man kann das vergleiche­n mit dem Verbrauch von Plastiktüt­en. Der ging auch erst zurück, als die Schweden Geld dafür bezahlen mussten. Mit Empfehlung­en und Appellen ans Klimabewus­stsein war es nicht getan.

Stehen die Schweden Ihrer Ansicht nach hinter dem Corona-kurs der Regierung?

Schwarz: Die Diskussion hier ist fürchterli­ch politisier­t. Es gibt zwei Lager. Das eine, das den Chef-epidemiolo­gen Anders Tegnell bedingungs­los unterstütz­t und sagt: ,Schweden handelt genau richtig.‘ Auf der anderen Seite stehen die, die sich mehr Restriktio­nen wünschen – und übrigens auch von renommiert­en Wissenscha­ftlern unterstütz­t werden.

Schwedens Nachbarlän­der halten ihre Grenzen geschlosse­n. Sie haben Angst, dass Urlauber aus Schweden das Virus verbreiten könnten. Sind die Schweden deswegen wütend?

Schwarz: Der Nationalst­olz in Schweden ist sehr groß. Norwegen, Dänemark, Finnland, Schweden, das war immer eine Einheit. Jetzt dürfen Menschen, die in Schweden leben, in die anderen skandinavi­schen Länder nicht mehr einreisen. Viele der eigentlich sehr harmoniebe­dürftigen Schweden fühlen sich dadurch gemobbt, sind beleidigt und in ihrem Stolz verletzt. Ich selber kann die Einreiseve­rbote total nachvollzi­ehen. Mir reichen die Todes- und Infektions­zahlen als Argument dafür, dass die schwedisch­e Strategie nicht funktionie­rt. Interview: Sarah Ritschel

Tatjana Schwarz, 47, aus Augsburg lebt im schwedisch­en Âkersberga etwa eine Stunde östlich von Stockholm. Sie arbeitet als Lehrerin, unterricht­et unter anderem Deutsch.

 ?? Foto: Andres Kudacki, dpa ?? Eine Gruppe junger Menschen picknickt während der jährlichen Mittsommer­feierlichk­eiten am 19 Juni in Stockholm. Wegen der Corona-pandemie mussten viele größere Veranstalt­ungen in diesem Jahr abgesagt werden.
Foto: Andres Kudacki, dpa Eine Gruppe junger Menschen picknickt während der jährlichen Mittsommer­feierlichk­eiten am 19 Juni in Stockholm. Wegen der Corona-pandemie mussten viele größere Veranstalt­ungen in diesem Jahr abgesagt werden.
 ??  ?? Tatjana Schwarz
Tatjana Schwarz

Newspapers in German

Newspapers from Germany